Kapitel 6

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,,Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir bald auf die Uni gehen. In der High School haben wir immer so viel scheiße gebaut und jetzt? Jetzt fühlt es sich so an, als dürften wir keine Fehler mehr machen. Als müssten wir bald mit einem Schlag erwachsen werden." Ich kann mich genau erinnern, als ich das zu Charlie sagte.

,,Wieso? Jetzt sind wir ja noch nicht auf der Uni. Und auch wenn es alle von uns erwarten, müssen wir nicht fehlerfrei sein.", antwortete er mit einem leichten Lächeln.

,,Ja, aber wir studieren bald und dann müssen wir an unsere Zukunft denken. Wir werden viel ändern müssen. Vor allem uns selbst. Wir werden nicht mehr so viel auf Partys gehen können und uns nicht mehr so viel Scheiße erlauben können wie auf der High School."

,,Glaub mir! Wir werden an der Uni noch viel öfter auf Partys gehen." antwortete er lachend und spricht dann weiter: ,,Erwachsen werden heißt nicht, die Freude zu verlieren. Du darfst sie dir nur nicht nehmen lassen. Mach dir nicht zu viele Sorgen um die Zukunft. Lebe im Hier und Jetzt. Genieße den Ausblick."

Der Strand war wunderschön ruhig. Es war Vormittag an einem Wochentag. Außer uns war niemand hier. Wir saßen auf der warmen Sanddecke mit dem Blick auf den Ozean. Die Wellen ließen das Licht der Sonne auf der Wasseroberfläche tanzen.

,,Schade, dass wir keine Badesachen mithaben. Ich würde jetzt gerne ins Wasser gehen.", äußerte ich meinen Wunsch.

,,Badesachen sind dafür nicht notwendig. Komm mit!" Charlie zieht sein T-Shirt aus und rennt auf das Wasser zu.

,,Was machst du?", rief ich ihm zu.

,,Komm endlich!", bekam ich statt einer Antwort, ehe Charlie ins Wasser rennt.

Ich ziehe meine Weste aus und renne ihm hinterher. Das Wasser war angenehm kühl. Charlie schwamm so weit hinaus, dass er gar nicht mehr stehen konnte. Unsere Blicke trafen sich und er setzte ein freches Lächeln auf. Ich wusste sofort, dass er etwas vorhat, denn er schwimmt auf mich zu, ohne diesen Blick von mir abzuwenden.

,,Du sollst richtig ins Wasser kommen." Mit diesen Worten hebt Charlie mich hoch und wirft mich, trotz Fluchtversuch, ins tiefere Wasser.

,,Du bist wirklich ein Arschloch.", sagte ich, als ich wieder auftauchte und Charlie lachte nur. Ich versuchte wütend zu wirken, aber stattdessen stieg ich in sein Lachen ein. Ich konnte einfach nicht anders.

Wir blödelten eine Zeit lang bis wir schließlich beide müde wurden. Wir setzten uns wieder auf dem gleichen Platz wie vorhin. Ich war völlig außer Puste. Charlie genauso. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt. Ich dachte über meine Zukunft nach und wie sie wohl aussehen könnte. Ich dachte auch über den Kuss mit Charlie auf der Party nach. Es war gar nicht so lange her gewesen. Ich wollte ihn darauf ansprechen. Ich wollte ihm sagen, was er mir wirklich bedeutete. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen.

,,Darf ich dich etwas fragen?", fing ich ängstlich an.

,,Ich werde sterben, Melissa.", sagte er aus dem Nichts. Ich war geschockt. Wie konnte das sein? Oder war das wieder einer von seinen schlechten Witze?

,,Was meinst du?", frage ich nach.

,,Ich habe einen Hirntumor im vierten Stadium. Das heißt, ich hab' Krebs."

Bei diesem Satz lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wie konnte das sein? Charlie war der wundervollste Mensch, den ich kannte. Wieso musste gerade ihm so etwas passiert. Ich konnte es nicht verstehen.

Charlie nahm mich in den Arm, als er sah, dass Tränen über meine Wangen liefen. Es fühlte sich für mich komisch an, dass er mich trösten wollte, obwohl er derjenige war, der krank war.

*****

Mir rollen die Tränen über meine Wangen. Dies ist damals ein schmerzhafter Moment gewesen. Mittlerweile ist es komplett dunkel. Eine sternengetauchte Nacht überzieht den Himmel. Ich weiß gar nicht mehr wie ich jetzt nach Hause kommen soll. Ich sehe auf mein Handy, Nolan hat mich weitere Male angerufen. Meine Wut hat auch wieder nachgelassen, also beschließe ich ihn zurückzurufen.

,,Mel, wo bist du?", fragt er mit zitternder Stimme.

,,Ich bin am Strand. Ich wollte mich gerade wieder auf dem Weg nach Hause machen."

,,Ich habe mir Sorgen gemacht. Geht jetzt noch überhaupt ein Bus?", fragt Nolan geschockt.

,,Ich weiß nicht. Ich muss erst nachsehen.", antworte ich emotionslos.

,,Ruf dir ein Taxi! Ich bezahle es, aber ich will nicht, dass du um die Uhrzeit noch allein herumstreunst."

Jeder der mich kennt, weiß, dass ich es hasse, wenn mir jemand etwas bezahlt. Normalerweise würde ich lieber wieder zu Fuß heimgehen, als für ein Taxi zu bezahlen, aber jetzt sage ich einfach: ,,Okay."

,,Gut. Ich warte auf dich." Nolan klingt überrascht und erleichtert zugleich. Ich tue genau das, was er mir gesagt hat und fahre mit dem Taxi zurück zur Wohnung. Vor der Haustüre wartet Nolan und kommt sofort mit einem Geldschein auf das Taxi zu, um den Fahrer zu bezahlen.

,,Wie kannst du einfach so verschwinden? Ich habe dich gesucht und ich habe mir Sorgen gemacht. Ich konnte dich nicht erreichen. Du warst unauffindbar.", schreit er mich an.

,,Ja Mama, es tut mir Leid.", sage ich genervt. Will er mir als nächstes Hausarrest geben?

,,Bitte Mel. Es tut mir Leid, was ich zu dir vorhin gesagt habe, aber bitte mach das nie wieder. Ich hatte Angst um dich." Seine Gesichtszüge werden wieder weicher. Ich habe ihm wohl echt Angst eingejagt, denn jetzt tut es mir Leid, wenn ich ihn so sehe.

,,Okay. Entschuldige. Das wird nicht mehr vorkommen." Mit diesen Worten umarme ich Nolan, um ihn wieder zu beruhigen. Er zittert am ganzen Körper.

Wir gehen hinein und setzen uns auf die Couch. Ich entschuldige mich mehrmals bei Nolan. Das habe ich nicht gewollt. Ich musste nur mal eben alleine sein und meinen Kopf freibekommen. Langsam wird die Atmung von Nolan wieder langsamer. Auch er entschuldigt sich bei mir. Wir legen uns nebeneinander auf die Couch. Nolan hält mich fest in seinen Armen. Eine Wärme durchfließt mich, wie schon lange nicht mehr. Ich nehme mir selten Zeit für solche Momente mit Nolan. Nach diesem langen Tag überkommt mich die Müdigkeit. Ich versuche meine Augen offenzuhalten, aber trotzdem fallen sie zu und ich schlafe auf Nolans Brust ein.

Nothing but EverythingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt