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POV: Jessica

Mit dem weißen Holztablett aus der Küche lief ich am Morgen die Stufen in die erste Etage hoch. Vorsichtig öffnete ich die Tür des Schlafzimmers, das Tablett stellte ich auf der Polsterbank am Fußende des Bettes ab. In ein paar Minuten würde die Sonne über den Bergen aufgehen. Ich zog die Vorhänge beiseite, schaltete die Lampe auf meinem Nachttisch an und begann Lukas sanft zu wecken. Verträumt sah er mich an, als ich ihm sagte, dass er für den schönsten Ausblick am Morgen aufstehen müsse.

Vor dem Panoramafenster setzte ich mich mit meinem Kaffee auf den bereitgestellten Sessel. Lukas nahm die Tasse mit dem Tee vom Tablett und stützte sich von hinten auf die Lehne des Sessels. Am Himmel bildeten sich rötliche und orange Streifen, oberhalb dessen kam das Firmament in einem fliederfarbenen Ton zur Geltung. Im Morgenrot begann die Sonne den Horizont zu überschreiten. Gebannt genoss ich jede Sekunde des Bildes, welches sich vor meinen Augen abspielte und meinen Blick festhielt.

Lukas und ich hatten gemeinsam den Esstisch für das Frühstück eingedeckt. Während er sich vor der Mahlzeit noch einmal in das Badezimmer begeben hatte, stand ich vor dem Backofen mit meinem Handy in der Hand und wartete darauf, dass die Brötchen fertig gebacken waren. Gerade als ich den Brotkorb mit den Semmeln auf dem Esstisch abgestellt hatte, klingelte es an der Tür des Hauses. Lukas saß bereits am Tisch und sah mich mit einem fragenden Blick an, dennoch wusste ich auch nicht, wer an der Tür sein würde. "Du kannst mir doch nicht erzählen, dass jetzt schon die ersten Gäste kommen. Da hätten sie ja noch vor drei Uhr losfahren müssen.", fragend zuckte Lukas mit den Schultern, nachdem ich ihm diesen Satz zugespielt hatte. "Na gut, ich geh' mal schauen, du kannst auch gern schon anfangen zu essen.", ich strich Lukas über seine Haare und begab mich zur Tür.

Ich öffnete die dunkelgraue Tür, durch das Milchglas konnte ich nur sehen, dass zwei Personen vor der Tür standen. "Schatz! Stell mal noch zwei Teller raus... Und backst du bitte noch mehr Brötchen auf...", rief ich vom Eingang aus durch den Flur. Ich hörte, wie Lukas den Stuhl zurückschob. "Wer ist denn da?", fragte er, seine Schritte wurden lauter. "Mit euch hätten wir ehrlich gesagt nicht gerechnet.", sagte ich. "Ach so, dürfen wir jetzt nicht mal unsere Tochter überraschen?", lachte mich mein Vater an. Meine Eltern traten ein, ihre Koffer vom Urlaub auf Teneriffa hatten sie im Mietwagen gelassen. Lukas war meiner Bitte nachgekommen und meine Eltern nahmen am Frühstückstisch Platz.

Es herrschte eine ungewöhnliche, eher erschreckende Ruhe beim Frühstück. Ich nahm den letzten Bissen von meinem Brötchen mit Konfitüre, trank einen Schluck von meinem Orangensaft und sah meine Eltern an. "Ohne, dass ihr das jetzt falsch auffasst... Was macht ihr hier?", fragte ich und stützte meine Arme auf die Tischplatte. "Was meinst du? Dürfen wir denn nicht mal...", begann meine Mutter einen, meiner Meinung nach, sinnfreien Satz. "Mama, bitte...", meine Eltern wollten meinen Blicken sichtlich entfliehen. "Gut... Ich dachte, ihr landet erst in der kommenden Nacht in Frankfurt und bleibt über Silvester dort. Wollt ihr jetzt dabei zusehen, wie Trailerpark das geliebte Ferienhaus der Familie verwüstet?", ich sah meine Eltern mit einem ernsten Blick an. "Lasst ihr euch scheiden?", fragte ich geradeheraus, mit leichten Bauchschmerzen. Nervös sah ich zu Lukas, der neben mir saß. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und strich mir sanft darüber. "Was spinnst du dir denn jetzt zusammen, Prinzessin?", begann mein Vater. "Ich würde mich doch niemals von deiner Mutter trennen... Das verrückte Huhn kann man doch auf keinen anderen loslassen.", lachte er und erntete einen Schlag auf den Hinterkopf, von meiner Mutter. "Geht ihr dafür bitte vor die Tür, ich möchte die Spurensicherung erst Neujahr hier sehen.", leicht lachend verdrehte ich meine Augen.
"Butter bei die Fische, was ist bei euch vorgefallen? Ihr seid nie hergefahren, wenn ich hier war. Egal, ob ich allein oder in Gesellschaft ein paar Tage geplant hatte." Meine Eltern atmeten tief und sahen abwechselnd zu Lukas und mir.
"Wir sind eher abgereist, weil wir uns diese ständigen Diskussionen nicht mehr antun wollten. Es ist doch nicht normal, dass wir den Urlaub mit unseren Freunden am meisten genossen hatten, wenn eine Person davon nicht dabei war.", sagte meine Mutter und nahm einen Schluck von dem Milchkaffee, der vor ihr stand.
"Ihr redet jetzt aber nicht von Elisa, oder?", fragte Lukas, seinen Arm legte er über die Lehne des Stuhls, auf dem ich saß.
"Doch...", meine Mutter stand vom Tisch auf, um sich die Zigaretten aus ihrer Jacke zu holen. "Kommst du mit, Jessica?", fragte sie und hielt die Schachtel nach oben.

"Ja, ich begleite dich. Esst ihr bitte weiter, ich bezweifle, dass ihr schon satt seid.", ich ließ Lukas und meinen Vater am Esstisch zurück. Meine Mutter und ich verschwanden im Kellergeschoss, wo eine Lounge einrichtet war, ein kleiner Raucherbereich und auch ein kleiner Abstellraum, der als Vorratskammer dienen könnte. Ich setzte mich in den weinroten ledernen Loungesessel, gegenüber von meiner Mutter. Diese schob mir die Zigarettenschachtel über den Tisch, welche ich dankend annahm.

"Die Frau dreht einfach total am Rad und das nur wegen Tim. Ja, ich kenne ihn nicht, aber sie will es wohl nicht akzeptieren, dass Ena und er ein Paar sind und sich lieben. An allem hat sie sich aufgehängt... Wenn wir spazieren waren und irgendwelche Pflanzen gesehen haben, hieß es "Vielleicht kann Tim mir sagen, was dieses Gestrüpp bei mir auslösen kann, oder Frank?"... Ein Mann in unserem Alter lief an uns vorbei "Schau mal Frank, der hätte doch viel besser zu Ena gepasst und der ist auch nicht viel jünger."... Ich hatte das Foto von der Palme gemacht und ihr von dem kleinen Vorhaben erzählt "Bitte nicht, sonst siehst du auch irgendwann noch so aus, wie dieser Kerl. Frank, was sagst du denn dazu?"... Dass Frank sich so gut beherrschen konnte, ist ein Wunder, nachdem ich gestern komplett die Fassung verloren hatte, sind wir ins Hotel gefahren und haben unsere Sachen gepackt. Wir konnten gerade noch den Flug umbuchen, und zwar direkt hier nach Kufstein, nicht um euch hier zu belagern, sondern weil wir mit euch darüber nochmal sprechen wollten. Es ist ja wohl nicht nur eine Belastung für das junge Glück. Aber keine Angst, ihr habt spätestens heute Mittag wieder eure Ruhe." 

Wer Weiß - 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt