Es geschah am Anfang des 18 Jahrhunderts, als die Baronesse de Beauclair den schönen Mann traf, der einfach wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sich unsterblich in ihn verliebte. Ihm ging es ebenso und schon bald heirateten sie, bekamen ein Kind und lebten glücklich bis zu jenem Tag, an dem der seltsame Mann mit dem Schlapphut und dem Hinkebein vor ihrer Tür stand.
Hinter ihm ging ein Muli und hatte auf seinem Rücken etliche Spiegel geladen, welche der Fremde mit dem Schlapphut und dem Hinkebein der Baronesse de Beauclair zum Verkauf anbot. Er pries seine Ware so überaus herzhaft an, dass die gute Frau schließlich sich entschloss, einen kleinen Handspiegel zu erwerben, welche sie ihrem Sohn schenkte.
Das Spieglein war aus Gold und schon reichlich in die Jahre gekommen. An den Ecken war es abgestoßen und auch das Glas war reichlich beschlagen, doch der Junge mochte den Spiegel lieber als alles Spielzeug, das er besaß. Täglich trug er das Spieglein mit sich und tat, als sähe er sich in demselben und lachte herzhaft, während er Grimassen schnitt und sie versuchte durch das beschlagene Glas zu erkennen. So verging die Zeit und der Knabe wuchs zu einem jungen Mann heran, der sich schließlich nicht mehr mit dem Spiegel abgab. Er legte ihn sorgsam in eine Kiste und verschloss diese.
Bald darauf erkrankte der Vater an Schwindsucht. Der Arzt kam und versuchte ihm zu helfen, jedoch gelang es ihm nicht und wenige Tage danach, musste ein Grabhügel errichtet werden.
Mit dem Tod des Vaters begann eine schwere Zeit für die Familie. Das Vermögen der Baronesse reichte schließlich nicht mehr, um sie und ihren Sohn zu ernähren und so kam es eines Tages, dass auch der letzte Taler ausgegeben war.
Der Sohn erinnerte sich an seinen kleinen goldenen Spiegel und er beschloss, ihn zu verkaufen.
Er holte die Kiste und machte sich auf den Weg in die Stadt zum Goldschmied.
Dort angekommen, öffnete er die Kiste und wollte den Spiegel herausnehmen, doch wie erstaunt war er, als er bemerkte, dass das Glas nicht mehr beschlagen war.
Glasklar spiegelte er sich in dem goldenen Kleinod, doch er sah nicht nur sein Abbild.
Hinter ihm stand sein Vater, bleich und abgemagert, wie in den letzten Tagen seiner Krankheit. Er stand da und streckte eine seiner bleichen Hände aus, zeigte mit dem Finger in eine Richtung, die der Sohn nicht deuten konnte.
Erschrocken ließ er den Spiegel fallen und das Glas zerbrach.
Unter dem Glas kam eine feine dünne Rolle aus Papier zum Vorschein.
Vorsichtig nahm der Sohn das Papier und entfaltete es.
Sein Atem versagte ihm und seine Kehle wurde ganz trocken, als er las, was dort geschrieben stand.
„An diesen Spiegel, will ich meine Seele binden, damit der Schreckliche sie mir nicht nehmen kann.
So will ich ihn überlisten und nach meinem Tode in dem Objekte weiterleben. Sollte dieser Spiegel zerstört werden, so wird der Schreckliche kommen und sich den Preis holen, den ich für meine Rettung zahlen musste. Ich war ein schlechter Mensch und als es für mich zu Ende ging, hat er mir das Leben gerettet und als Gegenleistung sowohl meine Seele, als auch die meiner Kinder gefordert. Durch einen Zauber konnte ich ihn überlisten und meine Seele in den Spiegel bannen, den mein kleiner Sohn von meiner Frau geschenkt bekam. Ich bereue was ich getan und bitte Gott um Vergebung."
Kaum dass der Sohn zu Ende gelesen hatte, da erbebte der Boden und wie aus dem Nichts stand der seltsame Mann mit dem Schlapphut und dem Hinkebein vor dem Sohn, packte ihn und den Spiegel und verschwand mit beiden in den Klauen im Boden.
Die Baronesse de Beauclair verarmte und musste nachdem auch ihr Sohn von ihr gegangen war, schließlich ins Armenhaus gehen. Der nette Priester dort zeigte ihr ihr Zimmer und verließ sie anschließend wieder.
Das Zimmer war karg eingerichtet, ein Bett, ein Tisch und darauf ein kleiner schäbig aussehender, goldener Spiegel, aus dem sie ihr toter Mann und Sohn mit schmerzverzerrten Gesichtern anblickten.
Als man am nächsten Tage nach der Baronesse de Beauclair sehen wollte, war sie verschwunden. Das Zimmer war so leer wie vor ihrem Einzug.
Nur der Spiegel auf dem Tisch war ganz beschlagen und trüb geworden.
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Dark Fairytales
Short StoryKleine gruselige Kurzgeschichten. Da ich meine Liebe zu Gothic Novels auch in meinem Schreiben ausdrücken wollte, kommen hier meine Kurzgeschichten zu Themen wie Mystik, Horror uÄ Viel Spaß. Edit: Alle verwendeten Bilder sind AI generiert und haben...