Teil 7

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Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb der Aufzug endlich stehen und mit lauten Ächzen stemmten sich die Türen auf. Wie war es möglich das zwei Welten so gleich und doch so unterschiedlich waren? Auf dem ersten Blick schien der Untergrund genauso zu sein wie die Stadt oben. Überfüllt und laut. Doch bei genaueren hinsehen konnte man erkennen, dass es hier unten mehr gab. Und zwar pures Chaos. Etliche Gänge gingen in alle mögliche Himmelsrichtungen ab und nicht nur das. Wie eine Spirale schraubten sich ein weiterer, breiter Weg in die Tiefe, keine Ahnung wie viele Kilometer weit. Auf jeden Fall tief genug um sehr lange zu fallen. Und sich alle Knochen zu brechen. Ich lehnte leicht gegen dem rostigen Geländer, dem einzigen Schutz gegen den Abgrund, und blickte fasziniert in die Tiefe. Die Spirale des Weges wurde nach unten hin immer kleiner und verschwand schließlich als weißlicher Streifen in der Schwärze des Untergrunds. An einer Seite war der Weg, abgesehen von rostigen Zäunen, ungesichert. Die andere Seite dagegen war aus massiven Stein und es waren Häuser, Geschäfte und Abzweigungen hinein gehauen. Um ein Haar wäre es der letzte Anblick gewesen, den ich jemals gesehen hätte. Ohne eine Vorwarnung bog das alte Geländer sich nach vorne, brach aus dem Boden und stürzte in die tiefe. Und da ich mich gegen das blöde Stück Rost gelehnt hatte, stürzte ich auch. Zumindest fast. Nikki bekam mich im letzten Moment am Kragen zu packen und zog mich so abrupt vom Abgrund weg, das ich stolperte und, wieder mal, auf meinen Hintern landete. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich auf die Stelle an der ich gerade noch gestanden hatte, mein Herz raste so schnell in meiner Brust, das ich Angst hätte das es gleich stehen bleiben würde.  Ich weinte plötzlich, warum wusste ich selbst nicht. Vielleicht weil ich mich so erschrocken hatte. Man stürzte ja nicht jeden Tag fast in den Tod. Es war aber auch unwichtig, denn kaum rollten die Tränen über meine Wange, hörte ich schon wieder auf zu weinen. Mit dem Ärmel wischte ich mir über die Augen und lächelte schief zu Nikki hoch, die neben mir stand und irritiert auf mich hinab sah. Sie mochte es nicht wenn ich weinte, das wusste ich. Deswegen bemühte ich mich, die Tränen zu unterdrücken. Welches Kind wollte auch vor den älteren als Heulsuse dastehen? Ich schniefte nochmal kurz und rappelte mich auf »Danke« murmelte ich nur zu Nikki. Meine Freundin verzog ihre Lippen wieder zu einen Lächeln »Manchmal frage ich mich ja wie du überhaupt überlebst wenn ich nicht in der Nähe ist« witzelte sie und lief dann auch schon mit großen Schritten weiter »Komm jetzt. Wir haben noch was zu tun.«

»Ja, das frag ich mich auch manchmal« murmelte ich leise zu ihrer ersten Bemerkung. Ich war oft etwas gedankenversunken, oder verträumt wie Frau Isses immer meinte, aber vorsichtig war ich eigentlich auch. Wie ich immer zu solchen Nahtoderfahrungen kam war mir selbst rätselhaft. Aber zu meinen Glück war irgendwie immer jemand in der Nähe um zu helfen. Das Glück war mit den Narren, gab es da nicht irgend so einen Spruch? Mein Gedächtnis war auch nicht mehr das beste. Nikkis Gedächtnis schien aber sehr gut zu sein, denn sie lief so zielstrebig voraus das ich mir sicher war, dass sie schon öfters hier war.  Was etwas verwunderlich war, denn soweit ich das mitbekam, verließ sie ihr Zimmer kaum. Aber offenbar schaffte sie es irgendwie, sich immer heraus zu stehlen, tagsüber vermutlich. Denn wenn sie Nachts raus ging, nahm sie mich in der Regel mit. Etwas vorwurfsvoll darüber, das sie mich zu solchen Abenteuern wie diesen nie mitnahm, warf ich einen finsteren Blick zu ihr hoch, aber sie bemerkte es nicht mal. Nikki war damit beschäftigt die kleine, eckige Scheibe zu bedienen. Smartphone nannte sie das, eine alte fast vergessene Technik die langsam wieder modern wurde. Sie hatte es selbst zusammen gebaut. Was genau man mit dem Ding machte wusste ich aber nicht, es erschien mir ziemlich nutzlos. »Was machst du da?« fragte ich trotzdem neugierig und stellte mich auf die Zehnspitzen, um einen Blick auf das Display erhaschen zu können. Allerdings war Nikki deutlich größer als ich, leider. »Ich navigiere« erklärte sie mir und zeigte mir kurz das Smartphone, auf dem zahlreiche Striche und Linien eingezeichnet waren, eine davon war Rot »Dem Roten da müssen wir folgen« fügte sie erklärend hinzu und zog dann das Gerät wieder aus meiner Sichtweite. Aber ich war mit der Antwort zufrieden. So schaffte sie es also sich hier nicht zu verlaufen, also doch keine versteckten Abenteuer. Gut. 

Da Nikki wie immer wenig redete und vermutlich auch zu konzentriert war, schaute ich mir lieber die Umgebung an. Die Häuser hier waren direkt in die Steinwände gehauen. Die Öffnungen für Türen und Fenstern sahen gruselig aus, wie dunkle und verzerrte Augen und Münder von Steinmonstern. Aber ich war natürlich zu alt um noch an Monster zu glauben. Obwohl über einigen Häusern Neonreklame hingen, schien es hier keine Läden zu geben, anders als bei dem Spiralweg, von dem wir soeben gekommen waren. Wo kauften die Leute ihr Zeug? Oben? Das wäre aber jedes Mal  einkaufen ziemlich aufwendig. Urplötzlich bog Nikki ab, in einer der Tunnel der sich nach und nach langsam absenkte und offenbar nach unten führte. Fast wäre ich weiter gelaufen, aber auch nur fast. Ich warf nochmal kurz einen Blick zu dem dünnen Weg auf dem wir bisher gelaufen waren und dann einen Blick nach hinten, auf die Strecke, die wir bereits zurück gelegt hatten und die kein bisschen anders aussah als alles andere. Ich hatte nach einen Orientierungspunkt gesucht, fand aber keinen. In der Sache musste ich mich also auf Nikki verlassen. Die Gänge die wir nun abwanderten waren verwinkelt, mit niedrigen Decken und fast komplett Dunkel, weil es hier keine Leuchtreklame, geschweige denn Lampen gab. Nur durch manche Fenster fiel ein wenig Licht. Wir wanderten immer weiter und weiter herum, mal hier hin und mal dort hin. Langsam taten meine Füße weh, das ewige rum laufen war ich nicht gewohnt. »Wie lange laufen wir schon? Ich will nicht mehr« wand ich mich jetzt doch jammernd an Nikki. Sie blickte kurz von ihrem Smartphone auf »Fast zwei Stunden und wir sind gleich da« informierte Sie mich. »Ich glaube dein Ding da ist kaputt« seufzte ich. Wo wollte sie bitte schön hin das wir so lange laufen mussten? Zum Mittelpunkt der Erde? Und überhaupt, wir mussten ja auch wieder zurück! Den ganzen Weg und dann auch wieder zum Waisenhaus. Heute Abend wäre ich sicher wie Tod. Aber andererseits war es besser als im Zimmer zu hocken. Nikkis 'gleich' entpuppte sich als eine weitere halbe Stunde. Aber dann waren wir endlich da, zumindest hofften meine Füße und ich das. Der Tunnel öffnete sich zu einen gigantischen Saal, um dieser sah ein wenig aus wie aus einen Märchenbuch.

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