Das Lied verklingt mit viel Applaus, von Tänzern und Zuschauern gleichermaßen. Grace und ich grinsen uns an, sie formt mit dem Mund Dankeschön und ich schüttle den Kopf, keine Ursache. Denn das war es wirklich nicht.
Ich drehe mich zu Kaden und bemerke, dass er mir sehr nahe steht. So nah, dass ich endlich Gelegenheit habe, sein Sternenbild zu erkennen. "Eine Schlange?", frage ich irritiert, hole erst mal tief Luft.
Keuchen und husten gehen im nächsten Lied unter, dass deutlich langsamer und sittlicher ist. Die ersten verschwinden wieder von der Tanzfläche. Kaden verdreht die Augen. "Das ist ein Drache, du Dilettantin."
Ich stütze einen Arm in die Hüfte. Erstens, weil ich es nicht mag, wenn man mich dumm nennt, und zweitens weil ich Seitenstechen habe. "Pustekuchen", sage ich. "Du nanntest mich schlau, schon vergessen?" Leander geht an uns vorüber, sein Blick heftet an Kaden. Der verzieht typisch überheblich das Gesicht, nimmt ihn nicht wahr.
"Vielleicht habe ich das nur gesagt, um dich rumzukriegen." Fast verschlucke ich mich an meiner Spucke. Sehr unappetitlich, ich weiß.
Hat das jemand gehört? Schnell schaue ich mich um. Doch die meisten unterhalten sich oder sind zu weit entfernt, um etwas mitbekommen zu haben. Mit der Faust schlage ich Kaden leicht gegen die Brust. "Wenn, dann habe ich dich rumgekriegt."
Damit geht die lockere Stimmung verloren, stattdessen schwebt Verlangen zwischen uns. Ich beiße mir auf die Unterlippe, nun tatsächlich durcheinander.
"Lass das", befiehlt er und warum auch immer, höre ich auf ihn. "Warum?", will ich wissen. Er beugt sich zu mir runter, dunkles Haar rutscht über seine Augen, diesmal flüstert er: "Weil du mich damit nur daran erinnerst, wie es ist, diese Lippen zu küssen. Wenn du verhindern willst, dass ich hier und jetzt über dich her falle, dass lass das."
Schwer schlucke ich. Scheiße. Seit wann ist es so leicht, mich zum Schweigen zu bringen? Oder dieses Kribbeln in meiner Magengegend zu bewirken? Er grinst, offensichtlich ist er ein Sadist. "Sehr gut. Vergiss dieses Gefühl nicht." Woher-? Ich gebe es auf. Anscheinend bin ich ein offenes Buch.
Mich räuspernd zupfe ich an meinem Zopf, den blonden Spitzen, die im gelben Licht beinahe golden aussehen. "Keine Ahnung, welches Gefühl du meinst. Los, weg hier. Die Leute starren schon." Ich setze mich in Bewegung, Kaden folgt mir leichthin. "Versuch nur, abzuhauen. Ich finde dich sowieso. Hast du unseren Tanz schon vergessen?"
Ich zischte ihm über die Schulter ein Pssst zu, gerade als wir die ersten Leute erreicht haben. Dort warte ich auf ihn, vergewissere mich jedoch, dass wir unbeobachtet sind. Zwischen Fremden sind wir erst mal sicher, sie kennen unsere Namen nicht.
"Das war unser Tanz."
"Vergiss es. Das war ein Volkstanz, keiner zwischen dir und mir, sondern mit dem ganzen Palast." Woher auch immer sein plötzlicher Ehrgeiz kommt, sich mir zu beweisen – ich kann nicht abstreiten, dass es mich elektrisiert. Dieser Funke in seinen Augen, er ist das Feuer für die Zündschnur, die bis hin zu einer Ladung Dynamit führt. Wenn es hoch geht, explodieren wir beide. So wie vorhin, auf dem Balkon.
Hier drinnen darf das nicht passieren. So schwer der Gedanke auch ist, ich muss davon ausgehen, dass Kaden nicht der Prinz ist. Wenn ich meine Aufmerksamkeit nur ihm schenke, bin ich für den Prinzen uninteressant und er wird mich rausschmeißen. Deshalb muss das zwischen uns geheim bleiben. Toll, noch so ein Geheimnis.
"Damit musst du dich zufrieden stellen. Ich kann nicht mehr. Muss erst mal was trinken."
"Von mir aus. Die Nacht ist lang. Vor drei Uhr geht niemand ins Bett."
Ich werde rot. Warum auch immer. Eigentlich müsste ich aus dem Alter raus sein, um mit dem Wort Bett und unseren Küssen etwas Bestimmtes zu verbinden. Echter Teenager Kram, peinlich, unangemessen. Keine Ahnung, woher er kommt. Hm.
Drei Stunden sind eine verdammt lange Zeit. Sie durchhalten zu müssen, kommt einer Folter gleich. Eine innere Stimme flüstert mir zu, ich müsse mir demnächst unbedingt einen Platz zum Sitzen suchen. Eine andere, lieber gleich eine zum liegen. Womöglich hinter einer riesigen Topfpflanze oder dem Buffet. Ach ich? Beachtet mich gar nicht. Ruhe mich nur ein wenig aus.
Außerdem - wie soll ich es schaffen, mich so lange vor Kaden zu verstecken? Oder mich auf andere Dinge zu konzentrieren? Der Königin zu gratulieren, etwa.
Hey, das ist eine gute Idee. Ich drehe den Kopf, stelle mich auf die Zehenspitzen, um sie zu suchen. In Absatzschuhen gar nicht so leicht. Zwischen all den Köpfen und Frisuren gibt es mehrere Frauen, die Grenaldine sehr ähnlich sehen.
"Was machst du?", fragt Kaden misstrauisch. Da ist sie. Hinter einer Frau mit Haaren, die zu einem diamantenbesetzten Turm drapiert wurden. Sie lächelt und bedankt sich bei einem alten Mann, der ihr eine winzige Schachtel überreicht hat.
Abhauen, denke ich. "Der Königin meine Ehre erweisen", sage ich. Bevor er reagieren kann, setzen sich meine Beine in Bewegung. Ich schiebe mich voran, ziehe die Schultern ein und gehe seitlich, rechte Schulter voraus, um Kaden abzuschütteln. Natürlich folgt er mir. "Nivea", höre ich ihn zischen.
"Warte doch. Wieso ausgerechnet jetzt?"
Jetzt und nicht anders. Es muss sein. Bevor ich irgendetwas Dummes zu ihr sage, weil sich kein klarer Gedanke mehr formen will. Noch dreißig Meter. Ich denke an den Verlauf des bisherigen Abends. Den Streit, den Alkohol. Die vielen Tänze. Das Feuerwerk. Kaden. Immer wieder Kaden. Unsere Berührungen, so zart und wild zugleich. Dann der Tanz, mit so vielen unterschiedlichen Gesichtern.
Ach ja, der verhinderte Anschlag. Ich interessiere mich brennend dafür, was die Rebellen heute vorhatten. Hätte Andrew danach fragen sollen. Er weiß immer über alles Bescheid. Woher, ist mir ein Rätsel. Es nervt mich, dass er so entspannt sein kann. Mit allen nötigen Informationen versorgt, die er braucht. Er hat seine eigenen Quellen hier im Palast. Vielleicht eine Zofe, oder einen Wachmann.
Kaden ruft ein weiteres Mal nach mir, ich bekomme eine Gänsehaut beim Klang seiner Stimme.
Andrew fühlt sich mir überlegen. Er glaubt, er wäre mein Befehlshaber und ich eine Marionette, bei der er die Fäden ziehen muss. Warum vertraut er mir nicht? Wenn ich mehr wüsste, über die Anschläge und Absichten der Rebellen, könnte ich viel hilfreicher sein. Stattdessen bin ich eine Puppe, mit hübschem Kleid und gedrehten Locken. Gut, die habe ich vorhin zu einem Zopf geflochten.
Die meiste Zeit macht es mir ja nichts aus, eine Kandidatin zu sein. Ich genieße den Luxus und komme oft aus dem Staunen nicht mehr heraus. All die Möglichkeiten, die ich hier habe. Doch dann erinnere ich mich, dass es nicht ewig so weiter gehen kann.
Irgendwann kommt es drauf an, auf meine Schauspielerkünste und Überzeugungen. Ich habe Angst, mich selbst zu verlieren. Ich meine, allein Kaden ist der Beweis dafür, dass ich keine Kontrolle über den Ablauf der Selection habe. Er war immer da, aber wie unerwartet er plötzlich mehr wurde, wie schnell, wie heftig!
Wie schnell und heftig kann man fliegen, bevor man fällt? Wie tief?
Andrew hält nicht viel von mir. Und wenn ich mich auf Kaden einlasse, behält er Recht. Er wird sagen, Ich wusste es gleich. Du warst ungeeignet, zu schwach für den Job. Und das will ich nicht. Weil es doch so wichtig ist, dass ich meine Aufgabe erfülle.