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Ich beschleunigte meine Schritte, während ich durch den Eingang des Wohnheims ging. Ich musste mit Kennedy reden. Die unausgesprochenen Worte zwischen uns ließen mich fast schon physisch schmerzen, denn die lästigen Kopfschmerzen waren seit jenem Morgen nie so richtig verschwunden. Mit verschränkten Armen lehnte ich mich gegen die metallene Wand im Fahrstuhl, den Blick auf den kleinen Bildschirm über den Knöpfen gerichtet, auf welchem die roten Zahlen lautlos stiegen. Ich verlagerte das Gewicht auf das andere Bein, die Finger ungeduldig trommend auf dem Oberarm. Mit einem Seufen ließ ich die Arme wieder an die Seite fallen und ließ meine Finger knacken.

Als ich endlich die Tür aufschloss und durch den Spalt schlüpfte, glitt mein Blick sofort suchend durch das Zimmer. "Ken?", rief ich in den Raum, erhielt jedoch keine Antwort. Nichts. Ich legte den Rucksack auf den Schreibtisch, dann ließ ich mich auf den Sessel plumpsen. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich nach hinten.

"Douglas?" Kennedys Stimme. Ich öffnete die Augen. Mein Zimmergenosse blickte mich geradewegs an, die pechschwarzen Strähnen hingen triefend in die Stirn und er hatte sich ein Handtuch um den Nacken gelegt. Ich brachte ein schiefes Lächeln zustande. "Hi Ken.", begrüßte ich ihn. "Brauchst du etwas?", fragte der Junge und wandte sich ab, um zum eigenen Schreibtisch zu schreiten und in eine der Schubladen herumzuwühlen. Mehrere Stifte rollten herum und Papier raschelte. Mein Blick ruhte auf dem mir zugedrehten Rücken.

Schließlich hob ich die Hand, um durch mein Haar zu fahren. "Sorry. Dass ich dich an jenem Abend unwohl fühlen hab lassen. Ich war nicht richtig im Kopf.", begann ich. Ein winziger Stich fuhr in mein Herz, den ich noch nie gespürt hatte, als Kennedy aufseufzend innehielt. Ich presste die Lippen aufeinander. "Du warst betrunken, also vergiss es einfach.", schoss er etwas zu schnell zurück und ich hob eine Augenbraue. Der Junge räusperte sich, ehe er mit langsamerer Stimme ansetzte:"Es ist nichts passiert. Also gibt es auch nichts, worauf ich wütend sein könnte.". "Warum bist du dann auf einem Mal so distanziert? Waren wir nicht davor dabei, gute Freunde zu werden?", entgegnete ich. Keine Sekunde später bereute ich innerlich meinen diplomatischen Ton. Nun war Kennedy es, der mich anstarrte.

"Wie gesagt, es ist nichts passiert.", beteuerte er schlicht. "Heißt das, wir sind Freunde?", hakte ich sogleich nach und erwiderte ungeniert Augenkontakt. Seine Augen verengten sich kaum merklich, ehe mein Zimmergenosse der Erste war, der den Blickkontakt unterbrach. "Nenne es, wie du willst.", murmelte er und drehte sich wieder in die entgegengesetzte Richtung. Ich wusste, dass es sein Zeichen war, welches signalisieren sollte, die Diskussion war beendet. Trotzdem fühlte ich mich noch nicht zufrieden und wollte mich mit seinen Aussagen nicht zufrieden geben. Ich stand auf, mein Stuhl rollte nach hinten und stieß mit einem dumpfen Aufprall gegen die Kante meines Schreibtisches. "Kennedy.", sprach ich mit fester Stimme seinen Namen aus, während ich auf ihn zuging.

Im Nachhinein war ich vielleicht ein bisschen zu schroff mit ihm umgegangen. Ich hatte seine Schultern gepackt, ehe ich ihn umgedreht und auf den nächsten Stuhl gesetzt hatte. Mein Gesicht hatte sich in den weit aufgerissenen Augen gespiegelt, die Lippen gespaltet, ehe sich seine Augenbrauen zusammenzogen und er mich wie ein Babytiger anfunkelte. Ich konnte auf seinem Gesicht ablesen, dass er rebellieren wollte, dass er meine Hände von sich schnippen und mich wegstoßen wollte. Warum tat er es dann nicht?

Ich musterte den Jungen mit dem eindringlichsten Blick, den ich aufs Gesicht zaubern konnte. "Ich will es von dir hören. Für mich bist du wie Feuer und Eis, je nach deiner Lust und Laune. Ich gebe auf, ich kann dich nicht durchschauen, also hilf mir dabei; sag mir, was in deinem Kopf vorgeht. Als was siehst du mich? Wer bin ich für dich? Hasst du mich?", sprach ich die Gedanken aus, die seit dem Anfang des Jahres in meinem Kopf herumgeschwirrt hatten. Der Angesprochene wendete den Blick ab. "Ich hasse dich nicht.", antwortete er und mit einem Seufzen ließ ich die Hände von seinen Schultern gleiten. Ich konnte nicht beurteilen, ob ich mit seiner Antwort zufrieden oder unzufrieden war. "Im Gegenteil." Ich sah auf. Was hatte er gerade von sich gegeben?

OppositesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt