6 | Das, in dem ich Glück brauche

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Nur ein absoluter Schwachkopf (in dem Fall war es unser Schuldirektor) konnte auf die Idee kommen den alljährlichen Wandertag in den November zu legen. Es war viel zu kalt, um den ganzen Tag draußen durch die Wälder zu streifen, sich bestenfalls nur einmal zu verlaufen und schließlich mit einstündiger Verspätung verschwitzt und erkältet zuhause anzukommen. Dass der Wandertag immer auf einen Freitag gelegt wurde, sollte meiner Meinung nach nur verhindern, dass sich die Schüler für den nächsten Tag krankmelden konnten. Wenn sie sich tatsächlich eine Erkältung eingefangen hätten, würden sie diese idealerweise am Wochenende auskurieren und könnten montags putzmunter zum Unterricht erscheinen. Dass mir mit dem Wandertag der Großteil meines freien Tages gestohlen wurde, wurde regelrecht ignoriert.

Die schlimmste Vorstellung, die ich mir ausmalte, war, dass wir uns wirklich den halben Tag durch die Sträucher schlagen mussten, bewaffnet mit Landkarten, Kompass und irgendwelchen Koordinaten, denen wir bis zum Geht-nicht-mehr hinterherjagen mussten. Die Verlustrate einer solchen Aktion war schier immens. Wenn es nach den Lehrern ging, konnte man ein oder zwei Schüler weniger am Wandertag ja vielleicht sogar verkraften. Und wer weiß? Vielleicht würde uns das Wandern ja irgendwann doch Spaß machen.

Aber nein. Es kam noch schlimmer. Ein Ausflug in den Freizeitpark. Müsste ich nicht mit der Schule dorthin fahren, hätte ich mich darüber sicher gefreut. Ich war seit mindestens einem Jahr nicht mehr im Freizeitpark gewesen. Mit Paul oder Emma oder Lucy hätte ich diese Flucht aus der Realität bestimmt genießen können. Aber beim Wandertag würde auch Aiden dabei sein. Meine Freude hielt sich daher merklich in Grenzen. Acht Stunden lang so tun, als hätte ich den Spaß meines Lebens, während Aiden sich mit seinen Freunden direkt vor meinen Augen amüsierte? Spaß klang für mich definitiv anders. Dann zog ich doch lieber den richtig altmodischen Wandertag durch die heimischen Wälder, bei dem man zur Not wusste, wie man wieder nach Hause kam, vor. Bei unserem Ausflug in den Freizeitpark gab es keine Fluchtmöglichkeit.

Frau Lammer, als unsere Stammkurslehrerin, hatte für die Wahl des Ausflugsziels äußerst grimmig eine ihrer heiligen Deutschstunden geopfert. Dass der Wandertag immer näher rückte, machte ihr merklich Stress. Sie war gerne vorbereitet und viel Zeit zum Planen hatte sie nicht gehabt, weil Herr Kowalski erst in der letzten Woche eingefallen war, dass der diesjährige Wandertag noch ausstand. Neuerdings hatte er die Aura des zerstreuten Professors angenommen, was einige fantasievolle Überlegungen mit sich zog - sowohl unter Schülern als auch unter Lehrern. Der sonst so durchsetzungsstarke Schuldirektor ließ den Schülern in letzter Zeit ziemlich viel durchgehen. Insbesondere ein Schüler regte sich darüber besonders auf.

„Hätte ich das gemacht, hätte ich sofort den nächsten Schulverweis bekommen.", schnauzte Malte einen verängstigten Fünftklässler an, der wenige Sekunden zuvor mit seinem Skateboard durch die Hallen gedüst war. Herr Kowalski hatte ihn lediglich mit einem lauten „Sofort runter da.", gerüffelt und war dann fix weitergegangen. Für Malte stand außer Frage, dass das Verhalten des Schulleiters von der Begegnung mit einer Frau herrührte.

„Hätte ich gewusst, dass dem Alten nur eine Frau fehlt, damit er sich mal wie ein Mensch benimmt, hätte ich ihm damals mal eine klar gemacht.", hatte Malte weitergeplappert, ohne zu bemerken, dass Frau Lammer klammheimlich hinter ihm aufgetaucht war und aufmerksam zuhörte. Ich schlug mir die Hand auf den Mund, um nicht laut loszulachen. Sebastian und Lukas ließen ihren Kumpel gnadenlos mitten ins Messer laufen. Malte meinte wohl, dass ihre belustigten Mienen seinem Plan galten, und zuckte ungerührt mit den Schultern.

„Ist doch wahr. Meine Tante könnte auch mal einen Mann gebrauchen. Die ist 50 oder so. Bei jeder Familienfeier meckert sie nur, dass sie keinen Mann abbekommt und ext eine Weinflasche nach der anderen. Früher war das ja mal ganz witzig, aber langsam wird es echt nervig. Vor allem, weil ich immer mein eigenes Bett hergeben muss, das sie dann vollkotzt. Das ist doch scheiße, Mann. Deswegen bekomme ich auch immer schlechte Noten. Der Kowalski ist sexuell so frustriert, dass er..."

Katara - Bound To Trust (2)Where stories live. Discover now