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„Pokern."

„Pokern?"

„Ja. Wenn ich gut pokern könnte, würde ich nach Vegas fahren und ganze Nächte in den Casinos verbringen, bis ich ein paar Millionen zusammen hätte. Dann würde ich mir eine riesige Flasche Champagner kaufen und-"

„Du mochtest doch schon den Sekt an Silvester nicht, weil er dir zu trocken war."

„Hey, bürste du deinen Hund weiter und lass mich ausreden", schimpfte sie und er musste lachen. „Ich würde mir eine Flasche Champagner kaufen und eine Runde Stripperinnen bezahlen und dann würde ich mir ein Haus in Malibu kaufen und so lange dort wohnen, bis mir der Strand und das Meer nicht mehr besonders vorkommen."

„Das dauert nicht lange, versprochen."

„Nicht, wenn man so ein Miesepeter ist, wie du."

„Ich bin kein Miesepeter. Aber wenn du auch nur halb so oft am Meer gewesen wärst, wie ich, fändest du es genauso unspektakulär wie die Berge und den Schnee in Alaska. Versprochen."

„Das kannst du nicht wissen. Ich war noch nie am Meer. Ich bin noch nie am Strand gewesen. Das muss toll sein. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, kilometerweit Sand und Wasser statt Schnee und Bäume zu sehen... Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie das Meer riecht..."

„Nach Salz und totem Fisch. Wenn du mich das nächste Mal besuchst, fahren wir an den Pier, dann riechst du es."

Sie lachte. „Es geht doch nicht nur darum. Ich will... einmal in meinem Leben im Meer schwimmen. Und Sand auf meiner Haut spüren, ihn durch meine Finger rieseln lassen. Das geht mit Schnee nicht. Ich bin mir zwar sicher, dass ein Strandurlaub nicht halb so toll ist, wie eislaufen, aber trotzdem."

Er nahm den Rasierer wieder in die Hand und begann Bascos Ohrenhaare an den Innenseiten vorsichtig zu trimmen. Hannah wartete geduldig am anderen Ende der Leitung, bis er das Gerät wieder abgeschaltet hatte.

„Und was würdest du gerne richtig gut können?", fragte sie.

„Meinen Hund frisieren, ohne danach in meiner ganzen Wohnung die Haare aufsaugen zu müssen." Sie lachte. „Holen wir uns einen Neufundländer, hat sie gesagt", murmelte er säuerlich und rupfte die Haare aus der Bürste. „Das wird lustig, hat sie gesagt. Und wo ist sie jetzt? Lässt mich mit dem Fellpanzer hier sitzen."

„Warum gehst du nicht zum Hundefrisör?"

„Weil der Hundefrisörsalon zu dem ich immer gegangen bin mittlerweile fünfhundert Mäuse für Basco verlangt. Und für das Geld zahle ich dir lieber die Flugtickets für deinen nächsten Besuch."

„Verdammt, jetzt darf ich nicht Mal was Sarkastisches darauf erwidern, oder?", schmunzelte sie.

Basco war nicht schwer zu waschen. Er hatte keine Angst vor dem Wasser und kein Problem damit, nass zu werden. Solange man ihm nicht wehtat, war er mit so ziemlich allem einverstanden, was man mit ihm anstellte. Mit dem Wasserstahl, dem Shampoo, dem Trockenrubbeln, dem Föhnen, dem Rasieren und Bürsten. Nur hatte Basco, wie jeder anderen Hund auch, die Angewohnheit, sich zu schütteln, wenn er ein nasses Fell hatte und er hatte es nicht geschafft, Bascos Fell in der Dusche schnell genug soweit trocken zu rubbeln, dass Basco nicht seinen ganzen Badezimmerboden und den Spiegel über dem Waschbecken und ihn nass schüttelte.

„Wenn ich ihn noch eine Stunde weiter bürste, kann ich mir bis heute Abend einen Corgi basteln."

Hannah lachte wieder. „Solange du rechtzeitig ins Flugzeug steigst."

Mia hatte in zwei Tagen Geburtstag und er hatte seinem Dad versprochen, vorbei zu kommen, auch, wenn es letztendlich Hannah zu verschulden war, dass er seine Familie nun doch besuchte. Und Andres, der ihm intensiv eingetrichtert hatte, dass er sich nicht ewig in New York verstecken konnte.

