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Integra knallte die Zeitung auf ihren Schreibtisch und wählte panisch Walters Durchwahl (einfach eine 1). "Wo ist Violet jetzt?", schrie sie in den Hörer, kaum hatte der Butler abgenommen. Es war sechs Uhr morgens und sie hatte furchtbar geschlafen, da Alucard jede Menge Leute in Brasilien umgebracht hatte. Was sie also nicht brauchte, war die Schlagzeile Affäre auf hoher Ebene? Lady V. Harker gestand ihre heimliche Liebe zu Lady I. Lanchester auf der gestrigen Geburtstagsfeier des hochgeehrten Sir Lanchester, die vehement von der besten Freundin Lanchesters und Enkelin des Sirs Marshall bestritten wurde.

"Das weiß ich leider auch nicht, Sir Integra. Dieser "Vorfall" ist auch erst etwas über vier Stunden her. An ihr Handy geht sie zumindest nicht."

"Sind die Autoschlüssel vom VW an ihrem üblichen Ort?", fragte sie, während sie schon aufstand und die Zeitung mitnahm. Nach dem Ja von Walter legte sie auf und nahm sich noch einen Mantel mit.

Heute Abend würde ein verdammtest Meeting mit so ziemlich jedem stattfinden! Selbst der Vatikan war eingeladen und die Queen wollte kommen! Wieso musste Violet ausgerechnet jetzt so etwas tun?

Zwei Dienstmädchen und einige Söldner sahen ihr zu, wie sie die Treppen herunter hechtete, die Zeitung zwischen ihren Zähnen und sich gleichzeitig in ihren Mantel zwang, der da sie sich vergriffen hatte, ein Pelzmantel war, den sie als äußerst unpraktisch empfand.

Mit Zeitung und Autoschlüsseln bewaffnet fuhr sie dann hupend beinahe fünf Söldner über den Haufen, bevor sie aus der Ausfahrt bretterte und die Straße nach London nahm.

Viel früher, als man eigentlich bei Violets Wohnung war, und sicherlich einmal geblitzt worden, stand sie dann außer Atem vor dem Haus und kramte den richtigen Schlüssel von ihrem Schlüsselbund, bevor sie in den Aufzug stieg und ungeduldig wartete, bis sie ganz oben angekommen war. An Violets Tür klingelte sie erst einmal Sturm, was den Nachbar nebenan auf den Plan rief, der ihr eine Predigt halten wollte, sie schloss aber einfach Violets Tür auf und schmiss sie hinter sich zu.

Hellsing erkannte sofort, dass ein paar von Violets Schuhen fehlte, ebenso wie eine Jacke und die Schlüssel lagen auch nicht im Körbchen, also war sie wohl eindeutig ausgeflogen. Nach möglichen Anhaltspunkten für das Wohin durchkämmte sie erst einmal die Wohnung. Die Küche sah so unbenutzt aus wie immer, das Wohnzimmer war dafür aber sehr viel unordentlicher als in Integras Erinnerung. Der Fernseher stand auf einem kleinen Regal, in dem der DVD-Player, DVDs , Dantes göttliche Komödie und die Fernbedienungen standen, auf dem Wohnzimmertisch lagen allerdings noch sehr viele weitere Bücher zerstreut herum, die sich alle als Lektüren zu Vlad dem Pfähler oder Dracula herausstellten. Gott, was war mit Violet bitte los? Klar, dass sie sich für den Ursprung von Alucard interessierte, war Integra bekannt. Sie beide wollten mehr über Alucard wissen, aber damals waren es vier, fünf Bücher gewesen, das sah eher so aus, als hätte sie alles, was es gibt, gekauft. Verwirrt ging sie in Violets Schlafzimmer und das angrenzende Bad. Auf den ersten Blick sah sonst nichts ungewöhnlich aus, so ging sie zurück ins Schlafzimmer und an den Nachttisch, wo sie Violets Handy fand, dass fünfzehn verpasste Anrufe in Abwesenheit verzeichnete. Integra ging die sicherheitshalber durch, falls es einen Notfall mit Anne gegeben hatte.Da Violet sich auf ihr Drängen hin vor zwei Monaten eine Mailbox zugelegt hatte, konnte sie auch die hinterlassenen Nachrichten durchschauen. Einige waren von ihr, die meisten anderen von Walter, eine von Rachel und eine von Anne, drei vom Krankenhaus und eine von einer unbekannten Nummer. Letztere hörte Integra sich aus Interesse an, vielleicht war darauf ja ein Hinweis.

Nach dem Freizeichen meldete sich eine Integra sehr vertraute Stimme zu Wort, da allerdings eine Reihe von Zahlen aufgesagt wurde, kam sie erst einmal nicht darauf, wer das gewesen war, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Aber wie war Alucard bitte an Violets Nummer gekommen? Und die Zahlen sagten auch nicht sehr viel.

Während sie das Krankenhaus zurückrief, kramte sie in den Schubladen des Nachttischs. Taschentücher, Schokolade, Stifte und Papier, Krimskrams, einen Flummi und Müll. Dann wurde sie durchgestellt.

"Miss Harker, gut dass Sie zurückrufen", meldete sich eine besorgt klingende Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Ich bin nicht Violet", unterbrach Integra sie. "Mein Name ist Integra Hellsing, ich bin Violet Harkers beste Freundin und als Zweitkontakt für Anne Harker eingetragen. Können Sie mir sagen, ob es etwas dringendes ist, derzeit können wir Violet nämlich nicht erreichen."

"Ja, es ist sehr wichtig", meldete sich die Stimme leicht aufgelöst nach einer Pause wieder. "Vor wenigen Stunden hat Anne Harker sich ihre Nadel mehrmals in die Oberschenkelarterie gestochen und sie erheblich geschädigt. Sie wurde relativ schnell operiert, aber liegt derzeit noch im Koma und die Ärzte können nicht sagen, ob oder wann sie aufwachen wird."

Das war eine sehr erschütternde Nachricht, auch wenn Integra Anne kaum so nahe stand, wie sie es wünschte. "Ich werde es Violet ausrichten, wenn ich sie gefunden habe", versprach sie und legte benommen auf.

Irgendwo musste es doch einen Hinweis darauf geben, wo Violet sein konnte! Die Blondhaarige durchsuchte selbst Violets Kleiderschrank, fand da aber auch nichts, so dass sie sich frustriert aufs Bett fallen ließ. Was war hier bitte los? Und wieso spielte Violet so ein seltsames Spiel mit dieser Viper? Isabel war so mit Abstand die schlimmste Pest in ihrer Klasse gewesen, warum sollte sie ausgerechnet dieser vor der Presse die ewige Liebe gestehen? Natürlich, um sie zu demütigen, aber das wäre doch völlig unnütz, schließlich hatten sie mit Lanchester nichts mehr zu tun. Das andere wäre, dass Harker so den Familien schadete. Nicht nur ihrer und Lanchesters, sondern auch Marshalls, wenn man bedachte, wie die sich aufgeführt hatte.

Integra ging, nachdem sie wieder ruhiger war, die losen Papiere in Violets Nachttisch durch, vielleicht gab es da ja einen Anhaltspunkt, auch wenn sie das bezweifelte. Ihre Freundin machte sich kaum Notizen, dafür hatte sie ein zu gutes Gedächtnis.

Fast alle Zettel waren tatsächlich unbeschrieben, lediglich einer nicht und der mit einer Sauklaue, die Integra nur kannte, wenn sie selbst mit links schrieb. Oder von Alucards Berichten...

Ruckartig setzte sie sich wieder gerade hin und konzentrierte sich, um die Worte zu entziffern. "Deine Gedanken bei der Arbeit ähneln den meinen, wenn ich an dich denke", las Integra sich selbst vor und starrte einige Minuten geschockt auf das Blatt. Wie bitte?! Was sollte das denn jetzt heißen? Hatten die beiden ein Verhältnis? Aber wann und wie? Und wieso hatte Violet nichts gesagt?

Die Hellsing fühlte einen Stich in ihrem Herzen. Weniger, weil sie Alucard mochte - der ein unverbesserlicher Idiot war und wie Walter schon sagte, ein Frauenheld -, als viel mehr, weil sie niemals, keinen noch so beschämenden Gedanken vor Violet verborgen hatte, diese aber wohl anscheinend vor ihr.

Außerhalb der Wohnung ging irgendwelches Geschrei los und kurz darauf wurde in der Haustür ein Schlüssel umgedreht und Integra hörte ein "Nanu?", das sehr nach ihrer Freundin klang.

"Integra, bist du da?", rief ebenjene in die Wohnung und ging dann zielgerichtet ins Schlafzimmer, wo sie diese auch fand. "Warum sagst du denn nichts? Alles in Ordnung? Ich war die letzten Stunden auf der Polizeistation, da die Marshalls und Lanchesters mich verklagen wollten. Wie geht's dir so?" Violets Blick fiel auf Integras Hände und sie schien zu erbleichen. "H-hey, was hast du denn da? Das ... ist wirklich nicht, wonach es aussieht..."

"Anne liegt im Koma", sprach Integra wie in Trance. "Sie hat versucht, sich umzubringen. Die Ärzte wissen nicht, ob und wann sie wieder aufwacht."

Violet fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen und sie sank auf ihre Knie, während ihr Kopf Teile von Integras Worten wiederholte. Koma, sich umzubringen, wissen nicht, ob und wann sie wieder aufwacht...

In dieser so ungünstigen Situation bekam sie einen Flashback, von fast exakt den selben Worten. Sie war wieder 17 - vor sechs Tagen hatte sie Geburtstag gehabt - und stand mit Integra neben den Betten ihrer Mutter und Schwester, beide noch im Koma. Der Arzt redete unablässig, nur manche Sätze oder Wörter kamen zu ihr durch. "... schweres Trauma ... mögliche Genesung ... Es ist unbekannt, wie lange das Koma anhält. ... stark sein und beten ..."

Wie auch damals bedeckte sie mit ihren Händen ihr Gesicht und fing an, bitterlich zu schluchzen. Integra war wieder sofort zur Stelle, um sie zu umarmen und beruhigend über ihren Rücken zu streichen.


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