» 𝐈𝐜𝐡 𝐰𝐞𝐫𝐝𝐞 𝐝𝐞𝐫 𝐖𝐞𝐥𝐭 𝐝𝐞𝐧 𝐊𝐫𝐢𝐞𝐠 𝐠𝐞𝐛𝐞𝐧, 𝐧𝐚𝐜𝐡 𝐝𝐞𝐦 𝐬𝐢𝐞 𝐯𝐞𝐫𝐥𝐚𝐧𝐠𝐭 «
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𝐙𝐚𝐫𝐣𝐚 ist mit den magischen Kräften einer Kresnitsa gesegnet - oder vielmehr verflucht. Denn was einigen wenigen Macht...
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An die Blicke, denen er sich nur zu gerne entzog, bereits so gewöhnt, stellte Amias nun überrascht fest, dass keine der Personen sie beide wirklich zu beachten schien. Höchstens vor der schwarzen Uniform wich man noch instinktiv zurück, doch weder er noch die Soldatin kümmerten die reicheren und ärmeren Bürger, die sich panisch durch die Straßen drängten, um ihr Leben rannten oder verzweifelt nach anderen suchten.
Ihre bloße Anwesenheit raubte Amias den Atem und er meinte, zwischen all den Leibern und der von ihnen ausströmenden Wolke der Angst, die die Luft verpestete, zerquetscht zu werden.
Gerade als er fürchtete, darin zu ertrinken, zog ihn Nadzha in die Richtung einer Seitengasse. Unter sich hörte er das Platschen, mit dem seine Schuhe in etwas Flüssigem landeten, bevor eben jenes gegen seine Hose spritzte, den Stoff kühl und nass an seiner Haut kleben und ihn sein Buch schützend fester an die Brust pressen ließ.
Ein kurzer Blick nach unten offenbarte Amias eine erschreckend große, rote Lache. Ihm wurde speiübel, aber lief er weiter.
Schwer atmend, würgend und die Hand gegen die Lippen gepresst, um sich daran zu hindern, sich auf der Stelle zu übergeben oder zu schreien, kippte er schließlich gegen eine kühle Mauer, als Nadzha endlich in dieser Gasse innehielt, deren Verlassenheit ihm Sekunden zuvor noch wie die größte Erlösung erschienen war. Jetzt, mit dem Blut irgendeiner Person besudelt, kümmerte ihn ihre Ruhe und Sicherheit nicht mehr.
„Geht es Euch gut?" „Nein", gab Amias stumpf zurück. Natürlich nicht, er hatte schließlich soeben in fremdem Blut gebadet!
Hoffentlich war zumindest DieVerdammten verschont geblieben. Der bloße Gedanke, dass der Einband oder die Seiten eines seiner, sogar vom Autor signierten, Lieblingsbücher, davon bespritzt worden sein könnten, trieb ihm Tränen in die Augen. Doch er wagte nicht, es zu überprüfen.
Aus den Augenwinkeln – denn er wollte den Blick auf Hose und Schuhe tunlichst vermeiden – nahm der Prinz wahr, wie Nadzhas Finger unruhig mit ihren Zöpfen spielten, als fühle sie sich ohne das Band in ihrem Haar nackt. Wie sie in dieser Situation immer noch an dieses Stückchen Stoff denken konnte, war ihm schleierhaft.
„Ich weiß, es ist albern. Aber es war ein Geschenk, wisst Ihr", antwortete sie, als hätte sie die Gedanken an seinem Blick ablesen können, und Amias spürte seine Ohren rot anlaufen. „Von jemandem, der mir viel bedeutet." „Ich ersetze es Ihnen." Sofern wir lebend hier rauskommen.
„Was ist das?", fragte die Kresnitsa und zwang Amias, der mittlerweile die Farbe der frischgetünchten Wand angenommen hatte, bloß mit einem ungesund grünlichen Unterton, nun vollständig aufzublicken.
Mit gerunzelter Stirn deutete Nadzha Svarozhina auf das Buch, das er immer noch fest umklammert hielt, als wäre es sein Rettungsanker. Vor dem widerlichen metallischen Gestank, der sich zunehmend in seiner Nase und auf seiner Zunge festsetzte, konnte es ihn jedoch nicht schützen.
„Die ... Die Verdammten. Von Marquis de la Rouche", murmelte er gegen seine vors Gesicht gepresste Hand, mit der er sich des Geruchs erwehren wollte. Oder das, was davon noch übrig ist, fügte er in Gedanken bitter hinzu.
Als beantworte das ihre eigentliche Frage nicht, musterte sie ihn noch verwirrter als zuvor, letztlich war seine Lektüre aber nicht das, was sie am meisten zu beschäftigen schien. Es bedurfte keines Menschenkenners um zu sehen, dass sie überall lieber gewesen wäre als hier. Immerhin hatte sie diesen Umstand schon zuvor mehr als deutlich gemacht.
„Die Vorstellung, mich zu begleiten muss Ihnen ja ziemlich abscheulich sein", meinte Amias, so blasiert und herablassend wie es sich für einen Prinzen gebot, die Ablehnung eines einfachen Bürgers hinzunehmen, obwohl in seinem Inneren Zorn und Scham prickelten.
Jedoch schienen seine Worte ihre Wirkung zu erzielen, denn er beobachtete mit einer gewissen Zufriedenheit, wie sie Nadzha erst erbleichen, dann vor Verlegenheit erröten ließen. Ihm genügte, dass er sich gegen die Verachtung seines Vaters und seiner Geschwister nicht verteidigen konnte – obwohl vor der Welt ein Prinz war er in seinem eigenen Palast nur ein unliebsamer Schatten –, doch warum sollte er sich von dieser Fremden beschämen lassen?
„Was? – Nein! Es ist nur ..." Das Mädchen schluckte hart. „Ich bin keine Soldatin. Nicht so richtig." Sie tippte sich auf das Abzeichen, das einen Hammer gekreuzt mit einem Kanonenrohr darstellte. „Ich bin Ingenieurin. Ich helfe bei militärischen Entwicklungen."
Erst jetzt bemerkte er, dass sich ihre Uniform, geschnitten wie ein Kaftan, ein wenig von der der anderen unterschied. Die Schnüre waren von einem dunklen Rot, nicht silbrig-gold. „Soll das heißen, Sie haben keine Ahnung vom Gefecht?"
„Nun, ich habe wie alle in der Kresniknina die Grundausbildung gemacht, aber ..." Amias wusste nicht recht, ob er es abermals als Beleidigung auffassen sollte, dass man ihm eine Soldatin zur Seite gestellt hatte, die nicht primär für den Kampf ausgebildet worden war, oder vielleicht gar als subtiles Attentat.
„Dann arbeiten Sie an solchen Dingen wie den Feuerwaffen für die Kresniknina?", fragte Amias und verfluchte sich für seine Neugierde, die seiner Stimme auch noch allzu gut anzuhören war.
Erfindungen, die durch und mit Magie funktionierten, hatten immer schon eine gewisse Faszination auf ihn ausgeübt. Nicht zuletzt, weil derartiges in Finience nie möglich gewesen wäre – jedenfalls nicht abseits der finsteren Abgründe der sich hartnäckig haltenden Ebreniser Unterwelt.
Zwar stimmte er Pinabel zu, dass es falsch war, Faie und ihre Fähigkeiten zu missbrauchen wie Velija es tat, aber sich dafür zu interessieren, war doch nicht verwerflich, oder?
Nadzhas hellbraune Augen leuchteten auf. „Genau! Im Bau des neuen Gewehrmodells habe ich sogar die Leitung erhalten." Peinlich berührt verstummte sie wieder. „Ach du meine Güte, darf ... darf ich Euch so etwas überhaupt erzählen?" Sie murmelte ein atemloses Gebet an den Gott Svarog, dem sie wohl ihren Namen verdankte wie es bei der Magiergilde des Zaren Tradition war.
Tief in Amias' Inneren glomm ein Funken Mitleid für das Mädchen vor ihm auf. In seiner Heimat hätte man jemandem wie ihr die Möglichkeit auf Heilung von ihrer Magie geboten, statt sie derart dafür auszubeuten.
Man behauptete zwar, dass die negativen Folgen, das Leid, mit guter Ausbildung zu umgehen wären, doch dieses Argument schien wenig überzeugend, wenn man bedachte, dass viele Kresnikinamitglieder genauso wie andere Magoi kein hohes Alter erreichten.
Vielmehr war es doch eine lausige Ausrede der Zaren, des Adels und der reichen Fabrikanten – sofern diese sich überhaupt bemüßigt fühlten die Sklaverei in ihren Betrieben im geringsten zu verteidigen – , um davon zu profitieren. Eine schamlose Lüge, unter deren strahlendweißen Deckmantel, sie die Vorzüge von Magie genossen, während sie ihre Folgen ihre Opfer ganz alleine tragen ließen.