69 | Ich atme.

1.6K 296 55
                                    

„Mandelmilch ist okay", höre ich Leons Stimme und zucke zusammen. Noch immer starre ich zu dem Tisch, an dem Arthur und Tessa sich hinsetzen und kann selbst von hier erkennen, dass es Arthur nicht gut zu gehen scheint. Er meidet es offensichtlich mich anzusehen, aber unter seinen Augen sind Schatten zu sehen und er wirkt allgemein niedergeschlagen.

Warum? Ist es wegen mir? Mich macht es traurig, Arthur traurig zu sehen. Geht es ihm wohl umgekehrt ebenso, auch wenn er sich nicht für mich entschieden hat?

Vielleicht ist es auch gar nicht wegen mir, sondern wegen Corin. Geht mich das überhaupt etwas an? Ich lebe jetzt mein eigenes Leben.

Corin hat Arthur schon einmal verletzt, vielleicht ist das jetzt wieder passiert?

Wenn er das gewagt hat, dann–

„Hey Felix." Janis' Hand liegt auf meinem Unterarm und ich reiße meinen Kopf zu ihm herum.

„Mandel, alles klar!", presse ich hervor und flitze hinter den Tresen. „Sorry, ich hatte die Hafermilch zwar auf die Bestellliste geschrieben, aber bin noch nicht dazu gekommen, neu zu ordern und sie war wohl komplett leer", plappere ich los. „Sonst kann ich auch schnell in den Supermarkt gehen und welche holen, denn wenn euch Mandel nicht schmeckt, ist das–"

„Felix, atmen!", weist Leon mich an und ich klappe einfach nur meinen Mund zu. „Tief durch die Nase ein."

Ich tue, was er sagt und sauge die Luft tief durch meine Nase in meine Lungen.

„Und langsam durch den Mund aus."

Wieder leiste ich seinen Worten Folge und lasse meinen Atem durch meinen nun leicht geöffneten Mund strömen. Es kommt wie ein langes „Puhhhh" heraus und ich reiße die Augen auf.

„Können wir dir irgendwie behilflich sein?", fragt Janis, während ich versuche, weiter zu atmen.

Energisch schüttle ich den Kopf und stelle ihnen endlich ihre bestellten Milchkaffee mit Mandelmilch auf den Tresen. Janis meint es gut, aber ich muss das allein schaffen. Ich lebe mein Leben.

„Wir sind hier und geben dir Rückhalt", lächelt Leon mich an und während ich um den Tresen herum auf den Tisch, an dem Arthur und Tessa sitzen, zugehe, denke ich über seine ungewöhnliche Wortwahl nach.

„Hey Felix", begrüßt Tessa mich freundlich.

„Hallo Tessa", sage ich leise und noch leiser: „Hallo Arthur."

Tessa tritt nicht besonders unauffällig gegen Arthurs Knöchel und sieht ihn eindringlich an.

„Hi", krächzt er und ich habe das Gefühl, mein Herz bricht noch ein kleines Bisschen mehr.

Wird es jetzt immer so sein, wenn wir uns begegnen?

„Wie ... äh ... geht es Carlo?", wende ich mich wieder an seine beste Freundin und werfe einen Blick auf den schlafenden Säugling im Kinderwagen.

„Er schläft, er schreit und ist furchtbar süß", fasst sie kurz zusammen. „Könnten wir hier frühstücken?"

Oh, sie wollen länger bleiben? Ich bin nicht sicher, ob mein Herz das aushält und wenn ich Arthurs geschockten Gesichtsausdruck richtig deute, scheint auch er sich nicht sicher zu sein, ob er das durchsteht.

„K-Klar", drücke ich heraus. „Koffeinfrei für dich?"

„Sehr gern, wegen dem Frühstück schauen wir noch."

Ich nicke und haste wieder hinter den Tresen, wo ich mich an der Arbeitsfläche festhalte und versuche, wieder ruhig durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen.

Meine Vorsätze von heute Morgen kommen mir auf einmal vollkommen lächerlich vor.
Wie soll ich ein eigenes Leben führen, wenn ich Arthr ständig begegne? Wie soll ich allein glücklich werden, wenn ich das Glück, das ich mir eigentlich wünsche, immer wieder vor Augen gehalten bekomme, es aber doch nicht erreichbar für mich ist?

Das Bedürfnis mich wieder zusammenzukauern ist unbändig groß und ich schließe angestrengt meine Augen, um nicht wirklich wieder wie ein weinendes Kind in einem gut besuchten Café voller Menschen zusammenzubrechen.

„Atmen", redet Leon beruhigend auf mich ein. „Eine Sache nach der anderen, Felix."

Zögerlich öffne ich meine Augen und sehe zwischen ihm und Janis hin und her. Janis lächelt mich aufmunternd an, genau wie sein Freund.

„Erzähl uns einfach, was du gerade tust, okay?", schlägt Leon vor. „So konzentrierst du dich nur auf diese Sache und dein Kopf hat keine Zeit, etwas anderes zu tun."

Ich schlucke schwer und nicke, greife zwei Tassen aus dem Regal hinter mir und fange an, meine Handlungen laut anzusagen: „Ich nehme zwei Tassen und stelle sie bereit. Dann mahle ich die Bohnen für den Milchkaffee für Arthur. Dabei frage ich mich, ob Arthur wohl meinetwegen so traurig aussieht. Jetzt muss ich die Milch in die Tasse füllen, um sie anschließend zu erwärmen."

Janis schaut mit einem verständnisvollen Blick zu Leon, der mir weiterhin aufmerksam zuhört.

Ich stocke kurz, denn vermutlich war das mehr Information, als von mir erwartet wurde.

„Sprich weiter", weist Leon mich an. „Wir hören dir zu. Was kommt als Nächstes?"

Wunschdenken | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt