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Elian

"Und gestern Abend haben wir einen kleinen Spieleabend gemacht. Jeder hat ein Brettspiel oder ein Kartenspiel mitgebracht.", erzählte meine Oma mir.
Ich hörte ihr gespannt zu, während ich in meine Pizza biss. Oma und ich hatten uns Pizza bestellt, weil weder sie noch ich Lust hatten zu kochen.
"Gerlinde wollte morgen zu mir kommen und dafür muss ich noch Kekse backen."
"Das sagtest du bereits.", lachte ich.
"Ehrlich? Oh Gott, im Moment bin ich irgendwie ein bisschen vergesslich."
"Ach, das kann ja wohl mal sein."
"Und wie ist es zuhause?", fragte sie.
"So wie immer."
"Schlimm?"
"Es geht. Sie lassen mich größtenteils in Ruhe."
"Elian, ich muss dir noch was sagen."
Plötzlich wurde sie ganz ernst, weswegen ich sofort aufhörte zu Essen. 
"Was ist los? Alles in Ordnung?", fragte ich besorgt.
"Ich bin ja auch schon ein bisschen älter, auch wenn man mir das nicht ansehen mag.", witzelte sie.
Doch mir war nicht zum Lachen zumute. Wieso war sie so Ernst? So ist sie sonst nie. Sonst versucht sie mich immer abzulenken, damit ich mal nicht an die Schule oder an Zuhause dachte.
"Wenn ich irgendwann ins Heim komme... Und ich weiß das werde ich. Das will ich sogar, irgendwann wird mir das Haus zu groß werden. Dann will ich, dass du dieses Haus bekommst."
"Ich... Was..?"
"Das Haus ist abbezahlt und gehört ganz mir. Ich hab letztens mein Testament ändern lassen. Sobald ich nicht mehr da bin bekommt dein Onkel meine Ersparnisse. Dein Vater bekommt nichts."
"Nichts?"
"Nein, weil ich weiß, dass er damit nicht gut umgehen wird. Und weil ich weiß, wie er zu meinem Enkel ist."
Wow, das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte eigentlich, dass Oma ihr Geld gerecht aufteilt. Stefan, mein Onkel, lebte seit Jahren in Amerika. Dort hatte er sich seine eigene Familie aufgebaut. Er kam nicht oft zu Besuch, was kein Wunder war. Es war ein Aufwand mit der ganzen Familie zu reisen. Und teuer war es auch.
"Ich habe mit Stefan gesprochen. Sollte ich nicht mehr in der Lage dazu sein, dir Geld zu geben... ich meine, man weiß ja nie was mal kommt, dann wird Stefan das übernehmen. Ich habe ihm die Situation bei dir zuhause erklärt. Ich weiß, du willst nicht, dass das jemand weiß, aber ich möchte, dass du abgesichert bist. Er war zu tiefst geschockt, ich glaube sogar, dass ihm ein paar Tränen kamen. Und er sagte mir, dass wenn du mal in den Ferien eine Auszeit brauchst du immer bei ihm Willkommen bist. Er würde dir sofort ein Ticket bezahlen damit du mal richtig Urlaub machen kannst. Seine Nummer hast du ja. Du kannst dich jederzeit bei ihm melden."
Wow, das musste ich erstmal verdauen. Oma hat mir gerade gesagt, dass ich ihr Haus kriegen soll. Und das war wirklich etwas, was ich nie erwartet hätte. Außerdem weiß ich nicht, ob ich das jemals annehmen kann. Doch klar war, wenn Oma nicht mehr da ist und ich hoffe inständig, dass das noch Jahre dauert, dann bin ich Besitzer eines abbezahlten Hauses.
Heilige Scheiße.

(...)

Oma und ich hatten uns ziemlich verquatscht. Erst als ich durch Zufall auf die Uhr schaute bemerkte ich, dass es mittlerweile 22 Uhr war und ich dringend nach Hause musste.
Schnell verabschiedete ich mich von Oma und lief dann los. Mittlerweile überkam mich auch ein wenig die Müdigkeit und ich war froh, wenn ich gleich im Bett lag.
Doch so schnell wurde daraus nichts. Denn auf dem Weg nach Hause, sah ich jemanden am Straßenrand sitzen.
Er zitterte am ganzen Körper und weinte. Als ich näher kam sah ich, dass es Levin war.
Und er sah wirklich scheiße aus. Scheiße, im Sinne von, er hatte einen richtigen Zusammenbruch.
Ich kannte das. Denn so sah ich auch manchmal aus. Wegen ihm. Wegen seinen Freunden. Wegen meinen Eltern.
Am liebsten hätte ich ihn dort einfach sitzen gelassen und wäre an ihm vorbeigelaufen. Doch irgendwas hielt mich zurück.
Ich wusste wie es war, wenn die Gefühle einen übermannen. Wie elendig und dreckig man sich fühlte. Vor allem, wenn es niemanden gab der einem half.
"Alles okay?", fragte ich ihn.
Dumme Frage, natürlich war nicht alles okay.
Zitternd hob er seinen Kopf und schaute zu mir. Er sah noch schlimmer aus, als ich dachte. Sein Gesicht war kreidebleich, seine Augen aufgequollen und tiefe Augenringe zeichneten sich auf seinem Gesicht ab.
"Klar...", murmelte er nur.
Er hustete kurz und fand seine Stimme wieder. "Klar is alles in Ordnung... Ich sitz hier öffer ma einfach rotzevoll rum und heul wie ne kleine Heulsuse."
Und schon bereute ich es, dass ich ihn gefragt hatte. Ich drehte mich einfach um und lief los, ohne auf ihn zu achten.
Warum war ich auch so blöd und blieb stehen? Warum hab ich gedacht, dass er meine Hilfe annehmen würde?
"Warte!", rief er mir hinterher.
Doch ich wäre dumm jetzt zu warten. Ich weiß wie er ist wenn er nüchtern ist, ich will nicht wissen wie er ist, wenn er betrunken ist.
Hinter mir hörte ich Bierflaschen umfallen. Levin ist vermutlich aufgestanden und wird versucht haben mich zu packen. So wie er es immer tat.
Ich lief einfach weiter und verfluchte mich selbst dabei, dass ich überhaupt stehen geblieben bin um zu fragen was los sei.
Tatsächlich war Levin schneller in seinem betrunkenen Zustand als ich dachte, denn plötzlich lief er neben mir.
"Sorry.", murmelte er.
Ich ignorierte ihn und lief schneller, doch auch er beschleunigte seine Schritte.
Lieber Gott, lass ihn einfach hinfallen und mich in Ruhe lassen.
"Ich weisss, dassss ich ein Arschloch bin.", lallte er. "Mein Leben läuft grad ziemlich scheiße und ich bin mit allem unzufrieden. Au mit mir selbsss."
Versuchte er gerade zu rechtfertigen warum er mein Leben zur Hölle macht?
"Ich will, dass du weiß, dass ich kei Problem damit hab, dass du schwul bist. Mir is das egal."
Mhm... Klar. Das sollte ich ihm jetzt glauben? Nach den ganzen dummen Sachen, die er zu mir gesagt und die er getan hat?
"Du wirs mir nich glauben... Ich weiß... Tschüß..."
Na endlich! Ich sah im Augenwinkel wie Levin sich von mir entfernte um über die Straße zu laufen. Von vorne blendete mich das näher kommende Auto mit seinem Fernlicht, weswegen ich die Augen zusammenkneifen musste.
Warte... Scheiße!
Ich blickte schnell zu Levin, welcher weiter zur Straße taumelte auf welchem gerade das Auto auf ihn zukam.

Forgive meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt