10 - Rückraum-Links - Mia

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- Sonntag, 24.03.24 - Stolen Dance/Milky Chance - tw: Alkoholkonsum -

Ich schluckte, als ich mit den anderen das große Wohnzimmer betrat, von welchem aus eine Glastür auf die breite Terrasse führte. Ich versuchte, abzuschätzen, wie viele Leute sich bereits auf der Außenfläche befanden. Ich konnte drei Kinder ausmachen, die einen Fußball umherkickten, und an die fünfzehn Erwachsene, die sich um einen teuer aussehenden Gasgrill versammelt hatten. Der Großteil hielt ein Bier oder ein anderes Getränk in der Hand.

Ich war noch nie gut darin gewesen, unauffällig in einer großen Gruppe zu sein, nicht zuletzt wegen meiner Haarfarbe. Ich warf einen leicht panischen Blick hinter mich und Tom schnappte diesen auf. Er schloss zu mir auf und flüsterte mir zu: "Es wird alles gut, die beißen nicht." Ich warf ihm ein dankbares, aber immer noch gezwungenes Lächeln zu und atmete einmal tief durch.

Gemeinsam traten wir durch die Glastür und direkt wurden wir von Lukas und Kira begrüßt. Kira drückte mir ein kühles Bier in die Hand, während über uns die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwand, welche an den kleinen Garten angrenzten. Kira zog Lou und mich direkt zu sich auf eine kleine Bank. Leicht sehnsüchtig blickte ich den zwei Jungs hinterher, die sich in die Männerrunde einreihten. Eigentlich hätte ich ganz gerne noch den Rest des Teams kennen gelernt. Aber was nicht war, konnte ja noch werden.

So wandte ich mich Kira zu und schaltete mich wieder in ihr Gespräch mit Lou ein, die sich angeregt über das Spiel unterhielten. Ich warf meine Kommentare ein und trank Schluck für Schluck mein Bier, um die Nervosität hinunter zu spülen.

Nach einigen Minuten Konversation fragte Kira: "Hey, Lou. Lukas und ich sind noch auf kein Geburtstagsgeschenk für Juli gekommen. Hast du irgendwie eine Idee?" Ich blickte Lou verwundert an. Sie erklärte mir schnell: "Juli hatte letzte Woche Geburtstag. Wir haben vor, ihm nächsten Freitag eine Geburtstagsparty zu schmeißen. Stimmt, dazu wollte ich dich noch einladen! Hast du am Freitag Zeit?" Ich überlegte kurz, ob ich noch irgendetwas in den Semesterferien vorhatte, und sagte dann dankend zu.

An Kira gewandt fuhr sie fort: "Juli ist nicht wirklich materialistisch... Aber ihr könnt ihm gerne ein neues Trainingsband schenken. Seins ist letzte Woche kaputt gegangen und so weit ich weiß hat er noch kein neues. Ich kann dir nachher einfach schicken, wo er seins letztes Mal her hatte." Kira meinte: "Danke dir, du bist ein Engel!", und umarmte sie kurz von der Seite.

Kira fuhr an mich gewandt fort: "Dann müssen wir uns auch etwas überlegen, was Mia Juli schenken kann..." Ich nickte nur und überlegte kurz. "Bekommen Profihandballer nicht voll viel Zeug von Sponsoren? Da wird es echt schwer, irgendwas Handball-bezogenes zu schenken..." Lou nickte und kurz wurden wir alle still, um zu brainstormen. Nach einiger Zeit meinte Lou: "Ich komm leider grade auf gar nichts. Aber falls mir noch was vor Freitag einfällt, schreib ich dir einfach, okay?" Ich nickte schließlich als Reaktion, hing in meinen Gedanken aber immer noch dem ungeplanten Geschenk hinterher.

