Kapitel 101

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Keine Ahnung warum ich ihm überhaupt hinaus gefolgt war, doch sobald die Tür hinter uns ins Schloss fiel, bereute ich meine Entscheidung.
Ich wollte weg von Easton, ja, aber ich wollte nicht bei George sein. Ich wollte niemanden mehr sehen, der den Namen Mayfield trug.
Zornig entriss ich ihm meine Hand. „Lass mich los verdammt" entgeistert sah er mich an. „Ich will dir nur helfen. Die Verletzungen... das sieht schlimm aus, ich werde einen Arzt kommen lassen. Du hast doch sicher Schmerzen " er sprach sanft, doch ich war nicht bereit mir helfen zu lassen.
Nicht von ihm.
„Spar dir die Mühe. Ich reise noch heute ab." fauchte ich ihn an und stapfte davon, ohne zu wissen wohin. All meine Sachen waren in Eastons Zimmer.
Meine Klamotten, mein Handy, meine Kreditkarte - einfach alles. Kraftlos ließ ich mich ein paar Meter weiter einfach zu Boden sinken und kapitulierte.
Ich konnte ihnen nicht entkommen.
Nicht ohne Hilfe.

George glitt neben mich, ohne mich zu berühren und doch spürte ich seine tröstliche Nähe. Er war immer da um mich zu retten. Von Anfang an.
Was waren seine Beweggründe in unsere Geschichte?
Wollte er wirklich mir helfen oder tat er alles nur für Sie? Sah er in mir die zweite Chance von der Everly gesprochen hatte?
Wollte er mich so unbedingt retten, weil er Matilda nicht hatte retten können?

„Wann ist es dir klar geworden?" presste ich heraus, was für ihn augenscheinlich komplett zusammenhanglos kam. „Wann hast du es gesehen? Das ich wie sie aussehe meine ich" fügte ich an. Sein grünen Augen schimmerte verdächtigt, doch seine Stimme war kontrolliert wie immer. „Gleich bei unserer ersten Begegnung. Als ich dich dort sah, so verängstigt und in die Ecke gedrängt von Easy traf es mich wie der Blitz. Ich hatte ein Déjà-vu. Plötzlich war ich wieder Anfang 20 und sah meine zukünftige Frau mit meinem Bruder, der sie wieder mal bedrängte. Es kostete mich alle Mühe, nicht auf der Stelle die Fassung zu verlieren. Fuck Polly Du hast ja keine Ahnung wie ähnlich du ihr siehst."

Wie zum Beweis zog er sein Handy aus der Tasche, wischte einige Male darauf hin und her ehe er es mir vors Gesicht hielt. Mein Mund klappte auf, während ich fassungslos auf das Bild starrte.
Die Frau, die dort in die Kamera lachte...
Das war unmöglich.
Sie sah wirklich aus wie ich.
„Wie ist das möglich?" stotterte ich.
„Keine Ahnung. Vielleicht ist ein grausamer Wink des Schicksals. Vielleicht solltest du unsere Chance sein, es besser zu machen." Ich spürte seinen Blick auf mir und wusste, dass sein Hemd, dass ich noch immer trug, nicht Mal ansatzweise alle Spuren von Eastons Gewaltausbrüchen kaschieren konnten. „Doch wir haben leider erneut versagt" flüstere er, dann hob er die Hand, ich glaube er wollte mich berühren, doch er ließ sie unvollendeter Dinge wieder sinken. Ich war froh das er mich nicht berührte, denn auch ihn ertrug ich gerade nur schwer.

„Ging es dir je um mich?" Meine Stimme klang fremd, genau so wie ich mich hier fühlte. Wie ein fremder Eindringling. Sie wollten mich nicht hier haben. Sie hatten mich nur hier her geholt, weil ich aussah wie die Frau, die sie verloren hatten und die sie ganz offensichtlich beide immer noch liebten.
„Natürlich" seine Antwort kam zu schnell.
Er log und wir beide wussten es.
Er hatte nie Interesse an mir.
Ich dachte er mag mich, das dachte ich wirklich. Ich hielt ihn für meinen Freund, einen der wenigen, die ich überhaupt noch hatte.
Binnen weniger Stunden hatte ich alles verloren.
Den Mann, den ich glaubte zu lieben und meinen besten Freund, alles nur, weil ich nicht die Frau war, die sie wollten.
Ich hatte versagt.
Mein Kopf sank hinab auf meine Brust, ich hatte keine Kraft mehr für all das hier.

