Als ich mich selbst traf

Kapitel 1

„Bist du ganz allein hier?", fragte ich Flo Junior.

„Ja! Jetzt, wo mein Drachen weg ist, ja."

„Weißt du, wer ich bin?", fragte ich ihn.

„Ja, du bist ich."

Wir mussten beide lachen, da wir die Unwirklichkeit dieser Begegnung völlig ausblenden konnten.

Dann fragte mich Flo Junior: „Was ist aus dir geworden?"

Ich begann zu erzählen: „Ich bin Facharbeiter und arbeite in einer Firma."

Fragend blickte mich Flo Junior an. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben: „Ist das alles, was aus mir geworden ist? Arbeiter? Erzähl mir mehr. Ich will die ganze Geschichte hören!"

So kitzelte er es also aus mir heraus.

Ich wollte Flo Junior zunächst locken: „Was willst du denn hören?"

„Warum tust du das, das du tust?", fragte er mich. ¹

„Naja, um Geld zu verdienen - eigentlich", antwortete ich.

Flo Junior schaute mich mit den großen Augen eines Kindes an: „Das ist alles? Das ist alles, was du tust? Du bist Arbeiter und tust das, damit du Geld verdienst?"

„Ich...", wollte ich einhaken.

Doch Flo Junior war schneller: „Öffne dich! Ich mag keine Geheimnisse. Und keine Ausreden... Sag es mir, ich bin so neugierig!"

Ich blickte in den Himmel. Weit weg konnte ich als winzigen Fleck Flo Juniors Drachen entdecken. So frei, wie dieser jetzt im Wind kreiste, so frei machte ich mich selbst und wollte Flo Junior nichts vorenthalten - egal, was er mich auch fragen würde. Schließlich war ich neugierig.

„Nein, natürlich nicht", begann ich. „Ich gehe nicht nur auf Arbeit, verdiene damit Geld, gehe nach Hause und dann wieder auf Arbeit..."

Er setzte sich hin und ich tat es ihm gleich.

„Weißt du", fuhr ich fort. „Manchmal ist das nicht so leicht im Leben. Es gibt Dinge, in die man sich irgendwie eingliedern muss. Sozusagen wird man Teil eines Systems. Ja, ich bin also Arbeiter, um damit Geld zu verdienen, damit ich meine Miete bezahlen, mir Essen kaufen und in meiner Freizeit etwas unternehmen kann."

Flo Juniors Blick war immer noch fragend und fordernd: „Ich glaube, du hast die Frage nicht richtig verstanden. Warum? Warum und Wieso tust du, was du tust?"

Zugegeben musste ich über die Frage nachdenken, bevor ich zu einer Antwort fand: „Pass auf, ich liebe das Leben. Ich mag es sehr, Spaß bei dem zu haben, was ich tue. Da ich in einer Gesellschaft aufwuchs, in der Geld eine Rolle spielt, gehe ich arbeiten. Verstehe mich bitte richtig - das ist nur ein Grund, warum ich arbeiten gehe. Damit ich meine Miete und alles finanzieren kann. Ich bin ein sehr motivierter Mensch, mir macht es Spaß auf Arbeit zu gehen, da ich sehr nette und interessante Kollegen habe - es wird also nie langweilig. Doch um über etwas anderes als Arbeit zu sprechen - es gibt natürlich auch viele andere Dinge, die ich tue. So schreibe ich zum Beispiel Bücher, Kurzgeschichten und Texte. Auch Spruchkarten mache ich gern. Das trage ich auch regelmäßig vor einem Publikum vor. Weiter habe ich einen kleinen Sohn, den ich über alles liebe und mit dem ich wahnsinnig gern meine Zeit verbringe. Ich gehe für mein Leben gern auf Konzerte und lerne neue Menschen kennen, da ich das Reden liebe und immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen bin."

Flo Junior grinste.

„Was?", fragte ich ihn.

„Naja, jetzt hast du nur erklärt, was du machst. Dein Warum und Wieso möchte ich noch näher kennenlernen..."

Da Flo Junior vermutlich nicht aufhören würde nachzubohren, schloss ich die Augen, um zu einer Antwort zu gelangen, die ihm und mir als ehrlich und passend erschien: „Gut. Der Grund, wieso ich Geld verdiene, um alles bezahlen zu können, ist recht oberflächlich, das sehe ich ein. Ich bin der Meinung, dass ein weiterer und wichtigerer Grund für mein Tun ist, dass ich immer etwas erleben möchte. Ich brauche Abwechslung und Vielfalt im Leben. Routine ist für mich pures Gift. Das bringt mich ein Stückchen näher in Richtung des Warums. Ich habe eine Einstellung zu dem, was ich tue, da ich weiß, was die Gründe für mein Handeln sind. Spaß ist mein höchster Wert. Die Dinge, die ich tue, müssen mir Spaß machen. Das ist mal mehr und mal weniger der Fall. Doch ein Fünkchen Spaß sollte immer dabei sein, ansonsten fühle ich mich schnell unwohl und bin desinteressiert. Ich gehe offen mit Neuheiten um und bin Optimist. Somit wird es recht schwierig, mir die gute Laune zu nehmen. Um endlich zum Punkt zu kommen: Warum ich tue, was ich tue? Weil es mir Spaß macht, mich weiterbringt und ich mich entwickeln kann. Das Entwickeln ist sehr wichtig für mich."

Ich öffnete meine Augen wieder und schaute Flo Junior an, welcher zustimmend nickte. Gemeinsam schauten wir in Richtung des Drachens, der allerdings nicht mehr auszumachen war.

„Ich stelle dir noch mehr Fragen. Ist das in Ordnung?", kam es von Flo Junior.

„Natürlich! Ich bin vollkommen hier und bereit für Antworten", stimmte ich ihm zu.