Kapitel 20

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Punkt acht Uhr klingelt es an unserer Eingangstür und dabei ist das Geräusch so laut, dass ich es definitiv nicht überhört hätte.
Sam, die aus der Küche ins Wohnzimmer angerannt kommt, grinst mir schnell zu ehe sie im Eingangsvereich verschwindet, und Mr. Havering die Tür öffnet. Sie kann es wirklich kaum erwarten, Londons begehrtesten Junggeselle höchstpersönlich gegenüberstehen, denn so kennt ihn niemanden. Öffentliche Auftritte werden vermieden. Das Warum ist mir immernoch schleierhaft. Es gibt keinen Grund sich zu verstecken, vor allem nicht, wenn man wie Adonis höchstpersönlich aussieht.
Ich schaue auf meine frisch lackierten Finger, denn ich bin nervös. Ein reinstes Nervenbündel, dass jeden Moment in die Luft gehen könnte. Das letzte Mal verspürte ich diese pure Nervosität bei meinem Interview und seitdem nie wieder. Womöglich ist das auch besser so, denn auf Dauer kann das wirklich anstrengend werden.
Mit den Beinen übereinander geschlagen, die etwas mehr Farbe vertragen könnten, was sich jedoch im regnerischen London äußerst schwierig gestaltet, sitze ich auf der bequemen, grauen Couch und bereite mich mental auf das, was jetzt kommt vor. Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie es wohl sein wird, denn Jacque hat mehr oder weniger für mich entschieden, obwohl er nicht die Erlaubnis dazu hatte. Aber so ist er nun einmal. Ein wenig bin ich jedoch erfreut darüber, denn es ist genau das, was meine Mum immer zum Besten gibt: Akzeptiere es und schau nicht zurück, mach weiter. Auch wenn sie ihren Sprüchen oft nicht selbst treu bleiben kann, sind sie wahr.
Allerdings gestaltet es sich schwieriger diesen Folge zu leisten, als einen anderen Weg zu akzeptieren. Skye, du musst jetzt ruhig bleiben und deine Nerven behalten!, trichtere ich mir immer wieder selbst ein.
Aus dem Flur höre ich Mr. Haverings Stimme, die meinen Puls auf 180 hochfahren lässt und die von Sam, deren Stimme um einige Oktaven höher klingt. Ja, Sam, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich hätte mich eher gewundert, wenn sie nicht so reagieren würde.
Ich rechne damit, dass auch er mit hier drinne erscheint, doch als ich mich umdrehe, ist es nur Sam, die wie ein Honigkuchenpferd grinst und mit ihrem Mund die Worte 'Oh mein Gott' formt, was es nicht einfacher macht, sich zu beschwichtigen.
,, Ich bin ein kleinwenig neidisch auf dich", sagt sie und zieht dabei einen Schmollmund.
,, Hör auf damit!", versuche ich ihr so leise wie möglich mit zu teilen ,, Es ist außerdem kein Date, dazu wäre ich so oder so nicht in der Lage, sondern ein Wohltätigkeitsball, der von der Firma aus geht." Ich schaue sie eindringlich ein.
Nichtsdestotrotz zuckt sie nur mit den Schultern und zwinkert mir spielerisch zu ,, Ihr geht immerhin zusammen hin..."
Ich rolle mit den Augen, denn auf diese Konversation möchte ich mich nicht einlassen. Ich würde sie verlieren.

Ohne sie weiter zu beachten, denn sie setzt schon neu an, drehe ich mich um. Es kommt mir wie ein paar Minuten auf dem Weg zur Eingangstür vor, und dabei bräuchte man nicht einmal eine halbe Minute um diese zu erreichen. Doch ich bin mehr in Gedanken versunken, als mich darauf zu konzentrieren wie man in diesen Schuhen einen Fuß vor den anderen setzt. Wie sieht er wohl aus? Das fragst du dich wirklich, Skye?! Schäm dich...
Wie wird er reagieren, wenn er mich so sieht?
Ich bin mir nicht mal sicher, ob ein Beinausschnitt überhaupt angemessen ist. Womöglich hätte ich mir darüber vorher Gedanken machen sollen. Auf den Wunsch Jacques habe ich ihm ein Bild zukommen lassen, und seine Antwort war pures Stottern. Wird Mr. Havering genau so reagieren? Man, Skye, er ist dein Chef! Sicher nicht!
Bedachtsam linse ich kurz um die Ecke ehe er mit voller Pracht vor mir steht. In letzter Sekunde kann ich mich selbst davon abhalten, mit offener Kinnlade vor ihm zu stehen. Er trägt einen schwarzen, passgenauen Anzug, der nagelneu sein muss sowie ein weißes Hemd, dass aalglatt an seinem nichtvorhanden Bauch anliegt. Eine schwarze Fliege um seinen Hals gebunden, krönt das Gesamtkonzept. Ich blicke ihm in seine blauen, dem Ozean gleichen Augen, die mich in ihnen versinken lassen. Ein chameurhaftes Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen, die noch weicher erscheinen, als sonst. Bei diesem Gedanken blitzen Erinnerungen an unseren Kuss auf, der so nicht hätte stattfinden sollen. Selbst wenn es verboten ist, würde ich ihn wieder küssen, gleichwohl das eine einmalige Sache gewesen ist, die er wahrscheinlich längst vergessen hat. Ich jedoch nicht. Reis dich zusammen!
Er kommt win paar Schritte auf mich zu, hält aber mindestens einen Meter Abstand.
,, Sie sehen großartig aus!", sagt er und küsst mich dabei leicht auf die Wange. Wann sind wir denn dabei angekommen?
Im Hintergrund höre ich nur ein Quicken und ohne zu schauen, weiß ich, dass Sam kurz davor ist einen Anfall zu bekommen. Jedoch bringt es mich zum Schmunzeln. Sie so zu erleben, ist mir neu.
,, Danke sehr!", bringe ich leise hervor und versuche dabei, nicht die Kontrolle über meine Gefühlswelt zu verlieren, in der sich mehrere Achterbahnen hintereinander aufbauen.
Ich möchte ihm sagen, dass auch er nicht von schlechten Eltern ist, halte es jedoch zurück.
Soweit bin ich nicht, um es einwandfrei rauszuhauen.
,, Charles wartet draußen. Ich denke, ihn weiter warten zu lassen, zeig nicht von guten Manieren", wendet er ein und hält mir seinen Arm hin, in welchen ich mich dankend einhake, jedoch nicht ohne vorher zum Jackenständer zu greifen. Ohne Jacke bei diesen Temperaturen kann ich auch gleich nackig durch die Antarktis spazieren. Viel Unterschied wäre da nicht.

Valentine With WingsWhere stories live. Discover now