Mantel.

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"Du bist ja nicht so emotional."
Es ist ein Tag zwischen Montag und Donnerstag, der Regen prasselt an die Fenster und die Katze rollt sich ein.
Ich schaue weg, rechts unten die Ecke und denke: Nein. Nein, das ist nicht wahr.
Aber ich sag es nicht, denn du würdest mir nicht glauben und im nächsten Moment denke ich: Wie könntest du auch.
Wie könntest du auch wissen, dass ich weinte heute früh, weil ein Vogel mir zusang. Wie könntest du auch ahnen wie ich zittere und bebe vor Angst an den Gedanken an leidende Wesen. Wie könntest du es dir erschließen, wenn mein letztes lautes Lachen nicht in deiner Gegenwart war.

Du kannst es nicht wissen, weil der Vogel und das Leid, Meer und Lachen eingepackt und verschnürt sind.

Ich fange meine Emotionalität ein, halte sie behutsam in den Händen und stecke sie in meinen Mantel, oben in die Brusttasche, auf der rechten Seite.

Dieser Mantel ist unsichtbar, manchmal hängt er schwer über meine Schultern, manchmal schützt er mich vor kaltem Wind.
Er hat unzählige Taschen, gefüllt mit Krams und Zeug, vieles habe ich ganz vergessen, manches ist immer präsent, beult die Taschen aus, ist schwer ist leicht, wärmt von innen oder ist spitz und scharf.

Eine Welle aus Traurigkeit spült sich an.
Ich bin traurig, weil ich dir nicht meinen Mantel zeigen kann. Euch allen kann ich den Mantel nicht zeigen, dabei ist er so schön, so eigen, so gemütlich.
Doch ich fürchte mich. Ich fürchte mich davor, dass ihr in die anderen Taschen schaut.
Links, in Hüfthöhe ist eine große Tasche, bereits mit Flicken übersäht, weil sie schon so oft Risse bekam.
Dort ist mein Neid. Mein Hass. Meine Wut und böse Gedanken. Selbstzweifel, gezähnt mit wahnsinniger Angst, Verletzlichkeit, ein Teil meines wahren Ichs.

Ich will dir mir nicht zumuten, ich kann es nicht. Wenn ich die Taache öffne, und den lächelnden Vogel zeige,  bräche auch die Trauer hinaus. Es ist zu viel, ich kann es nicht. Nicht dir gegenüber. Du würdest dir Vorwürfe machen.

Dies ist meine Schwäche. Das wird mir jetzt bewusst.
Tu ich's aus Liebe? Tu ich's aus Schutz? Tu ich's für mich? Für dich? Für uns?

Ich weiß der Moment wird kommen, und eine Flut wird sich aus mir erbrechen. Doch nicht jetzt, nicht jetzt, nicht jetzt.

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