27. Kapitel

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Wenn die Wirklichkeit hereinbricht

Als ich die Augen öffnete, stand ich inmitten des riesigen Chaos, in dem wir gestern noch ausgiebig gefeiert hatten.

Ich wusste weder wie ich hierhergekommen noch wann ich aufgewacht war. Aber das war mir in diesem Moment auch nicht sonderlich wichtig, denn meine Umgebung beanspruchte plötzlich meine komplette Aufmerksamkeit.

Das Zimmer sah noch unordentlicher aus, als ich es in Erinnerung hatte. Tische wurden durcheinandergeworfen und kaputte Stühle, die mit Gewalt zerschlagen worden waren, lagen in ihren Einzelteilen herum. Überall verteilten sich die Glassplitter auf dem Boden. Viele Lampen und einige andere Gegenstände waren aus ihrer Halterung gerissen und durch die Gegend gefegt worden. Unsicherheit durchströmte mein Bewusstsein und ein ungutes Gefühl beschlich mich. Schnell durchforstete ich mein Umfeld nach jemandem, der mir vertraut war. Doch anstatt einer Person entdeckte ich die Blutspuren auf dem Boden und an den Wänden. Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag. Ohne zu wissen warum, steuerte ich die Treppe an. Mit rasendem Puls und zitternden Händen begutachtete ich die blutigen Handabdrücke an der Wand.

Meine Panik übernahm die Oberhand und ich rannte in den ersten Stock. Ich schrie nach Bekannten, doch niemand antwortete mir. Der Zustand des oberen Geschosses besserte sich nicht. Die Türen wurden aus ihrer Verankerung gerissen.

Die Blutspur hatte mein ganzes Blickfeld eingenommen. Wie in Trance folgte ich ihr. Schließlich blieb ich an einer Tür stehen. Es brauchte meinen ganzen Mut, um ihr einen kleinen Stoß zu geben, wodurch sie quietschend aufflog und mir einen Blick auf die grauenerregende Szenerie dahinter verschaffte.

Galle stieg meinen Rachen empor und ich hatte Mühe meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Eilig griff ich nach dem Türrahmen, damit ich meinen weichen Knien etwas Halt verschaffen konnte.

Vor mir am Ende des Raumes hing ein toter Mann. Ein langer Stab hatte ihn durchbohrt. Die Mordwaffe ragte noch immer aus seiner Brust und war so fest in die Holzwand gestoßen worden, dass seine Füße in der Luft baumelten. Unter ihm bildete sich bereits eine große Blutlache. Unmengen an Blut. Der Raum zeigte deutlich die Spuren eines heftigen Kampfes. Langsam trat ich auf ihn zu, obwohl alles in mir schrie, es nicht zu tun.

„Es tut mir so leid, Milan ...", hörte ich mich sagen. „So unendlich leid."

Ich entdeckte einen Zettel, der am Holz befestigt war, doch bevor ich ihn lesen konnte, wurde ich gewaltsam zurück in die Wirklichkeit gerissen.

Ich schreckte auf und stürzte augenblicklich aus dem Bett, in dem Nick noch immer schlief. Ohne auf die anderen zu achten, hastete ich die Treppe hinunter in das vermeintliche Chaos. Doch wenig später stand ich in einem komplett gesäuberten Raum mit ordentlich aufgeräumten Stühlen und unversehrten Fenstern.

Fassungslos sah ich mich um. Wie war das möglich?

Ich ließ meinen Blick über die verwirrten Gesichter schweifen, die mich irritiert musterten. Im Gegensatz zu gestern war der Raum fast leer, wodurch ich Milan schnell fand. Er saß mit der Kellnerin am Tisch und trank gemütlich seinen Kaffee. Milan war lebendig und putzmunter. Erschöpft fasste ich mir an die Stirn. Natürlich lebte er.

„Sarah, meine Liebe, leiste uns doch ein wenig Gesellschaft", ertönte Milans Stimme durch den Raum.

Ich dachte an die zwei Träume, die sich bereits erfüllt hatten. Der Kuss mit Nick und Noahs Tod.

Was war, wenn Milan etwas zustoßen würde und ich nichts dagegen unternommen hatte? Dann wäre das alles meine Schuld. Nervlich völlig am Ende ließ ich mich neben den beiden nieder. Was sollte ich nur tun?

Dark Secrets of Chi - die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt