Kapitel 21 - Die Stimme

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Die Sonne ging auf. Ich traute mich seit Stunden nicht mehr mich zu bewegen, weswegen ich auch meine Gliedmaßen nicht mehr spürte. Doch jetzt hatte ich endlich eine glaubwürdige Ausrede, um aufzustehen. Ich kroch aus Enid's Armen, die mich fast erwürgten. Natürlich nicht wortwörtlich gemeint, auch wenn sie dazu sehr wohl fähig wäre, mich mit einer engen Umarmung zu töten. Das war eines ihrer Fähigkeiten, die mein schwarzes Herz leicht glühen ließ. Sie war das Biest, festgesteckt hinter einer Engel-Fassade, wobei das Biest genauso liebenswert war, wie das bunte und süße aber äußerst emotionale Mädchen, das ich anfangs kennenlernen durfte.

Sie schnarchte durch ihre auseinandergefallenen Lippen, ihre Brust erhob sich und fiel nach unten gleichmäßig, als würde sie Befehle befolgen. Sie hatte eine dicke Decke zwischen ihren Beinen und das Squishmallow, das bis jetzt unbequem zwischen uns lag, fand sich sein Platz in ihren Armen.

Ihre runden Wangen waren rot von der Hitze, die sie ausstrahlte. Wie eine Heizung, die sofort auf 45°C gestellt wurde und mit jeder Minute nur wärmer zu sein schien. Dennoch war das nicht der Grund, warum ich kaum Luft bekam.

Je mehr ich sie in diesem Zustand sah, desto schwerer war es mich zurückzuhalten, ihr kein kleines Küsschen auf die Stirn zu geben.

🧠: Wenn du die Arbeit schnell erledigst, kannst du das alles noch hinbiegen. Ohne Gefahr. Jetzt bist DU, die das Tempo bestimmt. Nutze es aus!

Das war der Kompromiss, den ich mit mir selbst eingegangen bin. Der Kompromiss, der mich noch davon abhalten konnte, nicht sofort wahnsinnig zu werden. Denn das Eis war schon ganz dünn unter meinen Füßen. Eine falsche Bewegung und alles bricht zusammen.

Ich wollte mich rasch, aber leise aus dem Zimmer eilen. Doch warum würde das denn so einfach funktionieren, wenn mich Hades noch mehr bestrafen könnte?

- „Hey, Wens. Guten Morgen."

Enid setzte sich langsam, gähnend, mit ihren Armen nach oben gestreckt, auf.

- „Guten Morgen." – antwortete ich angespannt. – „Wie fühlst du dich?"

Sie wirkte äußerlich besser. Dank ihren Fähigkeiten, heilte sie schneller als gewöhnlichen Menschen. Ihre Beule verschwand, die tiefen Seilspuren an ihren Handgelenken sahen nur noch nach Haargummiabdrücken aus.

- „Der Schlaf tat auf jeden Fall gut." – nickte sie, während ihre Augen auf meine Hände fielen.

Es waren meine Schuhe, meine Schlüssel und mein Rucksack, die sie verwirrt beäugte.

- „Warum schleichst du dich raus, als hätten wir einen One-Night-Stand gehabt?" – zog sie eine Augenbraue nach oben.

- „Einen was?"

Meine Frage war ernst gemeint, ihr schien es jedoch ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. Sie war wunderschön.

- „Ach, nichts. Vergiss es." – schüttelte sie ihr Grinsen weg. – „Was hast du so früh vor?"

🧠: Erledige den Job. Für ihre Sicherheit.

- „Ich muss etwas für Eugene besorgen."

Die Lüge kam wie geflossen aus meinem Mund. Seit wann fiel es mir so einfach Enid anzulügen?

Ihr Display ging an und ihre zusammengekniffenen Augen kämpften mit der zu hoch gestellten Helligkeit.

- „Um 6:27 an einem Samstag Morgen?"

Ich schluckte laut, woraufhin ihr Lächeln sehr schnell verschwand. Sie war skeptisch und das war ich leider auch, weil sie mir die Lüge doch ansehen konnte. Es waren nur knappe 3 Sekunden Stille und Ruhe zwischen uns, aber sie besagten mehr als einfache, ausgespuckte Worte. Etwas fing in diesem Moment an zu brechen, zwar nur hauchdünn, jedoch unglaublich auffällig. Aber Enid setzte lieber wieder ein kleines Schmunzeln auf ihr Gesicht. Sie streckte ihren Arm zu mir raus und machte eine einladende Gestik mit ihren Fingern.

Die Wenclair Story - Gegensätze ziehen sich an (In Bearbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt