Kapitel 2

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Ich starrte auf das Tor. Das Geräusch des Motors war um einiges lauter  und noch bedrohlicher geworden. Jedoch schien mein Vater eine Abfahrt verpasst zu haben, was für mich an ein Wunder grenzte. Gerade als ich ausatmen wollte, um mich nur für einen Augenblick zu entspannen, näherte sich erneut das Geräusch eines Motors. Schneller und zielstrebiger. Wer auch immer es war, er wollte hierher.

Mit dem Umlegen des Hebels richtete sich meine vollständige Aufmerksamkeit wieder auf das hier und jetzt. Sie öffneten das Tor. Die Person, von der ich inständig betete, dass es nicht mein Vater war, wurde offenbar bereitwilliger empfangen als ich. Zu behaupten, dass es mich überraschte, tat ich nicht. Mir war bewusst, dass ich auf andere vermutlich nicht den vertrauenerweckendensten Eindruck machte.

Ich hatte mich verändert seit dem Tod meiner Mutter. Introvertierter, ängstlicher und abweisender. Mein altes ich war anders gewesen. Doch dieses verwandelte sich immer mehr in eine Erinnerung, während mein neues Ich sich in mich hinein fraß. Es war nicht das, was ich für meine Zukunft geplant hatte. Doch den schleichenden Prozess, wie diesen Wandel meiner Persönlichkeit, hatte ich erst bemerkt, als ich den Schmerz nicht mehr spürte. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät.

Ich wartete nicht um zu gucken, wer hineingelassen wurde. Es interessierte mich, doch meine Angst vor dem, was ich sehen könnte, steuerte mich. Vorsichtig krabbelte ich bis in die hinterste Ecke des Käfigs, zog meine Knie an meinen Körper und schlang die Arme darum. Meine Tränen waren mittlerweile getrocknet und meine Augen sahen vermutlich bemitleidenswert rot aus. Ganz abgesehen davon, dass ich vom Weinen jedesmal Kopfschmerzen bekam. Genauso wie jetzt auch wieder. Ich beugte meinen Kopf hinunter und versteckte mein Gesicht in meinen Armen. Die Dunkelheit entspannte meinen Kopf, änderte jedoch nichts an meiner Angst.

Es war hoffnungslos. Er würde mich finden und mit etwas Pech, nur bis kurz vor den Tod prügeln.

Irgendwo in der Nähe redeten mehrere Mädchen miteinander und ich vernahm eine männliche Stimme. Jetzt war alles aus. Da ich keinen einzigen Jungen gesehen habe, musste es mein Vater sein.

Die Käfigtür wurde geöffnet.

Ich hätte einfach weiter auf dem Boden sitzen können, doch die plötzliche Angst vor dem Sterben riss mich hoch. Ich schwankte für einige Sekunden bevor ich den Halt wieder fand. Noch bevor ich meinen Gegner überhaupt angesehen hatte, hob ich die Arme in eine Kampfhaltung. Es war vollkommen dämlich, da ich wusste, dass ich keinen Schlag überleben würde. Doch mich mit meinem Schicksal abzugeben ohne es auch nur ansatzweise versucht zu haben, erschien mir noch dämlicher.

Gerade als ich den Kopf heben wollte, hörte ich ein Lachen. Es war sanfter als ich es in einer langen Zeit gehört hatte. Mein Blick wandte sich dem Lachen zu und für einige Sekunden fehlte mir der Atem. Ein Junge in meinem Alter stand vor mir. Er hatte dunkelblonde, lockige Haare und trug einen schwarzen Hut mit einem roten Buchstaben darauf.

"Warum lachst du!?" fragte ich verzweifelt und sah mich um. Alle Mädchen, die ich bisher gesehen hatte, und noch mehr augenscheinlich, standen versammelt um den Käfig und beobachteten das Geschehen.

"Hey! Man schreit Fabi nicht an!" rief eines der Mädchen und schlug mit der Hand gegen das Gitter, sodass ich erschrocken zur anderen Seite wich. Das war also Fabi. Derjenige, der entscheiden sollte, was mit mir passieren würde. Und ich hatte es ruiniert.

Fabi hob seine Hand und das Mädchen verstummte. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Auch meiner.

"Genug. Wir wollen sie nicht erschrecken." er reichte mir seine Hand und ich griff etwas unsicher danach, wohlwissend, dass sie noch immer blutete und schmerzte. Sanft zog er mich aus dem Käfig heraus, während ich alles um mich herum beobachtete.

Die Mädchen waren alle vorallem in grüntönen gekleidet. Ihre Frisuren warem völlig unterschiedlich doch jede von ihnen schien perfekt zu passen. Ich bewunderte sie wegen ihres perfektes Aussehens. Sie hatten sich dem Stil des Waldes so angepasst, dass ich vermutete, sie könnten problemlos zwischen den Büschen verschwinden.

Fabi und ich standen mittlerweile vor dem Käfig und ich sah ihn verunsichert an. Was würde nun passieren?

"Erst einmal sollten wir dich etwas saubermachen und verbinden." meinte er und ich blickte voller Scham auf den Boden. Bei den meisten würde hinter all dem Schmutz und Blut etwas schönes herauskommen, wie bei einem Schmetterling. Ich hingegen war fest von meiner Hässlichkeit überzeugt. Das Blut konnte es wenigstens noch verstecken...

Ich nickte stumm und kaum erkennbar. Es schien jedoch auszureichen für ihn, da er einige Mädchen zu sich rief, welche mir verschiedene Sachen mitbringen sollten.

Plötzlich ertönte das Geräusch des Motors wieder in der Ferne und es wurde rasant lauter. Dieses Mal wusste ich, wer den richtigen Weg gefunden hatte. Entsetzt sprang ich hinter Fabi und versteckte mich hinter seinem Rücken. Meine Hände klammerten an seiner Jacke und neigte meinen Kopf zu einer Seite heraus, damit ich sehen konnte, was passierte.

Ich vernahm das Lachen einiger Mädchen, doch ich war zu verängstigt um es richtig wahrzunehmen oder zu realisieren was ich tat. Fabi hatte eine Hand schützend zur Seite gehoben und starrte auf das Tor. Die Reifen quietschten und das Auto stand mit laufendem Motor vor dem Tor.

"Öffnet das Tor!" schrie er und ich spürte wie mein eigener Herzschlag ins unermessliche stieg.

"Nein...bitte nicht...bitte nicht..." flüsterte ich und drückte meinen Kopf gegen seinen Rücken. Fabi lehnte seinen Kopf leicht zur Seite.

"Wer ist das?" flüsterte er zurück ohne den Blick auch nur eine Sekunde vom Tor zu nehmen, welches gerade geöffnet wurde.

"Mein Vater." antwortete ich und atmete erschrocken ein als ich ihn sah.

Da war es. Mein Schicksal.

Fabi X Reader // Die Wilden KerleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt