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    Das mit festen Beziehungen ist so ein Ding: am Anfang fühlt man sich unbesiegbar. Man ist verliebt. Glücklich. Sorglos. Und man sieht alles durch eine rosarote Brille. Man hat das Gefühl, dass man schwebt. Dass das Leben ganz plötzlich Sinn ergibt und man sich nicht mehr an ein Leben vor dieser Person erinnern kann. Es fühlt sich so an, als wäre diese Person schon immer da gewesen. Man denkt, dass sich nichts und niemand zwischen einen stellen kann. Aber das stimmt nicht. Denn man schwebt nicht.

    Man fällt.

    Man fällt so lange, dass es sich anfühlt, als ob du schwebst und wenn du dann am Boden aufprallst fühlt sich nichts mehr so an wie vorher. Plötzlich ist man doch nicht mehr unbesiegbar. Verliebt. Glücklich. Sorglos. Irgendwann kommt die Zeit, wo einem die rosarote Brille von der Nase gerissen wird und man merkt, dass alles; ALLES was man geglaubt hat zu sein, eine dicke fette Lüge war. Eine Täuschung. Eine Illusion. Und dann liegst du am Boden und denkst dir: Warum ist das Leben so zu mir? Tja, Überraschung. So ist das nunmal. Glaubt man einmal, sich am höchsten Punkt zu befinden, ist man ganz plötzlich wieder ganz unten und man fängt von null an.
    Meine Mutter sagte ja immer, ich solle das Leben nicht so negativ sehen. Dass es etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Dass Liebe schön sein kann. Lustig, solche Worte von einer Frau zu hören, welche schon in jungen Jahren an eine Familie verkauft wurde, welche sie wie eine Sklavin behandelte. Welche gezwungen wurde, einen Mann zu lieben, welchen sie nicht lieben wollte. Aber das mit erzwungenen Bindungen ist auch so ein Ding: man ist physisch zwar in dieser Ehe, doch emotional und psychisch wird man immer woanders sein.
    Abwesend.
    Dennoch hat eine Frau wie meine Mutter an die Liebe geglaubt. Sie hat an das gute im Leben geglaubt. Sie hat an mich geglaubt. Daran, dass ich das Gute war, was ihr im Leben widerfahren ist. Dass ich ihre bessere Hälfte war.
    Doch das war nicht so. So was es nie.
Schon seit dem Tag meiner Geburt schlummerte die Trauer und die Finsternis in mir. Mir war nie eine schöne Kindheit oder eine glückliche Familie vergönnt. Nein. Alles, was für mich übrig blieb, war Leid. So, also ob Gott gesagt hätte: Haha, ätsch bätsch, warst leider doch zu spät hier. Wer zuerst kommt malt zuerst und jetzt verzieh dich und nimm, was du kriegen kannst und sei zufrieden damit.

    Aber das bin ich doch. Ich hab mich nie beschwert oder? Ich hab nie ein Wort darüber verloren, wie schlecht es mir ging, wie unglücklich ich war, denn wenn ich es versuchte, hörte mir ja keiner zu.
    Ich habe nie laut ausgesprochen, dass ich gar nicht Thronfolgerin sein wollte. Dass ich nicht so wie du bin, Vater, und du mich auch nicht zu einer Version von dir machen kannst. So sind die Menschen nunmal. Man kann ihnen keinen falschen Stolz aufzwingen und sagen „Das bist jetzt du, sei glücklich damit".
    Ich wollte niemals, andere Menschen verletzen. Ich wollte nicht leben, wenn andere dadurch ihres verloren. Ich wollte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Wollte. Denn das, was du willst, interessiert das Leben ja leider nicht.
    Einmal habe ich dir gesagt: Ich will keine anderen Menschen oder Lebewesen verletzen, Vater, nicht, wenn ich doch noch eine andere Wahl habe und du hast mich angesehen und angesehen und angesehen und dann wurdest du wütend. Rammtest mir deine eiserne Faust ins Gesicht und schriest: Du hattest nie eine andere Wahl, du Närrin! Denn du bist ich und ich bin du!
    Aber so war das nicht. Ich bin nicht mein Vater. Ich hatte sehr wohl eine andere Wahl. Und es war mir egal, wie lange es dauern würde, bis ich dir das Gegenteil bewiesen habe.
Ich bin du und du bist ich? Nein. Ich bin ich und du würdest niemals so wie ich sein.

.•:Merlen:•. Drachenzähmen leicht gemacht IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt