Kapitel 2

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Ein schriller Ton zog mich aus dem Land der Träume und ich schreckte hoch. Nun saß ich senkrecht im Bett und rieb mir verschlafen die Augen. Nachdem ich mich etwas an das Licht gewöhnt habe und gefühlt 5 mal gähnte, drehte ich meinen Kopf nach rechts zu meinem Wecker, der schon 6:10 Uhr zeigte.
Ich schwang meine Beine über die Bettkannte und stellte sie auf den Boden. Langsam stützte ich mich auf sie und trottete zum Badezimmer. Als ich dort ankam sah ich in den Spiegel und erblickte mein müdes Spiegelbild. Daraufhin wusch ich mein Gesicht und machte mich fertig. Schminke benutzte ich nie und meine brauen Locken band ich mir zu einem Messy-Dutt.
Jetzt fehlten nur noch die Klamotten.
Ich stand lange vor meinem Schrank und suchte nach ein paar Anziehsachen. Da ich aber gefühlt den halben Kleiderschrank mit ins Internat nahm, hatte ich nur noch eine schlichte graue Hose, die ich mit einem weißen Tshirt kombinierte. Als ich jedoch einen Blick aus dem Fenster warf, bemerkte ich, dass es regnete und etwas kühl aussah. Schon bei dem Anblick des Wetters bekam ich eine Gänsehaut. Also beschlossen ich einen Pullover anzuziehen. Ich brauchte nicht mal einen Blick in meinen Schrank zu werfen, um zu wissen, dass ich, stolze Besitzerin von zwei Hoodies, die ich alle mit ins Internat nahm, heute keinen Pullover von mir anziehen werde.
Ich klopfte also an die Zimmertür meines Bruder, doch es kam keine Antwort. Also ging ich einfach rein und sah ein Oberkörperfreies, männliches Ebendbild von mir seelenruhig in seinem Bett schlafen. Er hatte einen sehr durchtrainierten Körper, was man an dem Sixpack auf seinem Bauch sehen konnte. Dazu hatte er ebenfalls wie ich braune Locken die wild auf seinem Kopf lagen. Als ich das sah bekam ich schon wieder leichte Aggressionen. Er schläft hier noch wie so ein unschuldiger Engel, dabei muss er aufstehen und sich fertig machen und mich dann mit zur Schule nehmen. Man könnte jetzt sagen, dass ich doch auch alleine mit Auto fahren kann. Das könnte ich auch, aber da wir nur ein Auto für uns beide haben und dieser Idiot auch irgendwie zur Schule muss, muss ich wohl oder übel auf ihn warten.
Ohne ihn zu beachten, ging ich zu seinem Schrank und öffnete diesen nicht gerade leise. Da er einen Schrank mit Schiebetüren hat, die sehr laute Geräusche von sich gaben, wenn man sie öffnete, konnte ich ein stöhnen hinter mir hören.
Ace war nun wach und drehte sich in seinem Bett um. Dabei legte er sein Kopfkissen auf seinen Kopf und grummelte irgendetwas in dieses hinein. Ein amüsiertes Grinsen schlich sich auf meine Lippen, während ich sagte:"Ist Dornröschen auch mal wach?"
„Haha, sehr witzig.", sagte er ironisch und machte überhaupt keine Anstalten aus seinem Bett aufzustehen. Stattdessen fragte er verwirrt:"Was machst du da eigentlich?"
Ich, die immer noch in seinem Schrank nach einem Pullover suchte, drehte mich zu ihm um, nachdem ich einen passenden Pullover gefunden hatte, und sagte erfreut über meinen Fund:"Ich habe mir was zum anziehen rausgesucht!"
Daraufhin zog ich mir den übergroßen grauen Champion-Pullover über und betrachtete mich in seinem Spiegel. Er zog eine Augenbraue hoch und sah mich skeptisch an.
Dann sagte er langsam:"In meinem Zimmer?"
Ich strich die Falten auf dem Pullover glatt und drehte mich dann zu ihm um, während ich einmal laut seufzte.
„Ich hatte keine Pullover mehr und dachte mir, dass ich mir einen von meinem Lieblingsbruder ausleihen kann.", sagte ich mit einer besonderen Betoung auf dem Wort „Lieblingsbruder" da er mein einziger Bruder war. Er konnte sich sein Lachen nicht mehr verkneifen und warf mit einem Kissen nach mir.
„Du bist Scheiße. Den wollte ich heute anziehen!", rief er mir nach, doch ich flüchtete aus seinem Zimmer, damit er seinen Hoodie nicht doch noch von mir bekam. Beim Herausrennen, erwiderte ich lachend:"Und du bist spät dran. Also beeil dich mal!"
Ich schnappte meinen Koffer und meine Schultasche und machte mich auf den Weg nach unten. Dort aß ich Müsli zum Frühstück und wartete auf meinen Bruder, der wieder mal zu lange brauchte, um sich fertig zu machen. Und ich dachte immer ich bräuchte lange im Bad. Wenn man vom Teufel spricht. Oder eher denkt.
Ace kam gerade in die Küche und machte sich etwas zu essen. Er hatte eine schwarze lockere Jeans an und einen komplett schwarzen Pullover.
„Und wo musst du hin? Zur Beerdigung oder was?", kommentierte ich stumpf seine ausgefallene Farbwahl der Klammotten. Ich bekam nur eine genervte Grimasse, die er mit den Worten
„Ich hätte ja gern etwas anderes angezogen, aber irgendjemand musste ja meinen grauen Pullover anziehen." unterstreichte. Die Betonung lag dabei auf „irgendjemand". Bei seinem Gesichtsausdruck konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten, weshalb ich laut los prustete und er mir seine Zunge rausstreckte.
Nachdem Dornröschen dann auch mal mit dem Frühstück fertig war, konnten wir dann endlich los.
Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde sind wir dann auch mal am Internat angekommen und waren sogar unter den Ersten, die an der Schule waren.
Wir fuhren auf den riesigen Parkplatz vor dem Internat, das einem alten adeligen Wohnsitz glich. Es war aus rotem Stein gemauert, der aber durch die Sonne schon seine Farbe verloren hatte. Dazu kamen die vielen riesigen Fenster, die das Haus schmückten und das Innere mit Licht fluteten. An den Mauern des Gebäudes wuchsen von unten Efeuranken hoch und hatten schon fast das Dach erreicht. So insgesamt sieht es genau so aus, wie man sich ein Internat vorstellt. Alt und gruselig.
Vor dem Hauptgebäude befand sich noch eine Bushaltestelle, für die Kinder, die mit Bus hier her fuhren. Der Parkplatz befand sich neben dieser. Sonst hat dieses alte Irrenhaus auch nur Wiesen, die von den Schülern genutzt werden können und noch einen kleinen Spielplatz mit einer Schaukel und einem Klettergerüst für die jüngeren Kinder, die hier zur Schule gingen.
„Und du dachtest wir kommen zu spät!", sagte Ace eher zu sich selber als zu mir, während er aus dem Auto ausstieg. Eigentlich hasste ich immer erste Schultage, aber an diesem Internat war das eigentlich ziemlich chillig. Man konnte sich ab 8 Uhr für die Zimmer eintragen und hatte dann den gesamten ersten Schultag Zeit, um sein Zimmer einzuräumen oder sich mit seinen Freunden zu unterhalten. Richtigen Unterricht hatte man erst am zweiten Schultag.
„Sorry, dass meine beste Freundin erst später kommt und ich sonst keine Menschen habe, die mir ein Zimmer reservieren.", sagte ich gespielt aufgebracht.
Er drehte sich zu mir um und sagte dann mit einem Grinsen auf dem Gesicht:"Diese Menschen, die mir ein Zimmer reservieren, liebe Lizzy, nennt man Freunde. Und außerdem bin ich dieses Jahr dran, ein oder besser gesagt zwei Zimmer zu reservieren.", sagte er, als würde er mit einem kleinen Kind reden, während er seine Hände auf meine Schultern legte.
Wie man schon leicht voraus ahnen konnte, sehen mein Zwillingsbruder und ich vielleicht gleich aus, aber sind vollkommen unterschiedlich.
Ich bin eher das schüchterne, nette Mädchen, dass keine Aufmerksamkeit will und nur eine beste Freundin hat, wohingegen er der coole, beliebte Typ aus der Schule ist, den jeder kennt. Zudem hat er dann noch 5 andere nicht schlecht aussehende Typen, die er wohl seine „Freunde" nennt.
Unsere Koffer ließen wir fürs Erste im Auto und gingen dann auf direktem Wege zum Sekretariat, um uns für ein Zimmer einzuschreiben. Wir waren so ziemlich die ersten im Sekretariat und trugen uns direkt ein.

Mein ach so toller Bruder schob sich vor mich und stützte sich mit seinem Unterarm auf dem Tresen ab und lehnte lässig an dieser. Dann legte er ein angeblich verführerisches Lächeln auf und fing an mit der Sekretärin zu flirten, was mich beinahe zum kotzen gebracht hätte. Nachdem er sie mit Komplimenten über ihre „tollen" Haare und ihre so „wunderbar funkelnden" Augen überhäuft hatte, sagte er:"Ich schreibe mich für zwei vierbett Zimmer ein und würde alle Plätze dort reservieren. Aber natürlich nur, wenn es Ihnen keine Umstände bereitet."
Die ältere Dame, die gefühlt auf Wolke Sieben saß, lächelte meinen Bruder verträumt an und blinzelte zwei Mal mit ihren fake Wimpern, die so lang waren, dass ich hätte schwören können, einen Luftzug durch ihr blinzeln gespürt zu haben. Dann begann sie mit einer um drei Oktaven zu hoch geratenen Stimme zu sprechen:"Das macht überhaupt gar keine Umstände. Und nenn' mich doch Dolores!"

Mein Bruder sah mich flüchtig an und wandte seine volle Aufmerksamkeit wieder Dolores zu.
„Okay, Dolores, ich reserviere für Jayden Parker, Alec Jones, Asher Cullen, Brandon Lewis, Hunter Davis und mich Ace Baker.", sagte er während er genau darauf achtete, was die gute Frau vor ihm aufschrieb, damit auch ja jeder von ihnen ein Bett in deren „Stammzimmer" bekam.
Ja, Stammzimmer. Jedes Jahr ist Jemand anderes aus deren Gruppe dran, der Sekretärin schöne Augen zu machen, damit sie ihnen immer das gleiche Zimmer reserviert. Das hat bis jetzt auch schon erstaunlich gut funktioniert.
Bei mir ist das eher so, dass niemand mit der unbeliebten Streberin in ein Zimmer will, weshalb auch ich mich jedes Jahr für das gleiche Zimmer einschreiben lasse und meine beste Freundin sich dann später dazu schreiben lässt.
Als der Chameur vor mir dann endlich fertig war und ich nun dran war fragte ich, so höflich wie ich bin:"Guten Morgen. Ich wollte mich für das Zimmer 104 einschreiben lassen. Mein Name ist Elizabeth Baker."
Sie tippte das in ihren Computer ein und sah dann wieder genervt zu mir und reichte mir meinen Schlüssel. Ich nahm ihr diesen ab, während die Frau mich angeekelt musterte.
Was hat die Frau bitte für Stimmungsschwankungen. Vor nicht mal einer Minute strahlte die Dame über das ganze Gesicht und jetzt sah sie mich schrottgenervt an. Erwartungsvoll sah sie mich aus ihren runden Augen an, die zur Hälfte durch ihre fake Wimpern verdeckt wurden. Dazu hatte sie übertrieben viel Schminke im Gesicht und fühlte sich damit wohl richtig selbstbewusst und schön. Dass die sich selber noch im Spiegle erkennt!
„Kurze Frage. Kann ich das zweite Bett für meine Freundin Cassandra Harris reservieren?", fagte ich schnell. Genervt aufstöhnend sagte sie nur:"Nein! Nächster bitte!"
Etwas verblüfft über den Ton, der in ihrer Stimme mit schwang, wand ich mich von ihr ab und ging durch die Tür auf den Flur. Als die Tür ins Schloss fiel, stupste Ace mich mit seiner Schulter an und sagte lachend:"Das kann halt nicht jeder! Nur die VIP's dürfen reservieren."
Daraufhin entfuhr mir ein trockenes Lachen und ich fing an zu sprechen:"Von wegen nur die VIP'S. So wie du mit der geflirtet hast, ging das gar nicht anders."
Wir gingen über den Flur und ich streckte meine Hände in die Luft und Tat so, als würde dort eine Schlagzeile erscheinen.
„Ich sehe es schon vor mir: Skandal an dem Castle Beaumont Internat. Schüler von Sekretärin aufgefressen.
So wie die dich angesehen hat, hätte sie dich liebend gern direkt auf dem Tresen abgeschlabbert.", sagte ich lachend. Daraufhin fing er laut an zu Lachen, was mich an unsere Kindheit erinnerte. Wir haben früher immer Höhlen zusammen gebaut und dann darin geschlafen und so getan, als wären wir Abenteurer, die einen Schatz suchen. Und immer wenn wir eingeschlafen sind haben Mom und Dad uns zugedeckt.
„Tja, irgendwie muss man sich ja helfen. Wenn ich schon nicht so schlau bin wie meine kleine Schwester, dann muss ich halt mein gutes Aussehen ausnutzen.", sagte er grinsend und deutete mit dem letzten Teil des Satzes daraufhin, dass ich letztes Jahr einen Notendurchschnitt von 1,0 hatte und seitdem als die Streberin des Jahrgangs galt.
Ich hasste diesen Namen. Ich hasste es generell, wenn er darüber sprach. Aber vermutlich meinte er es nur gut. Ich lächelte nur leicht und schültete ungläubig meinen Kopf.

„Du hast echt nen Schaden!"

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