Manon

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Manon seufzte leise. Sie flogen jetzt schon seit ein paar Tagen, nur mit kurzen Unterbrechungen. Ursprünglich hätte sie eigentlich mit Dorian die kurze Reise von Adarlan nach Terassen antreten sollen, doch kleine Konflikte in den Wastes zwischen Menschen und Hexen hatten sie dazu bewegt, noch einmal zurück zu reisen und diese zu klären. Nun war sie mit Ansel auf dem Weg nach Terassen. Diese war nur widerstrebend auf Abraxos gestiegen, doch das Argument, dass die Reise dadurch bestimmt um einige Tage verkürzt werden würde, hatte sie letztendlich überzeugt. Inzwischen bereute Manon die Entscheidung, ihr das überhaupt vorzuschlagen, sehr, denn Ansel war seit Tag eins ununterbrochen am meckern und inzwischen wünschte sich Manon nichts sehnlicher, als die Königin einfach vom Wyvern herunter zu stoßen. Ansel von Briarcliff war Aelin wohl etwas zu ähnlich und auch mit dieser hatte sie so ihre Schwierigkeiten gehabt. Nur Asterin, die neben ihr auf Narene ritt, konnte sie etwas aufheitern. Noch immer konnte sie es kaum glauben, dass diese wirklich überlebt hatte. Denn die Dreizehn, ihre Dreizehn, ihre engsten Vertrauten, hatten sich geopfert, um ganz Orynth vor einem der Hexentürme zu retten. Sie alle waren dabei gestorben, nur Asterin hatte irgendwie überlebt. Wie, das wusste keiner von ihnen so genau. Doch Manon hatte nicht vor, dieses kleine Wunder in Frage zu stellen und genoss jede Sekunde, die sie in ihrer Gegenwart verbringen konnte. Denn Asterin war wahrscheinlich so ziemlich die einzige Familie, die sie noch hatte. Na ja, Dorian mal ausgenommen. Das Verhältnis war, um es einmal milde auszudrücken, etwas kompliziert. Sie sahen sich nur alle paar Wochen und selbst dann waren Manons Aufenthalte in Adarlan meist nicht länger als ein paar Tage. Es war nicht ihre Schuld, genauso wenig wie die Dorians. Doch es war schwierig ein Königreich zu führen und sowohl sie, als auch Dorian hatten damit zu kämpfen. Manon musste die Wastes wieder aufbauen, eine neue Heimat für die Hexen schaffen, für alle Hexen. Und selbst ohne die andauernden Konflikte zwischen Ironteeth und Crochan, die Manon als Königin über beide vereint hatte, gäbe es da immer noch die Menschen. Viel zu viele hatten im letzten Krieg unter den Hexen, die von ihrer Großmutter angeführt wurden, gelitten und waren gestorben. Zwar waren viele in den Wastes vom Krieg nicht direkt betroffen gewesen, doch sie hatten Geschichten gehört, die sich nicht gerade positiv für die Hexen aussprachen. Mal ganz abgesehen davon, waren zahlreiche Männer und Frauen der Western Wastes in den Krieg gezogen und ein Großteil davon war nicht wieder nach Hause zurückgekehrt. Das hatten die Menschen bis jetzt noch nicht vergessen können und die Tatsache, dass Manon alles in ihrer Macht stehende versuchte, um das Bündnis zwischen Menschen und Hexen wieder zu erneuern, änderte nicht viel daran. Ein weiterer Grund, sich zusammenzureißen und Ansel nicht auf der Stelle ins Jenseits zu befördern.

"Ist es eigentlich immer so ätzend langweilig, einen Wyvern zu reiten?", erklang in dem Moment Ansels Stimme von hinter ihr. Manon verdrehte innerlich die Augen. "Braucht Ihre Majestät etwa ein kleines Abendteuer?", entgegnete sie so ruhig wie möglich, obwohl sie nicht verhindern konnte, dass ihre Stimme einen leicht ironischen Ton annahm. "Aber nicht doch, ich weiß nur bessere Tätigkeiten, um Tag ein Tag aus auf diesem Wyvern zu sitzen und nicht zu tun. Da wären zum Beispiel ein paar Freunde in Terassen, die ich liebendgern sehen würde, weshalb ich es sehr freundlich fände, wenn Ihre königliche Hexe sich etwas mehr beeilen würde." In diesem Moment platzte Manon der Kragen. Sie ließ ihre Eisenzähne hervorschnallen und drehte sich zu Ansel um. "Könntest du nicht endlich einmal deine Klappe halten? Nur für ein paar Minuten? Glaubst du nicht, dass ich auch ganz gerne endlich ankommen würde? Aber dieser Wyvern hier ist schneller als jedes andere Transportmittel, dass du in Erilea finden wirst, auch schneller als dein ach so tolles Asterionpferd. Also sei bitte so freundlich und gedulde dich ein wenig oder ich stoße dich auf der Stelle von Abraxos Rücken und dann wollen wir mal sehen, wie langweilig dir dann noch ist!", zischte sie. Doch Ansel grinste nur. "Ich hatte mich schon gefragt, wie lange ich dich wohl reizen muss, bis du endlich die Geduld verlierst." Manon schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte jemand nur so abgebrüht sein? "Du kleine..." In dem Moment erschallte Asterins Ruf von vorne: "Schaut mal da vorne!"

Manon blickte hinunter in die dunklen Schatten des Oakwald Forest, der sich unter ihnen ausbreitete. Sofort erkannte sich, was Asterin gemeint hatte. Ein eigenartiges Schimmern drang von dort aus zwischen den Baumwipfeln hervor. "Wir landen!", rief sie Asterin zu. "Wir sollten mal sehen, was dort vor sich geht!"

Ein paar Minuten später waren die beiden Wyvern auf dem weichen Waldboden gelandet. Eigentlich war Manon gegen jegliche Ablenkung, denn mit einem Wyvern war Terassen nur noch wenige Stunden entfernt. Doch sobald sie sich dem eigenartigen Schimmern nährten, wusste Manon, dass es sich lohnte. Vor ihnen schwebte ein leuchtender Riss in der Luft. Er erinnerte sie ein wenig an die Portale, die Aelin mithlife von Wyrdzeichen erschaffen hatte und doch war dieses hier anders. Es sah unkontrollierter aus, willkürlicher, beinahe als hätte der Riss sein Eigenleben. Die drei nährten sich dem Portal, oder was auch immer es war, vorsichtig an, blieben aber ein paar Meter davon entfernt stehen. "Geht nicht näher", erklang hinter ihr die Stimme von Ansel, "Wir wissen nicht wo es hinführt und ob wir wieder zurückkommen, wenn wir erstmal hindurch gegangen sind." Manon fuhr zu ihr herum. "Glaubst du wirklich, ich bin so blöd und gehe einfach durch ein Portal, ohne zu wissen, wo es mich hinführt?" Diese zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder dem Portal zu. "Seht mal!",zischte Asterin. "Da tut sich irgendetwas!" Und tatsächlich, das Portal flackerte mehr als zuvor und schien sich zu weiten. Dann, nur wenige Sekunden später, taumelten ein paar Personen durch das Portal hindurch.

Mit aufgerissenen Augen starrte Manon die Leute an, die dort eben durch das Portal gekommen waren und die ganz sicher nicht hierher gehörten. Etwas an ihnen war gänzlich fremdartig, auch ohne die großen fledermausartigen Flügel, die den Rücken von zweien der Männer zierten. Insgesammt waren es sechs Personen, die dort standen und sie starrten sie genauso an, wie sie selbst, Ansel und Asterin die Fremden anstarrten.

A court of night and fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt