Mein neues Haustier kam mir erst wieder in den Sinn, als es zu spät war und das Küchenmädchen am Abend mit seinem Tablett auftauchte. Kaum hatte ich geöffnet, schoss die Katze wie ein Blitz unter dem Bett hervor, zwischen den Füßen der Magd hindurch und hinaus auf den Gang.
Die junge Frau erschrak darüber so sehr, dass sie ins Taumeln geriet und ihr die Suppenschale aus der Hand fiel. Möhren und Erbsen ergossen sich über den Boden.
Sie gab einen verzerrten Entsetzenslaut von sich und kauerte sich zusammen, als erwarte sie, dass ich nach ihr schlüge. Doch ich hatte nur Augen für die Katze, die den Flur entlang sauste.
„Entschuldige", sagte ich und drängte mich an dem Mädchen vorbei. „Bin sofort wieder da!"
Sie rief mir etwas hinterher, aber ich beachtete sie nicht. Um das Malheur konnte ich mich später kümmern. Zuerst musste ich unbedingt die Katze einfangen.
Mir kam in dieser Situation gar nicht in den Sinn, dass ich gegen das einzige Gebot verstieß, das die teiranda mir erteilt hatte: das Gemach nicht allein zu verlassen. Nun, ich hatte immerhin nicht vor, wegzulaufen oder zu fliehen.
Aber die Katze wollte ich nicht hergeben. Wahrscheinlich hätte yarl Moréaval sie mir gar nicht bringen dürfen. Wie sähe es aus, wenn er feststellen würde, dass ich auf sein Geschenk nicht achtgegeben hatte?
Ich rannte den Flur entlang und sah gerade noch den Katzenschwanz um die Ecke verschwinden. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, ob der Grundriss des Gebäudes überhaupt solche Abzweige vorsah.
Zum Glück begegneten mir hier keine Leute. Sicher, wenn hier dieselben Bräuche herrschten wie in Valvivant, waren sie bestimmt alle zum Nachtmahl in der Halle versammelt. Mit etwas Glück würde ich die Katze packen können und wieder zurück in der Kammer sein, bevor es jemand merkte.
Sie sprang einen Aufgang mit einer Wendeltreppe hinauf. Ich stolperte hinterher und hatte alle Mühe, nicht auszurutschen, als die Stiege auf halber Strecke jäh die Richtung ihrer Spiralkurve änderte und außerdem die Stufen plötzlich alle unterschiedlich hoch waren.
„Komm zurück!", lockte ich und zog mich am Geländer hoch. „Komm her! Ich will dir doch nichts Böses!"
Tatsächlich blieb sie einen Augenblick oben am Treppenabsatz sitzen und starrte mich herausfordernd an. Fast hätte ich sie berühren können. Ihre Augen leuchteten intensiv, wie hellgrüne Jade.
Und schon jagte sie wieder weiter, einen Flur entlang, der sich endlos weit und schnurgerade in die Ferne erstreckte, wie ein Tunnel.
Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich rannte hinterher, während sie scheinbar wahllos durch offene Türen schlüpfte, die auf weitere gerade und verschlungene Korridore führten. Manche waren so kurz, dass ich im Schwung fast vor eine Wand gelaufen wäre. Dann ging es wieder Stiegen hinab, die abrupt von Luken im Boden abgingen und über Galerien, von denen aus ich in kleinere, menschenleere Säle blickte.
Endlich sah ich sie in einer Fensteröffnung sitzen, so als ob sie auf mich warte. Draußen ragte in einer halben Armlänge Abstand eine blanke Mauer auf.
Ich schnappte nach Luft. So viel Bewegung nach dem langen Herumsitzen war ich nicht gewohnt. Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals; ich hatte Seitenstiche und war völlig außer Atem. Wenn ich jetzt weiter rannte, würde ich ganz bestimmt kollabieren.
„Bitte", keuchte ich und streckte die Hände nach ihr aus. „Bitte, bleib bei mir."
Sie miaute. Ich bildete mir ein, dass es höhnisch klang. Dann sprang sie und verschwand in der Schlucht zwischen den beiden Mauern.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele
FantasyEin Artefakt. Zwei Magier. Ein uralter Konflikt. Ebenen, die verwischen, Perspektiven, die sich verschieben. Als ein magischer Schlüssel sie in eine fremde Welt versetzt, ist Ujora überzeugt, zu träumen. Aber wird sie im Traum finden, was sie in der...