Treffen wir uns morgen?
Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich Lisas Nachricht las. Meine Finger sträubten sich und die Luft schien einen gegen mich arbeitenden Wall zu erstellen, als ich schweren Herzens Ja, klar, klingt gut in mein Handy tippte.
Es war dunkel, im Übergang zwischen Tag und Nacht, wo die Laternen noch kein Licht spendeten und man blind durch die Straßen irrte.
Der Tag war im Rückblick ziemlich schön gewesen. Aber nicht schön genug. Und vor allem nicht lang genug. Die Stunden waren mir weggelaufen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Würde ich einen fatalen Fehler machen, wenn ich nicht schlafen ging?
Allerdings bemerkte ich langsam, wie ich anfing, müde zu werden, und mit mir die Welt um mich herum. Doch im Gegensatz zu ihr, die sich widerstandslos der einkehrenden Dunkelheit der Dämmerung hingab, kämpfte ich einen harten Kampf gegen meine immer gewichtiger werdenden Lider.
Ich verspürte den heftigen Drang, mich hinzusetzen und meinen ständig Bewegung ausgesetzten Beinen eine Pause zu gönnen. Jedoch nicht heftig genug, um tatsächlich das Risiko des Einschlafens einzugehen, in dessen Erfüllung die Zeit an mir vorbeirrennen würde, ohne dass ich es in meiner Trance überhaupt merkte. Mir kam der Gedanke, dass ich jetzt auch in einer Art Trance war, da mir nur unterbewusst klar war, dass der Tag morgen für mich das Ende nicht in der Nacht als Übergang zum nächsten morgen finden würde, und die Zeit mir sandartig durch die Finger floss.
Jedoch bewegte mich meine Müdigkeit zu der Frage, ob es einen Unterschied machte, wenn ich jetzt schlafen gehen und morgen mit der Sonne aufwachen würde oder ob ich spät schlafen und dann später aufwachen..oder... gar nicht. Mich überlief ein kribbeliger, kalter Schauer vom Scheitelpunkt bis in die Zehenspitzen. Da schien mir die Alternative doch sehr viel angenehmer. Daran würde sich jetzt auch mein Körper freuen.
Auf die Idee, meinen restlichen Aufenthalt in dieser Welt im wachen Zustand zu genießen, kam ich gar nicht erst. Die Müdigkeit überschattete mein Gehirn und trübte mein logisches Denken.
Einige Laternen gingen ob der nun deutlicher werdenden Dunkelheit an und zierten meinen Weg dort mit Licht, wo die Sterne mich nicht zu erreichen vermochten. Kleine, kugelige, gelbe Lichter, die am Rande meines Blickfeldes zu Kreisen mit undefinierbaren Rändern verschwommen und schließlich bloß noch ein Anhaltspunkt waren, der mich zwischen geöffneten und geschlossenen Augen unterscheiden ließ.
Irgendwann hörten die Lichter auf, da zu sein und in einem plötzlich kurzzeitigen, wachen Zustand begannen die Sterne, da zu sein und sich klar vom dunklen Himmel abzuheben. Nur der Mond blieb behaglich versteckt hinter seiner eigenen dichten Nebelwolke.
Und so erreichten die natürlichen Nachtlicher des Universums weder mich noch den Boden, auf dem ich lief. Vielleicht kitzelte das Sternenlicht sanft die obersten, letzten winterlichen Blätter der Baumkronen, die sich mühsam an die kahlen Äste hingen, längst alleingelassen vom Großteil ihrer Artgenossen, jedoch wenn, so blieb es für mich in der Höhe unsichtbar. Wie so viele Dinge.
Zum Beispiel würde ich nie einen Vogel aus der Nähe beim Fliegen sehen, dabei beobachten, wie er seine Flügel schwang und seine Freiheit in den Lüften gänzlich auskostete. Und so wirklich sehen kann das auch niemand. Nicht die Jäger, die ihn essen, denn Gedanken und Gefühle und Dinge wie Freiheit lassen sich nicht essen, sondern bleiben zurück als Bestandteil der Luft, die wir atmen. Und auch nicht die Förster mit den neuesten und besten Ferngläsern und Beobachtungsgeräten mit komplizierten Namen, die sich niemand merken kann. Denn sehen ist, auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt, nicht bloß ein Sinn der Augen.
Seine Freiheit sehen kann man nur, wenn man selber fliegt.
Wie schön es wäre, wenn ich nicht einfach von der Welt gehen würde und aufhören würde, zu existieren, sondern noch als Luft oder Flimmerstaub oder Reinkarnation in Form eines Vogels fliegen könnte und sehen könnte, was über mir abging. Vielleicht könnte ich dann ja auch vom Sternenlicht geführt und berührt werden.
Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich im Schlafen träumte oder noch im halbwachen Zustand einen Fuß vor den anderen setzte.
Erst als ich ankam, wurde mir bewusst, wie wach und doch am Schlafen ich war.
Nicht nur zu dem Zeitpunkt, sondern vielleicht auch schon immer.
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Bis der Mond die Sonne küsst
Teen Fiction„Wie lange hab ich noch?“, fragte ich, mein Gehirn stellte auf stumm während mein Herz einen Schnelllauf lief. Seine von der Zeit geprägten Augen blickten auf mich herunter, alt, müde. „Noch ungefähr zwei Tage“, sagte er. Ich war endlich. Das Ausmaß...