In diesem Moment kam Julian auf uns zu: "Hey, Mädels. Lukas ist gerade dabei, Zeugs zu braten. Worauf habt ihr Lust? Naja, beziehungsweise kommt mit rüber und sagt es ihm direkt, ist einfacher." Mit den Worten standen wir beinahe gleichzeitig auf und folgten dem Mann, der jede von uns um mindestens eine Kopfgröße überragte, zum Grill. Dort wartete bereits Lukas mit einer Grillzange in der Hand auf uns. Ich trug ihm auf, für mich ein Stück Hühnchen auf den Grill zu legen und schnappte mir vom angerichteten Buffet einen Pappteller und ein Brötchen sowie Besteck.

Im Augenwinkel sah ich, wie Julian links vom mir ebenfalls an das Buffet trat und sich etwas Ketchup auf einen Teller tat. "Sorry übrigens, dass ich dich neulich als Ultra bezeichnet habe", kam es auf einmal von ihm. "Normalerweise denke ich nicht so kritisch über Menschen. Ich hatte echt einen schlechten Tag." Ich nickte um zu zeigen, dass ich verstand. "Alles vergeben und vergessen. Stimmt, du warst an dem Spiel kaum auf der Platte, oder?"

          

Er lächelte mich an, während wir uns wieder gen der Bank bewegten, auf der ich zuvor mit Lou und Kira gesessen hatte. Allerdings konnte ich aus dem Lächeln eine große Portion Schmerz herauslesen. "Ja, leider. Irgendwie hat alles an dem Tag nicht so richtig gestimmt und dann war es nur sinnvoll, dass Tom seine ganze Spielzeit ausreizen konnte. Ihr versteht euch gut, oder?" Ich zuckte mit den Schultern und wunderte mich über sein plötzliches Interesse. "Joa, ich kenne ihn ja kaum."

Ich hielt ihm meine halbleere Bierflasche hin und er stieß an, bevor wir beide einen weiteren Schluck tranken. Ich wurde neugierig und fragte: "Wie ist es eigentlich so, plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen? Das war ja quasi von heute auf morgen extrem..." Er nickte. "Ist schon eine Umstellung. Ich bin eigentlich auch kein Mensch, der super häufig so Interviews oder so gibt oder Fotos von sich postet. Und dann plötzlich überall mein Gesicht auf Plakaten oder im Internet zu sehen ist irgendwie seltsam, wenn du verstehst, was ich meine..." Ich konnte nachvollziehen, worauf er hinauswollte.

Um vorsichtig das Thema anzuschneiden, meinte ich: "Ich kann mir auch vorstellen, dass das alles auch für Lou nicht so einfach war." Er lachte, aber die Bitterkeit konnte man direkt hören. "Ja, ziemlich sicher. Es ist nicht einfach, sie jetzt noch weniger zu sehen als wir es eh tun. Plus hatte sie am Anfang noch ein öffentliches Profil und hat ziemlich viel Hate abbekommen, weshalb wir echt zurückrudern mussten mit unserer Media-Präsenz. Das war auch nicht die einfachste Zeit für uns..." Ich musste schlucken. Die arme Lou hatte einiges durchmachen müssen, ohne überhaupt etwas dafür zu können. Das musste auch echt hart für die anscheinend sowieso schon angeschlagene Beziehung gewesen sein.

"Du postest generell ziemlich viel auf Insta, oder?", fragte Julian schließlich nach. Ich warf ihm einen überraschten Blick zu. Wie hatte er bitte das jetzt erfahren? Als er meine Verwunderung bemerkte, führte er schnell aus: "Lou hat erwähnt, dass du auch ziemlich bekannt unter den Handballern bist." Meine Wangen liefen rot an und ich versuchte, meine Worte wiederzufinden: "Ja, ab und zu. Ich weiß um ehrlich zu sein auch nicht genau, woher die ganze Followerschaft auf einmal kam. Ich wollte eigentlich nur meine Liebe zum Handball öffentlich teilen..." Er nickte verständnisvoll.

Dann kam Lou auf uns zu und winkte uns zu sich. "Euer Grillgut ist fertig!" So erhoben wir uns wieder und ich schnappte mir mein Hühnchen vom Grill, um es im Brötchen zu essen. Dabei stellte ich mich neben Kira, die ebenfalls genüsslich in ihren Grillkäse biss. Eins musste man Lukas lassen, gut grillen konnte er.

Als ich aufgegessen hatte, rollte ein Ball gegen meine Füße. Ich hatte eigentlich schon damit gerechnet, dass es der Fußball sein würde, mit dem die Kinder vorher herumgetobt waren. Aber als ich herunter blickte, erkannte ich einen kleinen, hellblauen Kinderhandball. Ich hob ihn auf und erkannte, dass er in der Größe Null war, was ich sehr süß fand. Schnell machte ich ein Foto des Balls und hielt dann Ausschau nach seinem Besitzer. In diesem Fall war es eine Besitzerin, nämlich ein junges Mädchen, vor welchem ich mich daraufhin hinkniete, um ihr auf Augenhöhe den Ball zurück zu geben. Sie war schüchtern und ich konnte nur ein leises 'danke' aus ihrem Mund hören, bevor sie wieder zurück zu den zwei anderen Kindern hüpfte. Verträumt blickte ich ihr noch kurz hinterher und holte dann mein Handy wieder hervor, um das Bild des Balls mit der Caption 'back to the roots' in meiner Story zu posten.

Ich merkte, wie sich wieder eine Person neben mich stellte, und erschreckte mich leicht. Als ich mich umwandte, erkannte ich Tom, der mich zurückhaltend anlächelte. "Die Kids sind schon süß, oder?" Ich musste lächeln. "Ja, definitiv. Sie erinnern mich an mich, als ich mit Handball angefangen habe. Ich hab damals immer mit meinen Freunden auf einer Wiese hinter unseren Häusern gespielt. Damals war es noch so einfach." Er nickte und auch sein Blick wandte sich in die Ferne.

Nach einiger Zeit der Beobachtung der drei Kinder meinte er schließlich: "Kommst du mit? Es wird langsam kalt und die meisten wollen sich eine Jacke holen oder sich auf den Heimweg machen." Ich sagte zu und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zurück in das Haus. Er reichte mir im Flur angekommen meine Jacke und zog sich dann seine an. Ich deutete auch auf unsere Schuhe und er nickte. Wenn wir noch eine Weile draußen bleiben würden, wäre der Stein der Terrasse bald zu kalt für Socken. Entsprechend zogen wir auch diese an und begaben uns wieder nach draußen.

Er merkte, dass ich zögerte, nachdem ich durch die Tür getreten war, und meinte: "Soll ich dir mal die anderen vorstellen? Du hast bisher kaum mit jemandem geredet." Erleichtert nickte ich und er führte mich zu den anderen Männern, die mir bisher komplett unbekannt waren.

Mir fiel auf, wie viel kleiner die Runde schon geworden war. Inzwischen standen nur noch vier Leute in dem Kreis, zu dem wir uns gerade gesellten. Vom Sehen kannte ich von ihnen aber noch niemanden. Momentan wurde heiß diskutiert, wer den besten Sieben-Meter im Spiel geworfen hatte. Der Mann rechts von mir gab von sich: "Also ich finde, ihr seht das alle falsch. Ganz ehrlich, die wichtigste Rolle bei den Siebenmetern hatte echt Tibor. Der hat heute echt bockstark gehalten und uns den Arsch gerettet." Der Rest murmelte etwas, aber ich bestätigte: "Die Torwartleistung war heute echt unnormal gut."

Der Mann, den ich sogar ein bisschen jünger als mich geschätzt hätte, wandte sich verdutzt zu mir um. "Wer bist du denn? Ich kenn dich gar nicht..." Tom lachte. "Gleich so wortgewandt heute, Finn?" Ich musste auch grinsen. "Hey, ich bin Mia. Ich wurde heute von Louisa mitgenommen zum Spiel. Wer bist du denn?", fragte ich mit einem Augenzwinkern zurück.

Finn, wie er anscheinend hieß, lief rechts von mir rosa an und meinte: "Ich bin Finn. Finn Schroven. Also hat dir das Spiel gefallen?" Ich nickte. "Und wie! Ihr habt echt richtig gut gespielt. Ich hab echt vor, noch zu mehr Spielen zu gehen, wenn ihr weiterhin so eine krasse Leistung zeigt." Finn musste grinsen. "Ach ja, aber nur, wenn wir weiterhin Leistung zeigen. Auch noch Ansprüche?" Wir beide lachten über die nicht ernst gemeinte Aussage. "Sorry, aber ihr müsst schon beweisen, dass ihr was draufhabt", lachte ich.

Tom meinte unter einem Grinsen: "So, nachdem wir das geklärt hätten: Das hier sind Miro Schluroff, Mathis Häseler und Dominik Mappes. Und Finn kennst du ja jetzt auch schon." Er zeigte von links nach rechts auf den jeweilig Angesprochenen und ich lächelte sie der Reihe nach an.

Der Mann, den ich als Miro ausmachen konnte, fragte mich: "Und, wenn wir schon dabei sind. Wer von uns hat in deinen Augen am besten gespielt?" Ich musste überlegen und lief leicht rot an. Ich konnte ja jetzt schlecht zugeben, dass mir von den Spielern eigentlich nur Julian im Gedächtnis geblieben war, weshalb ich schlicht sagte: "Naja, ich fand eigentlich die Leistung der Rückraum Links am besten." Tom und Miro gaben sich ein High Five und ich verdrehte die Augen. Spielkinder.

"Ich sage das aber auch nur, weil ich extra drauf geachtet habe." Tom legte den Kopf schief und meinte dann: "Stimmt, du spielst auch Halblinks, oder?" Ich nickte zur Bestätigung. Die Jungs waren mir direkt sympathisch und wir führten die Diskussion über das vergangene Spiel weiter.

Hinter Miro erkannte ich, wie ein Biertisch von Lukas und Kira aufgestellt wurde. Inzwischen hatten sich auch wieder Julian und Lou zu uns gesellt. Wohin die zwei nur verschwunden waren... Kira quetschte sich zwischen Mathis und Dominik in den Kreis und fragte in die Runde: "Lust auf Bierpong?"

Ich freute mich sehr, da ich das Spiel kannte und tatsächlich schon einiges an Übung darin hatte, da es auch in unserer Mannschaft ein beliebtes Partyspiel war. Auch Toms Augen leuchteten auf und so begab sich die kleine Gruppe zum Biertisch, wo Lukas gerade Becher abzählte und aufreihte.

Hilflos warf ich einen Blick zu Lou und fragte sie: "Lust, ein Team zu bilden?" Sie verzog die Mundwinkel und meinte entschuldigend: "Sorry, aber ich bin heute designated driver. Aber ich frag mal Juli." Direkt fühlte ich mich schlecht, da ich Julian jetzt auch nicht zu nahe treten wollte und er sich wegen Lou gezwungen fühlte, mit mir spielen zu müssen.

Julian wirkte aber neutral und lächelte mich an. "Hey, alles gut. Muss ich dir das Spiel noch erklären?" Ich schaute ihn empört an. "Also bitte, wenn dann muss ich dir das Spiel erklären!" Wir beide grinsten und wussten, dass die anderen untergehen würden. So war jede Sorge aus meinem Gehirn gestrichen und ich war definitiv mindestens so motiviert wie Julian, dieses Spiel zu gewinnen.

Derweil verabschiedete sich Dominik und nahm das Mädchen auf dem Arm, welchem der blaue Handball vorher gehört hatte. Ich winkte den zwei noch und seine Tochter winkte mir noch zurück, bevor die zwei das Haus betraten und aus dem Sichtfeld verschwunden waren.


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Eeendlich kennt Mia auch zumindest einen Teil des Teams! Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel!

Liebe Grüße, eure Ella <3


111 km/h  /// Julian Köster ffWhere stories live. Discover now