Nico-Teil 1 (3)

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Es war immer ein komisches Gefühl, wenn es hieß, dass wir einen neuen Schüler bekämen. Vor allem, da man nie wusste, wie diese Person war. Als er die Klasse betrat, wirkte er ein wenig schüchtern und zog die Kapuze seines Pullovers tief ins Gesicht. Dabei hatten wir mehr als 32°C und Hochsommer. Doch das schien er nicht zu merken. Unsere Lehrerin forderte ihn auf, sich vorzustellen, doch er antwortete ihr nicht. Er setzte sich in die letzte Reihe und blieb dort, bis der Tag aus war. Im Laufe des Tages hatte er kein einziges Wort gesagt. Er hatte weder Stift noch Heft oder Block dabei und hörte einfach nur zu. Am Ende des Tages verließ er das Gebäude, ohne mit einer einzigen Person geredet zu haben. Ich versuchte ihm vom Klassenzimmer aus zu beobachten, doch als ein Schulbus an ihm vorbeifuhr, verlor ich ihn aus den Augen.

Am nächsten Tag machten seltsame Gerüchte den Umlauf. Jedoch nicht über Nico, den neuen Schüler, sondern über einen grausamen Fund des Hausmeisters. Ein gehäutetes Eichhörnchen wurde angeblich im Turnsaal gefunden. Als Nico die Klasse betrat, sah ich, wie er seine Lippen zu einem leichten Lächeln verzog. Ich hatte bereits eine Vermutung gehabt und wollte ihn im Auge behalten. Bisher schien ihn niemand anders zu verdächtigen. Da ich nicht gerade viele Freunde hatte, wollte ich meinen Verdacht mit niemandem teilen, um nicht bloßgestellt zu werden. Kurz nach dem Beginn der ersten Stunde, gab es eine Durchsage des Direktors. Er bestätigte, dass etwas im Turnsaal gefunden wurde, ging aber nicht näher darauf ein. Er bat uns, die Augen offen zu halten. Seine Stimme klang seltsam belegt. Nach dem Unterricht folgte ich Nico, da ich wissen wollte, ob er für diese Tat verantwortlich war. Doch irgendwie schien er mich erkannt zu haben, denn er schaffte es, mich abzuhängen. So machte ich mich auf dem Weg zu meiner Bushaltestelle. Bevor ich in den vorfahrenden Bus einstieg, warf ich noch einmal einen Blick auf das Schulgebäude. Ein kalter Schauer lief mir plötzlich über den Rücken und ich beeilte mich damit, einzusteigen.
Zuhause angekommen, machte ich mir das Essen von gestern warm und schaltete den Fernseher ein. Ich war zwar allein im Haus, doch ich wurde den Gedanken nicht los, dass ich beobachtet wurde. Als ich den Abwasch machte, sah ich plötzlich Nicos Grinsen in meinem Augenwinkel. Ich fuhr mit schlagenden Herzen herum und stellte erleichtert fest, dass er nicht hinter mir stand. Eines meiner alten Fotos, die meine Mutter an den Kühlschrank gehängt hatte, zeigte mich mit einem Lächeln, dass dem von Nico ähnlich war. Auch heute hatte er die Kapuze nicht abgenommen, obwohl er von mehreren Lehrern dazu aufgefordert wurde. Irgendwann hatten es die Lehrer aber aufgegeben und meine Mitschüler hatten ihn ausgeblendet. Ich nahm mir vor, morgen einen Versuch zu starten, um ihn besser kennenzulernen. Ich hatte zwar noch nie einen Wechsel unter dem Jahr gemacht, aber es war sicher nicht einfach, seine Freunde zu verlassen.

Ich hatte schon ein schlechtes Gefühl, als ich die beiden Polizeifahrzeuge auf dem Schulhof sah, doch dieses schlechte Gefühl verwandelte sich erst in Panik, als ich den Direktor zusammen mit zwei Polizisten vor meinem geöffneten Spind sah. Eine Traube von Schülern hatte sich ebenfalls versammelt, die vom Direktor immer wieder verscheucht wurde. Als ich weggehen wollte, packte mich eine Hand an der Schulter. Es war ein dritter Polizist, der seinen beiden Kollegen zu rief, dass sie mich erwischt hatten. Ich verstand nicht, warum sie meinen Spind geöffnet und nach mir gesucht hatten und folgte den Polizisten in das Büro des Direktors. Den Direktor selbst verwehrten die Polizisten den Zutritt. Sie wollten von mir wissen, warum ich die Tiere umgebracht hatte. Als ich ihnen keine Antwort gab, weil ich nicht wusste, wovon sie sprachen, erzählte mir der leitende Polizist, dass heute in der Früh eine gehäutete Katze gefunden wurde. Der Hausmeister wäre einer Blutspur gefolgt, die bei meinem Spind geendet hatte. Nachdem der Direktor meinen Spind geöffnet hatte, rief er die Polizei. Im Inneren meines Spindes sollen gestohlene Skalpelle, Salz, sowie ein blutverschmierter Pullover gefunden worden sein. Laut einem der Beamten, soll ich das Salz in die Wunden der noch lebenden Tiere gestreut haben, um ihre Qualen zu vergrößern. Er schien sich zusammenzureißen, um mich nicht anzuspucken. Ich versuchte diese Informationen zu verarbeiten und hoffte, dass das hier alles nur ein Scherz sein sollte. Doch keiner der Beamten fing an zu lachen. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ein Missverständnis vorliegen musste, doch sie glaubten mir nicht. Der leitende Beamte drehte den Bildschirm des Computers zu mir um und spielte die Aufnahme einer Überwachungskamera ab. Der Zeitstempel bestätigte, dass es gestern Nacht war. Eine Person hatte einen Köder ausgelegt und sich anschließend eine nähernde streunende Katze gefangen. Die Person drehte sich um und näherte sich der Kamera, um die Katze zu präsentieren. Man konnte das breite Grinsen der Person sehen, bevor sie sich hinkniete und am Boden vor der Kamera anfing, die Katze zu bearbeiten. Ich starrte vor mich hin und spürt zuerst gar nicht, wie mir Handschellen angelegt wurden. Dieses Grinsen. Die Qualität der Kamera war so schlecht, dass man keine Gesichtszüge erkennen konnte. Und trotzdem wusste ich, dass diese Person gegrinst hatte. Wieso?

Ich wurde vor den Augen der gesamten Schule abgeführt. Ich blickte in die Menge der versammelten Schüler, ohne sie direkt anzusehen. Ich konnte mir vorstellen, wie sie miteinander tuschelten und Gerüchte über den Grund meiner Verhaftung austauschten.
Weinte ich in diesem Moment? Ich konnte mich im Nachhinein nicht mehr erinnern. Ich sah Nico in der Nähe, der langsam die Kapuze zurückzog und die Hand nach mir ausstreckte. Zuerst verstand ich nicht, was ich vor mir sah. Erst als seine Hand meine wieder losließ, wurde mein Blick langsam klarer. Der Grund, warum niemand mit mir redete und warum ich keine Freunde in der Klasse hatte. Tatsächlich hatten alle versucht, mit mir zu reden, doch ich hatte nicht bemerkt, dass sie mit mir redeten. Ich dachte, sie meinten den Jungen am anderen Ende des Klassenzimmers. Doch dieser Junge war ich. Ich war der neue Schüler. Ich war Nico Korat. 

Kurzgeschichten-Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt