Rache

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Gidi hatte bemerkt, wie ihr Mann sein Lager verließ. Schnell schlüpfte sie in ihr Hemd und folgte ihm zur Tür. Als sie die Wilden im Feuerschein sah, stockte ihr der Atem.

*

Nitsas-Ini spürte seine Frau hinter sich. Er riss sie nach vorne, schubste sie zur Seite und schrie:

„Lauf, Gidi, lauf!!"

*

Gidi fühlte, wie ihr Mann nach ihr griff und sie zur Seite stieß, hörte seine Worte und gehorchte. Jetzt war keine Zeit um Fragen zu stellen, keine Zeit, um sich umzuschauen, keine Zeit, um zu überlegen. Schnell lief sie in die schützende Dunkelheit.

Und dann hörte sie das Prasseln des Feuers, die Schreie der Tiere, die keine Chance hatten, dem nun brennenden Stall zu entkommen, und das Gepolter der Pferde, die versuchten, aus dem Paddock zu fliehen.

Gidi lief, sie lief so schnell sie konnte, spürte nicht die spitzen Steine, die sich in ihre nackten Fußsohlen bohrten, bemerkte nicht die Dornen der Büsche, die ihren Körper zerkratzten. Ihre Lungen brannten, doch sie lief weiter, immer weiter.

Sie stolperte, fiel auf die Knie, rappelte sich hoch, lief weiter, nur um erneut zu Boden zu fallen. Längst waren die Todesschreie der Tiere verhallt, längst schon konnte sie den Schein des Feuers nicht mehr sehen, doch sie lief weiter, lief um ihr Leben, welches ihr Mann ihr geschenkt hatte, als er sich für sie opferte.

„Lauf, Gidi, lauf!", klang es immer wieder in ihrem Kopf, und sie lief...

*

Die Wilden hatten die Ställe in Brand gesetzt und auch aus dem Hogan des Onkels schlugen die Flammen und versengten das Haar des Häuptlings. Erst als er sich sicher war, dass seine Frau entkommen war, stürzte er nach vorn und warf sich auf die Gegner, die nun mit ihren Speeren auf ihn zielten. Er erwartete den Todesstoß, doch niemand verletzte ihn. Hände griffen nach ihm, Körper warfen sich auf ihn und er fiel zu Boden. Schon waren sie über ihm und fesselten und knebelten ihn. Er wehrte sich nach Kräften, doch die Übermacht war zu groß. Jemand hatte einen Stein ergriffen und schlug ihm nun damit auf den Kopf. Sofort fiel er in die gnädige Bewusstlosigkeit.

*

Längst schon hatte Gidi jegliche Orientierung verloren. Im Dunkel der Nacht irrte sie im Wald umher, stieß immer wieder gegen Bäume, trat in Löcher und verhedderte sich in den Büschen. Dann brach sie zusammen. Sie versuchte noch sich wieder aufzurichten, doch ihr Körper versagte. Weinend sank sie auf das Moos, welches den Boden bedeckte.

Als Gidi wieder zu sich kam, drangen die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume und erhellten ihr die Umgebung. Nun konnte sie die Himmelsrichtungen bestimmen und machte sich auf den Weg. Sie musste Schi-So finden, der noch immer bei den Leuten in Tó likon seine Heilungszeremonien durführte.

Soweit sie sich erinnern konnte, musste der Ort im Norden liegen. Sie kam nur langsam vorwärts, denn nun spürte sie die schmerzenden Fußsohlen und sie war froh, als der Wald ein Ende hatte. Auf dem glatten Stein und Sandboden kam sie etwas schneller voran.

Und dann sah sie in der Ferne einen der Mustangs stehen, dem die Flucht aus dem brennenden Paddock gelungen war. Vorsichtig näherte sie sich dem Tier, sprach beruhigend auf dieses ein und konnte es schließlich fassen. In Ermangelung von Zügeln riss sie sich zwei Streifen vom Hemd und knotete diese an das Halfter. Dann sprang sie auf und ritt weiter gen Norden.

*

Schi-So hatte die Heilungszeremonie fast beendet. Jetzt fehlte nur noch der wichtige Abschluss: das Erstellen des Sandbildes und die Reinigung des Patienten von allem Bösen.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt