Kapitel Einundzwanzig: Ablenken

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L I N A

»Aufwachen, Bohne! Du hast jetzt lange genug in deinem Selbstmitleid gebadet. Es ist Zeit, wieder von den Toten aufzuerstehen.«

Monas Stimme hallt durch den Raum, weswegen ich mürrisch nach der Bettdecke greife und sie mir über den Kopf ziehe. Ich habe keine Lust aus meinem Versteck hervorzukriechen. Wieso auch? Meine Laune hat einen neuen Tiefpunkt erreicht, was ich niemanden zumuten möchte. Nicht mal meinem schlimmsten Feind.

Seit gestern Morgen bin ich in meinem Zimmer und habe mein Handy ausgeschaltet. Und das aus guten Grund. Ich will mit niemandem reden, bevor ich es nicht mit mir selbst ausgemacht habe. Zuerst muss ich mir im Klaren sein, was ich genau will und die nächsten Schritte planen. »Komm schon, Adelina. Du musst dich ablenken. Dean wird sich bestimmt wieder einkriegen und sich dann bei dir melden.«

Woher weiß sie davon? Ich habe ihr nicht erzählt, was vorgefallen ist.

Nachdem ich in Sophias Arme zusammengebrochen bin, habe ich meine Tasche geschnappt und bin mit einem Taxi nach Hause gefahren. Es ist nicht so, als würde ich ihr etwas verheimlichen wollen, nur musste ich als Erstes selbst über alles nachdenken. »Wer hat es dir erzählt?« Ich kann nicht anders, als leise nachzufragen. Meine Neugier würde dieses Unwissen nicht akzeptieren und wenn sie sowieso da ist, kann ich die Informationen aus ihr herausquetschen.

»Sophia hat mich angerufen, weil sie dich nicht erreichen konnte.«

Die Matratze senkt sich und plötzlich wird mir die Decke vom Kopf gezogen. Monas blaue Augen sehen mich an und ich kann eine Mischung aus Erleichterung und Verwirrung darin erkennen. Anscheinend hat Deans Schwester ihr nicht alles offenbart. Auf der einen Seite finde ich das gut und zeigt mir, dass Sophia niemand ist, der Geheimnisse ausplaudert. Und doch wünsche ich es mir in diesem Moment. Denn auf der anderen Seite verfluche ich sie, da ich nochmals alles erzählen muss und ich mich aus diesem Grund wieder daran erinnern werde.

»Was hat sie dir genau gesagt?«, will ich mit zusammengezogenen Augenbrauen wissen. »Nicht viel. Nur, dass Dean und du Streit hattet. Also, was ist passiert?« Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe.

Soll ich ihr alles erzählen? Bis ins kleinste Detail?

Bei meinem Anblick richtet sie sofort den Finger in die Höhe und sieht mich tadelnd an. »Ich will alles wissen, Bohne. Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen und sprich endlich.« Ergeben seufze ich auf und schnappe mir mein Kissen, damit ich meinen Händen etwas zu tun gebe. Eine Methode, um nicht zu emotional zu werden. »Mir war gestern und heute Morgen schlecht, weswegen ich mich mehrmals übergeben musste. Eigentlich haben wir uns nichts Großes dabei gedacht, jedoch hat Sophia uns etwas gefragt, weshalb das Ganze dann auf eine Weise ausgeartet ist.«

Während ich ihr das alles erzähle, sehe ich sie nicht an. Es könnte sein, dass ich dann wieder in Tränen ausbreche und das würde ich dieses Mal gerne vermeiden wollen. Immer wieder zupfe ich an den Ecken, lenke mich damit ab. »Was hat sie gefragt?«, will Mona wissen und legt ihre Hand auf die meine, um meine nervösen Bewegungen zu stoppen. »Sie hat gefragt, ob es sein könnte, dass ich schwanger bin.«

Monas Augen weiten sich, während sie ihren Mund öffnet und wieder schließt, da kein Laut über ihre Lippen dringt. Mehrere Male wiederholt sie das und wegen ihres Gesichts, dass zu einer Grimasse verzogen ist, muss ich leicht schmunzeln. Das hätte ein tolles Foto werden können, hätte ich meine Kamera bei mir. Abwartend blicke ich sie an, gebe ihr die Zeit, die sie braucht, um meine Worte zu verarbeiten. Ich kann sie absolut verstehen, da meine Beziehung zu Dean noch relativ frisch ist und Kinder noch nicht in unserer Planung vorgekommen sind. Ich meine, erst vor zwei Tagen habe ich seine Eltern kennengelernt.

Das wird dir gefallen

          

»Hast du dir einen Test geholt?«, hakt sie nach und schüttelt eine Sekunde später mit dem Kopf. »Natürlich hast du das nicht getan. Ich werde dir gleich einen Termin bei deiner Frauenärztin vereinbaren, da du diesen Pinkelstäbchen kein Vertrauen schenkst.«

Mein Mund öffnet sich, jedoch mache ich es ihr, wie vor einigen Minuten gleich und schließe ihn wieder. Sie hat ja recht und ich bin froh, dass sie die Initiative für mich ergreift und die Terminvereinbarung übernimmt. »Du hast Glück, Bohne. Sie hat dich für morgen eingetragen, da in letzter Sekunde eine Patientin abgesprungen ist, weil sie krank im Bett liegt. Soll ich dich dahin begleiten und deine mentale Unterstützung sein?«

Meine Gedanken, die sich gerade eine Pause gegönnt haben, steigen wieder in die Achterbahn ein und fahren Loopings. Ein Wunder, dass meine Kopfschmerzen noch nicht da sind, da sich langsam alles in mir dreht. Auch wenn ich froh über diesen Termin bin, so beschleicht mich ein mulmiges Gefühl, weswegen ich mich aufrichte und so schnell wie möglich mein Badezimmer aufsuche, um mich erneut zu übergeben. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

Diese Ungewissheit bringt mich noch um den Verstand und trotzdem habe ich vor dem morgigen Tag Angst. Ist das irgendwie nachvollziehbar?

»Oje! Aber weißt du, woran du mich gerade erinnert hast? Wie du deinen Kosenamen bekommen hast, Bohne.«

Meine Haare werden von Monas Hand aus meinem Gesicht verbannt, während die andere sanft über meinen Rücken auf und ab streichelt. Bitte nicht, schreie ich sie in meinen Gedanken an, da ich diese Geschichte nicht mehr hören kann. Leider ist mein Mund mit etwas ekelhaften beschäftigt, sodass er ihr das nicht sagen kann.

»Dieser Bohneneintopf wird dich ein Leben lang verfolgen, meine Liebe. Ich habe es wirklich versucht, nur kann ich nichts dafür, dass mich das Kochen nicht mag und ich dich fast vergiftet hätte. Zum Glück hast du dich, wie jetzt auch, übergeben müssen.«

Der bloße Gedanke an dieses Essen lässt meinen Magen rumoren und mich würgen. Es war wirklich ungenießbar, nur wollte ich meine beste Freundin nicht verletzen und habe einige Löffel zu mir genommen. Dass es am Ende fast zu einer Lebensmittelvergiftung gekommen ist, konnten wir beide nicht ahnen. Wir sind beide Nieten im Kochen, was uns irgendwie noch mehr verbindet. Und bis heute will sie mir nicht erzählen, wie sie diesen Eintopf zubereitet hatte. Sehr wahrscheinlich hat sie ihren Fehler erkannt und will mich nicht in ihr kleines Geheimnis einweihen, damit ich ihr Sammy nicht auf den Hals hetze. Wo wir gerade dabei sind.

»Wo ist Sammy?«, krächze ich hervor und huste dabei. »Keine Sorge, Lina. Nate ist mit ihm eine Runde spazieren gegangen. Sie sind bald wieder zurück.« Überrascht hebe ich einen Moment meinen Kopf, bevor ich mich komplett aufrichte, um mir meine Zähne zu putzen und den widerlichen Geruch loszuwerden. »Er war damit einverstanden?«, hake ich nach, nachdem ich die Paste ausspucke und anschließend meinen Mund ausspüle. Ich hätte nicht gedacht, dass Nate so schnell mit Sammy wieder losziehen wird. Immerhin hat ihn mein Hund umgeworfen. Klar, das ist auf meinen Befehl hin passiert, trotzdem bin ich darüber verwundert.

»Ich musste ihn mehr dazu zwingen, aber schlussendlich hat er zugestimmt.«

Sobald ich mich zu ihr umdrehe, schlinge ich meine Arme um ihre Taille und drücke sie fest an mich. »Danke«, flüstere ich ihr leise ins Ohr. Auch wenn es nur für einen Moment gewesen ist, so hat sie mich mit ihrem Geschwafel ziemlich gut abgelenkt. Und wenn ich ehrlich bin, hat es mir gutgetan, darüber zu reden, auch wenn ich noch keinen Schritt weiter bin. Dean hat sich noch nicht bei mir gemeldet und ich weiß, dass er diese Zeit braucht und die werde ich ihm auch geben. Ehrlich gesagt, könnte ich es nicht mal wissen, ob ich eine Nachricht oder einen verpassten Anruf bekommen habe, da mein Smartphone noch immer Ausgeschalten ist und ich Angst habe nachzusehen. Und morgen ist ein wichtiger Tag. Ich werde weiteres erfahren und mir dann überlegen, was als Nächstes zu tun ist.

»Immer wieder gerne, Lina.«

Sanft drückt sie mir einen Kuss auf die Wange, nachdem ich mich von ihr gelöst habe und lächelt mich teuflisch an. »Aber eigentlich bin ich wegen was anderes gekommen. Ich konnte nicht ahnen, dass ich dich so vorfinden werde.« Neugierig mustere ich Mona und fordere sie mit einer Kopfbewegung auf, weiterzusprechen.

»Wir wollen heute einige Kartons in Nates Wohnung rüberfahren und ich habe mich gefragt, ob du uns helfen willst.« Sofort sieht sie mich aus ihren großen Augen an, schiebt ihre Unterlippe vor und neigt ihren Kopf dabei zur Seite. Ihr Hundeblick, mit dem sie mich jedes Mal um den Finger wickelt. »Bevor du antwortest, höre dir bitte mein Angebot genau an.« Kurz macht sie eine Pause, um meine Neugierde noch mehr anzustacheln, ehe sie tief einatmet und mich bereits mit dem ersten Satz überzeugt.

»Luigi wird uns mit Essen beliefern und selbst noch helfen. David und Nate sind natürlich auch dabei und wir alle werden dich von deinem Adonis ablenken, sodass du ihn und auch alles andere heute aus deinem hübschen Kopf verbannen kannst. Also, bist du dabei?«

»Natürlich, helfe ich euch, Goldi.«

Zuckersüß wie dunkle Schokolade | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt