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Ich zuckte die Schultern. "Hab' ich von Lou erfahren."
Marc wandte sich ab und schob sich erneut eine Gabel voll Kuchen in den Mund. "War ja klar."
Ich hob die Schultern und lehnte mich in den Türrahmen. "Also, was möchtest du?"
Marc kaute das Stück Kuchen im Mund gründlich durch, ehe er antwortete: "Keine Ahnung. Wollte dir nur etwas Gesellschaft leisten."
Ich lachte innerlich auf. Ausgerechnet er. Ich marschierte zum Kühlschrank, nahm mir einen Joghurt hinaus und löffelte ihn gelehnt an die Küchentheke.
Schweigen. Von wegen Gesellschaft.
Metall klapperte auf Porzellan, als Marc sein benutztes Geschirr in die Spüle stellte und ins Wohnzimmer ging, um den Fernseher anzuschalten.
Ich verdrehte die Augen ob des belanglosen Geplänkels, schmiss meinen Joghurtbecher in den Müll und den Löffel in die Spüle. Dann ging ich zu meinem Bett und ließ mich darauf fallen, während ich mein Handy rausholte. Marc beobachtete mich nachdenklich.
"Und, wie geht es dir?"
Entgeistert senkte ich mein Handy und starrte ihn an. "Spiel' nicht meinen Therapeuten, denn das bist du nicht."
Marc blickte in eine andere Ecke des Raumes und zuckte die Schultern. "Du hast Recht."
Genugtuung machte sich in mir breit, als ich die Worte von ihm hörte, musste unwillkürlich lächeln und verbarg mein Gesicht schnell wieder hinter meinem Handy.
"Aber...", fügte er hinzu und ich blickte vorsichtig wieder zu ihm. "Wenn du nicht mit mir redest, dann mit dem Therapeuten und du fliegst noch heute zurück." Auch nach Beendigung des Satzes blieb sein Blick auf mir liegen. Lange, und ich merkte gar nicht, wie mir der Mund offen stehen geblieben war.
"Rühr' nicht in trüben Gewässern, denn da weißt du nie, wie tief und dunkel sie sein können", meinte ich kopfschüttelnd und mein Blick war finster geworden. " Glaub' mir, Therapeut ist eine Position in meinem Leben, die du nicht einnehmen möchtest."
Er antwortete meinem Blick mit einem sehr offenen, fast hätte ich gesagt neugierig. "Hast du mir etwa gedroht? Klang etwas wie eine Drohung."
Ich lachte nur bitter auf, erinnerte mich an all die Sitzungen, in denen ich meinen Therapeuten gekränkt und gedemütigt hatte und doch hatte er mich nie aufgegeben. Er war eine gute Seele, vielleicht der beste Teil in meinem Leben.
"Dein Therapeut hat mich darauf vorbereitet. Aufgrund deiner Borderline-Persönlichkeitsstörung..."
Ich hob die Hand und unterbrach ihn so. "Na gut. Aber du bist selbst verantwortlich."
Marc neigte den Kopf.
"Also...", fing ich an und starrte zum Fenster, als könnte ich nicht Nachdenken, wenn ich den Blick hob. "In letzter Zeit hat mich die Arbeit ziemlich geschafft." Ich warf Marc einen schnellen Blick zu und sah, dass er mich intensiv musterte. "Nicht körperlich", ergänzte ich eilig und mein Blick begutachtete die Bettwäsche unter meinen Fingern. "Eher... eher psychisch." Mein Chef sagte kein Wort und wartete geduldig, dass ich weitersprach. Darin war er wirklich Weltmeister. Im Schweigen. Ein erschöpfter Seufzer entfloh meiner Kehle, in der er bis jetzt gefangen gewesen war. "Ich weiß nicht genau warum. Irgendwie ist er Fall doch ganz schön kniffelig. Im psychischen Sinne. Keine Ahnung. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Clayton hier mit drinhängt." Ich starrte wieder zum Fenster. "Mir ist kalt", meinte ich auf einmal.
Marc runzelte die Stirn, klopfte dann aber aufs Sofa neben sich. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und flitzte zu ihm. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und genoss seine Wärme. Er breitete eine Decke aus und warf sie über uns beide.

Am nächsten Morgen ginge ich früh Joggen und Duschen, bevor ich mich auf zu Lou machte. Der dicke Gips-Verband war gegen einen dünneren Verband ausgetauscht worden, wodurch ich ihn besser kaschieren konnte. Außerdem war er aus einem wasserabweisenden Material, was ich echt praktisch fand. Als ich das erste Mal so einen "Vorfall" hatte, musste ich danach ewig einen fetten Stoffverband tragen, der das Anziehen fast unmöglich machte und das Duschen ein sehr umständliches und abenteuerliches Unterfangen. Ich wusste nicht genau, was noch auf dem Plan stand, aber ich ließ mich überraschen. Schon auf der Treppe kamen mir vollgepackte Möbelschlepper entgegen und ich wunderte mich sehr. Als ich vor der Wohnung ankam, war sie schon halb ausgeräumt. Verwundert blieb ich im Weg stehen, als ein paar Männer den Kaffeevollautomaten aus der Wohnung trugen.
"Entschuldigung, junge Frau, Sie stehen im Weg", meinte der große Kräftige.
Schnell trat ich zur Seite und schritt vor, um Lou zu suchen. Sie kam mir aus der inzwischen leeren "Küche" entgegen.
"Was ist denn hier passiert?", fragte ich sofort.
"Das Zeug wird schon eingepackt, weil wir ja übermorgen zurückfliegen." Lou gestikulierte in die Richtung, in der sie Westen vermutete.
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Wir haben doch unsere Täter noch gar nicht geschnappt."
"Falls unser Zugriff nicht erfolgreich sein sollte, kann der Flug natürlich storniert werden", erklärte Lou diplomatisch.
In Gedanken verloren folgte ich mit den Augen einen Möbelpacker mit Lou's Computer. "Und wie werden wir jetzt weiter ermitteln?"
"Gar nicht", meinte Lou leichtfertig und wedelte gleich wie wild mit dem Armen, wie um ihre letzte Aussage zu leugnen. "Wir nutzen einfach die Ressourcen der örtlichen Polizei."
"Ha." Halbherzig lachte ich auf.
Sie wiegelte es ab. "Ganz so viel gibt es ja nicht mehr zu ermitteln."
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Das sagst du", meine ich, "aber Marc ist da möglicherweise anderer Meinung."
"Du bist doch an der Quelle, du müsstest es doch am ehesten wissen", grinste sie verschmitzt und zwinkerte mir zu, während sie sich die Jacke überwarf. Ich verdrehte genervt die Augen. "Okay, okay", beschwichtige sie mich. "Ich hör' ja schon auf."
Gemeinsam gingen wir hinaus in Richtung Polizeirevier.
"Was haben wir vor?", fragte ich, als wir um die Ecke bogen und ein frischer Wind unter meine Jacke fuhr.
"Mit dem Handy des Mordopfers rumspielen", rief mir Lou zu und sprang die Treppen zur Polizei hinauf. Ich folgte ihr weniger beschwingt.
Auf dem Gang begegneten wir einem Polizisten, der Tony Doyle von den Verhörräumen zurück in seine Zelle schaffte.
Er war mir einen bösen Blick zu. "Na, hat es Spaß gemacht, mir Liebe vorzugaukeln?"
Missmutig kniff ich die Augen zusammen. "Ich habe nur meinen Job gemacht", presste ich hervor.
"Ja klar", knurrte er. "Bestimmt war ich auch der Verdächtige für dich."
"Natürlich", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Aber hoffentlich ist dir inzwischen klar, dass du falsch lagst." Seine Stimme triefte vor Hohn, dass ich falsch gelegen hatte.
Süß-sauer lächelte ich ihm mit schief gelegen Kopf zu. "Fehler passieren nunmal."

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