„Bitte Kleines. Bitte lass mich dir helfen. Ich ertrage es nicht dich so zu sehen" George klang unfassbar verzweifelt , doch das war ich auch. „Kannst du mich nicht so sehen oder kannst du sie nicht so sehen?" zischte ich voller Trotz. „Das ist nicht fair" Er sah aus ,als hätte ich ihn geschlagen, doch ich hatte kein Mitleid. „Nichts von dem was ihr in den letzten Monaten mit mir getrieben habt war fair" erwiderte ich schnippisch und er begriff, dass ich kein Interesse daran hatte, ob das was ich sagte, eventuell seine Gefühle verletzte.
„Du hast recht." erwiderte er bloß, ehe er nochmal fragte „Kann ich dir jetzt bitte helfen? Du kannst mich hassen, wenn du willst, aber bitte lass mich dir helfen. Es ist eiskalt hier und du trägst nichts außer meinem Hemd. Bitte Kleines" er stand auf und hielt mir wieder die Hand hin. Diesmal ergriff ich sie. Er hatte nicht unrecht. Mir war kalt und ich brauchte definitiv Hilfe.
George nahm mich mit in sein Zimmer, was sicher nicht die beste Idee war. Ich hätte darauf bestehen müssen, dass er mich in einem der freien Gästezimmer unterbringt, doch ich war zu erschöpft. Seit Everly mir die Geschichte von Matildas Schicksal erzählt hatte, hatte ich nicht eine Minute Zeit, um es zu verarbeiten, geschweige denn um mir darüber klar zu werden, was das alles für mich bedeutet und was ich für Konsequenz daraus ziehen wollte. Oder musste.

„Wann... wann ist das passiert?" fragte George zögerlich. Auch ohne das er es offen ansprach wusste ich wovon er sprach. Er wollte wissen, wenn Easton mich dermaßen zugerichtet hatte.
„Gestern Abend. Direkt nach... naja nach dem wir auf dem Balkon...." meine Antwort war unvollständig, doch ich sah, dass er verstand. Die Erkenntnis, dass er uns noch kurz vorher bei unserer heißen Nummer auf dem Balkon beobachtet hatte, ehe Easton mich direkt im Anschluss verprügelt hatte, traf ihn mit voller Wucht. Er schnappte nach Luft, sah mich an die Augen groß und voller Mitleid „Es tut so mir leid, Kleines. Wenn ich gewusst hätte..." schnell hob ich die Hand um ihn zum schweigen zu bringen. „Lass es einfach ok? Ich habe wirklich genug für heute" flüsterte ich, ich war zu erschöpft von alle dem hier um mehr zu sagen. „Meinst du... meinst er hat bemerkt das ich euch zugesehen habe?" fragte er zögerlich und ich verlor die Geduld. Ich hatte ihre Spielchen so satt. „Was glaubst du denn?! Wir wissen doch beide, dass er das ganz genau wusste. Nur deshalb hat er mich doch überhaupt nach draußen gelockt! Er wollte das du zusiehst. Er wollte das du siehst wie er mich bekommt. Nein falsch er wollte, das du siehst wie er Matilda bekommt, denn um sie geht es doch bei dem ganzen Scheiß hier. Es geht nur um sie, ich bin vollkommen unwichtig. Ich bin nur hier, weil ich zufällig aussehe wie die Frau, über deren Tod ihr beide nicht hinwegkommt. Ihr benutzt mich, ihr alle beide." ich schrie ihn an, es war als würde etwas in mir platzen. „Das stimmt nicht, du kannst Easy und mich nicht in einen Korb werfen, was er getan hat..." wieder fiel ich ihm ins Wort. „Es geht hier nicht darum was er getan hat, sondern was du getan hast George. Ich habe es so satt, dass du dich als strahlenden Retter aufspielst, denn das bist du nicht. Von Anfang an wusstest du, dass er mich nur will um dir wehzutun. Du wusstest das er mich nur datet, weil ich ihr ähnlich sehe. Und du wusstest, wie viel er mir bedeute, du wusstest das ich ihn liebe. Du wusstest all das verdammt und du hast nichts, absolut gar nichts unternommen um ihn aufzuhalten!!!"

Georges Antwort kam prompt und deutlich gereizter als er zuvor war „Das ist nicht fair und absolut nicht wahr. Ich habe alles versucht, um dich von ihm weg zubekommen. Ich habe dir Geld und einen besseren Job geboten, doch du bist zu ihm zurück, wieder und wieder, obwohl ich dich immer wieder gewarnt habe. Immer wieder hast du Ausreden für ihn gefunden, immer gab es einen Grund oder einen Auslöser für seine Eskapaden. Du warst dir ja so verflucht sicher, dass er der Richtige für dich ist, du wolltest gar nicht hören, was man dir sagte. Ich habe dir mehr als einmal gesagt, das er dich betrügt und das er Elisabeth nie verlassen wird, doch du wolltest es nicht hören, weil du es ja besser wusstest!"
Meine Wut schwoll mit jedem seiner Worte weiter an. „Ich wusste gar nicht! Genau das ist doch das Problem verdammt! Keiner von euch hielt es für nötig, mir die Wahrheit zu sagen, bis auf Everly und sie tat es nur, weil sie ein krankhaftes Biest ist, dass ihre Überlegenheit genießen wollte. Ihr habt über Monate nur mit mir gespielt, ihr habt in Kauf genommen, dass ich Gefühle entwickele, obwohl ihr wusstest, dass ich am Ende nichts weiter sein würde, als der verzweifelter Versuch einer zweiten Chance für etwas, für das es keine zweite Chance gibt!
Sie ist tot! Sie kommt nicht zurück und ich werde nie sie sein, ganz egal wie ähnlich sie mir sieht oder wie sehr ihr versucht mich zu ihr zu machen. Ich bin nicht Matilda!"

Bound by DutyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt