Simon

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Gesehen habe ich Riley gestern nicht mehr. Ich wusste, dass sie in der ersten Stunde noch bei dieser Sitzung war. Danach war sie verschwunden. Ich habe die anderen gefragt wo sie sein könnte, doch keiner gab mir eine klare Antwort. Ich fragte mich, was bei dieser Sitzung passiert war. Für den restlichen Tag war sie auch nicht erreichbar. Komisch. Auch jetzt wählte ich ein weiteres Mal ihre Nummer. Doch es ging nur die Mailbox ran. Liegt es vielleicht doch an mir? Oder an Alex? Hat sie mit ihm die Beziehung beendet, doch es lief nicht gut?

Ich ging in die Küche und entschied mich Pralinen zu machen. Sie liebte Pralinen über alles. Ich rief das nächste Rezept auf und checkte die Zutaten. Sieht gut aus. Noch letzte Vorbereitungen, bis ich alles in eine Schüssel kippte und verrührte. Der Teig färbte sich komisch gelb. Musste das so sein? Ich denke nicht, aber was solls. Aus dem fertigen Teig formte ich noch kleine Kügelchen, die ich nacheinander und geordnet auf dem Backblech platzierte. Ich betrachtete mein Werk. So schlecht war ich doch nicht im Backen. Ich ließ das Blech kurz stehen und ging zurück ins Wohnzimmer. Schnell schnappte ich mein Handy und schaute nach ungelesenen Nachrichten oder verpassten Anrufen. Doch ohne Erfolg. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Entweder während der Sitzung oder danach. Zurück in der Küche, schaltete ich den Ofen ein und schob das Blech schließlich hinein. Zwanzig Minuten stand auf dem Rezept. Ich setzte mich an den Küchentisch und beschloss sie noch einmal anzurufen. Es tutete einmal, zweimal. Und auch beim dritten Mal geht keiner dran. Plötzlich hob jemand ab. »Was gibt's?«, begrüßte sie mich. »Wo bist du und wieso nimmst du meine Anrufe nicht ab?« Sie seufzte. Hatte sie Angst? »Ich bin zu Hause. Seit gestern.« »Dass du nicht in der Schule warst, habe ich schon gemerkt. Was ist los?« »Simon, weißt du. Es ist nichts los. Hör auf dich verrückt zu machen. Es ist alles in Ordnung.« Ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme heraus. Es musste etwas passiert sein. Irgendetwas worüber ich anscheinend nicht wissen darf. Aber was war der Grund? »Es ist etwas passiert. Da bin ich mir sicher.« »Und da hast du auch recht. Aber ich kann dir darüber nicht erzählen. Also. Was ist?« »Okay. Das wars dann. Kann ich vorbei kommen?« »Nein«, sagte sie und legte dann auf. Somit war das Telefonat beendet. Ich atmete tief aus und legte mein Handy dann neben mich auf die Couch. Dann stützte ich mein Gesicht in meinen Händen ab. Habe ich etwas falsches getan oder gesagt? Es wird schon nichts sein, versuchte ich mir selbst einzureden. Dann ging ich wieder in die Küche. Ich schaute zum Ofen. Die Pralinen sahen zwar aus wie kleine Häufchen, die ein fünf- jähriger gebastelt hatte, aber es ging nun mal um den Geschmack. Oder? Da war das Aussehen nicht sehr wichtig, denke ich mal. Wieder im Wohnzimmer, setzte ich mich auf die Couch und startete eine Netflix Serie.

Es vergingen Stunden, doch irgendetwas war anders. Der Geruch meiner Wohnung hatte sich verändert. Denke ich. Ohne dem Geruch hinterher zu gehen startete ich die nächste Folge. So schlimm wird es schon nicht sein. Außerdem öffnete ich noch ein Fenster, damit der Geruch schneller verschwand. 

Es mussten wohl Stunden vergangen sein, als mich das laute Piepen des Rauchmelders weckte. Ich öffnete meine Augen. Mein Herz machte einen Sprung. Aus der Küche strömte Rauch. Viel Rauch. Schnell eilte ich in die Küche. Der Ofen stand in Flammen und die Küche war komplett mit Rauch bedeckt. Schnell schnappte ich mir einen Rucksack und packte die wichtigsten Dinge ein. Anschließend versuchte ich die Feuerwehr zu erreichen.

Es dauerte nicht lange bis die Sirenen der Wägen ertönten. Inzwischen stand ich draußen an der Straße. Mein Wohnungsblock wurde komplett evakuiert. Ob Riley schon darüber bescheidt wusste? Ich hoffe einfach mal nicht. Doch meine Hoffnung zerplatzte, als ich jemanden hinter mir meinen Namen rufen hörte. Es kann nur sie sein. »Was zur Hölle hast du gemacht?!« Man merkte wie angespannt und besorgt sie war. »Nichts schlimmes.« »Nichts schlimmes?! Deine Wohnung steht in Flammen!« »Ich glaub ich habe die Pralinen im Ofen vergessen.« »Du glaubst?! Wie kann man in so einer Situation so ruhig bleiben?!« »Indem du nicht verstehst, dass deine Wohnung wirklich in Flammen steht.« Ich lachte auf. Ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Irgendetwas sagte mir, es war nur ein Traum. Doch Riley, die neben mir stand, zeigt mir das es kein Traum war. Ihr entsetzter Blick versicherte mir, dass es wohl echt war. »Heißt das ich bin jetzt obdachlos?«, gab ich schließlich hervor. »Nein?« »Aber ich habe keine Wohnung mehr zum Wohnen.« »Hast du einen Knall, Simon? Hast du getrunken oder so?« »Nein, habe ich nicht. Beruhige dich bitte.« Ich streckte meinen Arm aus, um sie in eine feste Umarmung zu schließen, doch sie wich aus. »Simon, du kommst natürlich zu mir! Und da bleibst du jetzt erst mal.« »Das würdest du für mich tun?« »Lebst du nicht so oder so schon fast bei mir?« Ich schaute kurz hoch zu meiner Wohnung, aus der jetzt nur noch Rauch quoll. »Ja, schon, aber es ist nicht offiziell.« »Offiziell hin oder her. Du bleibst bei mir.« Ich merkte wie ich anfing zu lächeln. Darauf kassierte ich einen Stoß in die Seite.

Wir beobachteten eine Weile all die Feuerwehrmänner, Polizisten und Rettungskräfte. Langsam realisierte auch ich was passiert war. Ich habe wirklich die »Pralinen« im Ofen vergessen. Ich schaute nach links, ich schaute nach rechts. Das alles hier war meine Schuld. Ich war derjenige weshalb die Wohnung brannte. Ich war für den ganzen Trubel verantwortlich. Es war meine verdammte Schuld. Ich schaute rüber zu Riley. Doch diese hielt sich immer noch die Hand vor dem Mund. Vorsichtig legte ich meinen Arm um sie und drückte sie leicht zu mir. Sie fühlte sich kalt an. »Hast du keine Jacke an?« Als Antwort bekam ich nur ein Kopf schütteln. Wir hatten Ende Oktober und sie kam ohne Jacke angetanzt. Ich nahm meinen Rucksack und kramte einen Pulli heraus, den ich in letzter Sekunde einpackte. »Hier. Nimm den.« Sie nahm den Pulli und zog ihn sich drüber. Daraufhin legte ich meinen Arm wieder um sie. »Es tut mir leid«, flüsterte ich schließlich. Doch sie schüttelte nur den Kopf. »Wieso entschuldigst du dich bei mir? Es ist nicht meine Wohnung«, brachte sie schließlich mit zitternder Stimme hervor. »Alles okay?« Auch diesmal schüttelte sie nur den Kopf. Sofort legte ich auch den zweiten Arm um sie und schloss sie in eine feste Umarmung. Ich spürte, dass sie anfing zu weinen. Ihr ganzer Körper bebte. Sollte nicht ich der sein, der weint? Sollte ich nicht komplett aufgelöst sein? Wieso geht's mir gut? Meine Wohnung ist abgebrannt. Wieso weine ich nicht? Was war nur los mit mir? Rileys Weinen wurde immer lauter. Vorsichtig strich ich immer wieder über ihren Rücken. »Alles wird gut«, flüsterte ich und hoffte, dass es auch so sein wird.

Es verging eine Weile. Riley löste sich nicht von mir. Man sah Bewohner, die sich unter einander austauschten, wessen Wohnung es gewesen sein könnte.

Egal, wie viele sich unterhielten, ich war mir sicher, keiner würde auf die Idee kommen, dass es meine war. Sie würden denken, dass es Rileys war. Sie war doch die, die hier in meinen Armen weinte. Sie war die, die komplett aufgelöst war. Nicht ich. Ich bin wie jeder andere Mensch hier. Ich stand hier und schaute hoch zu meiner Wohnung. Meine Wohnung, die nicht mehr existierte. Alles was da drin war, ist weg. Klamotten, Erinnerungen. Fotos meiner Familie, Fotos von Riley. Die letzten Erinnerungen, die ich noch hatte. Nein, ich hatte nicht alles verloren. Einen Karton konnte ich Riley bringen. Zwar war das schon etwas länger her und ich wusste nicht, ob sie diese noch besaß, doch innerlich hoffte ich einfach, dass sie bis zu ihrem Geburtstag diese Kiste aufhob. Ich hatte nicht die Zeit alles mit zu nehmen. Ich konnte nichts mehr tun. Ich habe gelacht, als die Wohnung gebrannt hatte. Ich habe gelacht, obwohl ich gerade alles verloren habe. In der Ferne sah ich einen Polizisten mit einem Feuerwehrmann. Beide gingen auf Riley und mich zu.

»Guten Abend. Meyer ist mein Name. Ich nehme mal an, dass es die Wohnung ihrer Freundin, Schwester oder was auch immer sie ist, ist?« »Nein, es ist, oder besser gesagt war, meine Wohnung.« »Ist sie okay?«, fragte der Polizist und deutete auf Riley. Riley schniefte. »Ich denke mal schon.« Ich wusste, dass gar nichts okay war, aber ich konnte das nicht sagen. Sie würden Ärzte hierher schicken und das möchte ich vermeiden. »Wann können wir gehen?«, fragte ich schließlich den Feuerwehrmann. »Wir wollen nur noch letzte Infos haben und dann können Sie gehen. Also...«

Auch dieses Gespräch dauerte ungefähr eine Stunde. Inzwischen stand Riley wieder auf den Beinen und konnte sich beteiligen, falls nötig. Man sah ihr an, dass der Brand sie ziemlich mitgenommen hatte. Doch sie hatte eigentlich gar keine Gründe so aufgelöst zu sein. Oder? »Sind Sie sich sicher, dass Sie keinen Arzt benötigen?« Der Polizist fragte Riley diese Frage immer und immer wieder. Und jedes Mal bejahte Riley diese. Ich wusste doch, dass sie Hilfe brauchte. Es war typisch sie, dass sie sagte es ginge ihr gut, obwohl es gar nicht so war.

Der Polizist verschwand nach einer Weile. Wir standen noch da und schauten hoch zur Wohnung. Inzwischen war es schon dunkel. »Ich glaub wir sollten nach Hause gehen«, sagte Riley zum ersten Mal nach zwei Stunden. Unser Blick glitt weiter hoch zum Nachthimmel. Dort begrüßte uns der Stern Vega strahlend. Vega an der Spitze des Himmels. Im Sommer ist sie in einem Dreieck am Himmel geformt mit den zwei Sternen Deneb und Altair. Gemeinsam bildeten sie das Sommerdreieck. Manchmal konnte man entweder im oder am Sommerdreieck die Milchstraße erkennen, denn das war der Ort an der sie sich aufhielt. Gut sehen konnte man sie vom Juli bis zum August. An manchen Nächten sogar mit bloßem Auge. »Ich glaube auch.« Wir schauten wieder runter. Ich war mir sicher, dass ihr Blick auch auf der Person gegenüber uns lag. »Viola«, flüsterte Riley. Das war also Viola. Ich sah wie sie langsam auf uns zu kam. Schnellhakte sich Riley bei mir ein und zog mich hinterher. »Wir können gehen.«, sagte sie noch schnell.

The Simon & Riley Story| Part 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt