1 - Seelen

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Gerade hatte ich mich in meinen Schlafplatz verkrochen, als ich es plötzlich wie ein dumpfes Pochen in meinem Hinterkopf spürte. Nur dass mir diesmal keine Kopfschmerzen bevorstanden, sondern Schmerzen ganz anderer Art.

In Windeseile schnappte ich mir meine Tasche und kletterte aus dem winzigen Loch in der halb zerfallenen Wand, durch das immer nur ich gepasst und das mir schon so oft Schutz geboten hatte.

Der kleine Hohlraum im Schutt, der eigentlich nur der Überrest eines zerfallenen Nebenzimmers war, stellte so etwas wie meinen Wohnort dar, mein Zimmerchen, mein Bett.

Meine Zuflucht.

Hier drin hatten sie mich nicht erreichen können, weder mit ihren großen, starken Armen noch mit ihren Waffen. Hier drin versteckte ich mich und schlief, ohne die Angst, bestohlen oder gepackt zu werden.

Doch heute war der Tag gekommen, an dem dieses Loch nicht mehr ausreichte.

Der Grund dafür war Krung, eine Abart von einem Schakalianer, eine humanoide Spezies vom Rande der bekannten Welten. Sagte man mir zumindest. Er war groß und protzig, ungehobelt und bösartig. Und zu meinem Glück viel zu dumm für seine Rasse.

Ich eilte durch den großen Raum der Krankenstation, die meinen Arbeitsbereich darstellte, und horchte einen winzigen Moment in mich hinein, um festzustellen, wie viel Zeit ich noch hatte und ob ich noch mehr einpacken konnte.

Doch Krungs Wut, die wie Nadeln in meinen Hinterkopf stach, brodelte wie ein Vulkan und näherte sich mir mit riesigen Schritten.

Keine Zeit!

Ich zog mir den Träger meiner Tasche über den Kopf und rannte zur Tür. Ich musste raus und den Gang hinunter, bevor Krung am anderen Ende um die Ecke fegte.

Ich hatte keine Ahnung, was ihn jetzt wieder so in Rage versetzt hatte. Aber eigentlich war es egal, denn den größten Frust hatte er sowieso meinetwegen und so würde er seinen Ärger auch an mir auslassen wollen.

Ich war auch selbst schuld, hätte besser aufpassen müssen.

Dabei tat ich schon alles dafür, den Schein zu wahren. Ich trug meine Locken kurz und zottelig, zog mir extra weite Sachen an und bemühte mich um eine burschikose Haltung. Alles, damit man mich immer noch als Kind sah und nicht als Frau.

Leider hatte ich mich in den letzten vier Jahren unweigerlich verändert, dabei war ich noch ziemlich spät dran. Meine schmale, schlaksige Gestalt hatte sich gewandelt, war kurviger geworden, und auch mein Gesicht wurde von Tag zu Tag erwachsener, jedes Mal, wenn ich in einen Spiegel blickte.

Ich hatte Angst davor. Ich wusste, wie Frauen behandelt wurden. Das hier war ein Gefängnisplanet.

Obwohl alle Offiziellen bereits niedergemetzelt worden waren und der Rest der vereinigten Systeme uns wahrscheinlich vergessen hatte, waren wir hier ohne ein Raumschiff immer noch gefangen.

Und die aktuelle Bevölkerung dieses Planeten bestand ausschließlich aus Schwerverbrechern und ihrer verderbten Nachkommenschaft.

Frauen waren spärliches Gut und man konnte sich vorstellen, was mit einem passierte, wenn man mit einem Haufen einsamer, unmoralischer und gewaltbereiter Männer zusammenlebte, unter denen nur das Gesetz des Stärkeren regierte.

Ich atmete schwer, als ich durch die Tür hechtete und auf schlitternden Sohlen am Ende des Flures um die Ecke rannte.

Zu meinem Glück waren mir derartige Übergriffe bisher erspart geblieben, und ich hatte so etwas auch noch nicht mit ansehen müssen.

Doch ganz konnte ich meine Gedanken nie davon lösen, da ich selbst das Produkt einer dieser abstoßenden Handlungsweise war.

Meine Mutter hatte es mich allerdings nie spüren lassen. Sie war liebevoll und geduldig gewesen und hatte mir immer wieder gesagt, dass ich das Einzige wäre, das ihr Leben lebenswert gemacht hatte.

KHAOS -touching soul [Leseprobe]Where stories live. Discover now