          

„Wenn du Angst vor dem hast, was zwischen dir und deiner Freundin vielleicht passieren könnte, dann brauchst du gar nicht erst eine Beziehung anfangen."

Und damit hatte Andres recht. Er konnte schlimme Dinge nicht verhindern oder ändern. Er konnte das Ergebnis, das in dem Brief stand, der noch immer ungelesen auf seinem Schreibtisch lag, genauso wenig ändern, wie die Tatsache, dass Hao seine Freundin geküsst hatte. Er konnte auch nicht verhindern, dass Hannah ihn betrog, also konnte er ihr nur vertrauen oder nicht vertrauen.

Er gab sein Bestes, hinter ihr zu stehen, aber es fiel ihm leichter, vom Schlimmsten auszugehen und zu ignorieren, dass ihn das Schlimmste zerfetzen würde. Nicht vom Schlimmsten auszugehen und dann enttäuscht zu werden, war noch viel schlimmer.

„Kommst du mich dann auch besuchen, wenn du schon da bist?", fragte Hannah.

Er begann, Bascos Haarbüschel, die er neben der Dusche auf dem Boden gesammelt hatte, aufzuklauben und in den Müllsack zu stopfen. Basco lag träge auf dem Badezimmerfliesen, froh darüber, dass sie nach zweieinhalb Stunden endlich mit seiner Fellpflege fertig waren. Er fand, dass nicht Basco, sondern er selbst erschöpft auf dem Boden liegen sollte. Er hatte schließlich geschuftet.

„Wenn du mich sehen willst."

„Natürlich will ich dich sehen! Nur... eben nicht bei dir."

„Mia hat dich wohl nicht zu ihrem Geburtstag eingeladen", riet er.

„Warum sollte sie? Sie hat seit fast vier Monaten kein Wort mehr mit mir gewechselt."

„Willst du tauschen?"

Sie lachte. „Sag bloß, ihr habt euch wieder gezankt."

Gezankt hatten sie sich nicht. Aber seit ein paar Wochen ließ Mia keine Gelegenheit aus, ihm ihre Bedenken wegen ihres Dads aufzuladen. Sie schrieb ihm fast täglich.

Dad ist heute im Badezimmer ausgerastet, weil er die Zahnpastatube nicht aufbekommen hat.

Dad war beim Arzt und hat neue Medis bekommen... ich mache mir wirklich Sorgen. Ich hoffe, sie helfen.

Mom und Dad streiten schon wieder.

Dad hat mir gerade siebenhundert Dollar überwiesen und mir gesagt, ich soll mir etwas Nettes kaufen... bitte sag mir, dass nicht nur ich das seltsam finde.

Er spielte gerne Mias Kummerkasten, aber nicht, wenn es um Dinge ging, die auch ihn betrafen. Dinge, vor denen er sich gerne verstecken würde, es aber nicht konnte, weil Mia sein Versteck immer wieder ausfindig machte und ihm haarklein berichtete, was alles in die Brüche ging.

Seit der Umschlag bei ihm zu Hause angekommen war, fand er Mias Nachrichten noch viel schlimmer. Eines Tages könnte ihn dasselbe Schicksal erwarten und er wollte es nicht sehen, das wollte er einfach nicht. Er wollte es nicht wissen. War das falsch? Egoistisch?

Mia hatte leicht reden. Ihr Testergebnis war negativ. Mom und Dad hatten für sie entschieden, dass sie den Test machen sollte, sie hatte sich nicht wie er feige davor drücken können.

Aber er saß hier, alleine in seiner großen Wohnung, die ihm täglich ein Stückchen leerer vorkam, (vor allem jetzt, da er nicht mehr arbeitete, fiel ihm auf, wie unpersönlich das Apartment eigentlich war, seit Dana weg war) und sah ein Schicksal vor seinen Augen vorbeiziehen, dem er selbst vielleicht nicht entrinnen konnte.

„Jason? Bist du noch da?"

„Ja", sagte es schnell. „Ich war nur in Gedanken."

„Julia ruft. Es gibt Abendessen. Schreibst du mir, wenn du am Flughafen bist?"

Er soll bitte sofort umziehen oder zumindest das Türschloss tauschen lassen

2y ago

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Ich wollte als Kind immer, wenn mir meine Mama die Haare geschnitten hat, eine Perücke für meinen Opa basteln xD Jason könnte auch in das Geschäft einsteigen

2y ago

The Edge of LifeWhere stories live. Discover now