Sicht Kai
Auch am nächsten Tag redet Jule so gut wie gar nicht mit mir. Kein „Guten Morgen", kein „Wie geht es dir", nichts. Natürlich wusste ich, dass es meine Schuld war, aber ich bin es leid, ignoriert zu werden. Wir haben gesagt, wir bleiben Freunde. Aber Freunde ignorieren sich nicht.
Gestern ist er auch nicht nochmal ins Zimmer zurück gekommen. Er war die ganze Nacht weg und kam erst heute früh am Morgen zurück. Ich habe keine Ahnung, wo er war, was er gemacht hat und ob es ihm gut geht. Nach dem Telefonat mit Tobi wahrscheinlich nicht.
Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr in das Telefonat getroffen haben muss. Immerhin habe ich verleugnet, dass wir auf einem Zimmer sind, dass wir uns jetzt schon mehrmals fast geküsst hätten und ich habe Tobi vor Jule gesagt, dass ich ihn liebe. Jules enttäuschten und verletzten Blick werde ich wohl nie vergessen. Genau wie diese einzelne Träne, die ihm aus dem Augenwinkel lief, und welche ich ihm am liebsten sofort wieder weggestrichen hätte.
Es war niemals mein Ziel, ihm weh zu tun. Aber entweder verletze ich ihn, oder Tobi. Im schlimmsten Fall sogar beide. Ich will keinem von ihnen weh tun, dafür sind sie mir viel zu wichtig. Aber Tobi ist mein Freund und ich liebe ihn. Das mit Jule und mir ist Vergangenheit.
„Kai, du sollst dein Rührei essen und es es nicht noch mehr zerkleinern" reißt mich Marco, welcher gegenüber von mir sitzt, aus meinen Gedanken.
Völlig verwirrt schaue ich ihn an. Wie lang habe ich denn bitte jetzt in diesem Essen herumgestochert?
„Ist alles okay?" Fragt er leise. Ich sehe ihn an, zucke mit den Schultern und blicke mich im Raum um, in der Hoffnung Jule zu finden. Es dauert nicht lang, da habe ich ihn auch schon gefunden. Er sitzt zusammen mit Joshua und Leon an einem Tisch, sieht dabei aber genau so gedankenverloren aus, wie ich wohl vor wenigen Augenblicken.
„War Jule diese Nacht bei dir?" Frage ich leise. Marco sieht mich nur verwirrt an und schüttelt den Kopf.
„Nein. Wieso sollte er? Hattet ihr Streit?" Sofort schüttle ich den Kopf. Als Streit kann man das ja nicht wirklich bezeichnen.
„Er ignoriert mich" gebe ich leise zurück, senke meinen Blick und sehe auf meine Hände.
Ich will nicht, dass Jule und ich uns die gesamte Zeit ignorieren, in welcher wir uns sehen können. Ich will, dass es zwischen uns wieder wird wie damals. Ich will, dass wir wieder lachen können und uns alles erzählen, was uns gerade beschäftigt. Ich will meinen alten Jule zurück.
„Rede mit ihm" schlägt Marco vor, doch ich sehe ihn nur unsicher an.
Vielleicht sollte ich nochmal mit Jule reden, aber wird das überhaupt etwas ändern? Jule braucht wahrscheinlich erstmal Zeit, um mit der ganzen Situation klarzukommen. Aber vielleicht sollten wir doch noch einmal reden. Vielleicht können wir beide dann endlich mit der Vergangenheit abschließen und wieder Freunde werden.
„Ich weiß nicht. Ich glaube, das möchte er gar nicht." Sage ich leise und sehe wieder auf meinen Teller.
Vielleicht habe ich Jule dadurch endgültig verloren. Ich will ihn nicht verlieren. Er ist mir doch immer noch unglaublich wichtig. Niemals könnte ich es mir verzeihen, wenn ich ihn durch meine eigene Dummheit verlieren würde.
„Ich kenne Jule jetzt lang genug, um zu wissen, dass du wohl die einzige Person auf der Welt bist, mit der er immer reden wird. Egal, was zwischen euch vorgefallen ist. Versuch es einfach. Und wenn es nicht funktioniert kannst du wenigstens sagen, du hast es probiert. Lass ihn nicht hängen, Kai. Gib ihn nicht einfach auf. Er braucht dich gerade wahrscheinlich mehr als du denkst, und er jemals zugeben würde." Erklärt Marco.
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Always You
Fanfiction„Die Zeit heilt alle Wunden" sagt man. Umso mehr Zeit vergeht, desto geringer wird der Schmerz. Er schrumpft immer weiter und weiter, bis wir ihn nicht mehr spüren können. Irgendwann ist er so klein, dass wir ihn einfach vergessen und weiter leben...