Die Zeit verstrich, obwohl mich das Gefühl der Ewigkeit nicht losließ. Ohne es zu bemerken, hatte ich mich wieder einmal selbst in eine virtuelle Realität begeben, nur um der Gegenwart zu entrinnen. Doch war Kyohei dieses Mal an meiner Seite, der mir half, mich abzulenken, um nicht an den Verlust eines guten Freundes zu denken.
"Es ist bereits in der Beta-Phase so gut", schwärmte er mit einem sanften Gesichtsausdruck, "Ich danke dir, dass ich es mit dir spielen darf."
Wenn ich ihn mir von der Seite betrachtete, erinnerte er mich, an die Vergangenheit, in der wir nebeneinander MMORPG gespielt hatten. Eine ungewollte Wärme schlich sich in mein Herz. Seine Anwesenheit nahm ich zu positiv wahr, als dass sie der Wahrheit entsprechen konnte. Womöglich lag es an meiner instabilen Persönlichkeit, das ich in einem dunklen Abgrund selbst ihn als Lichtstrahl empfand.
"Das bleibt ein Geheimnis, sonst bekomme ich Ärger." Ich legte einen Zeigefinger auf den Mund und beäugte ihn mit strengem Blick.
"Ein Geheimnis unter uns beiden", er gluckste freudig, während seine Stimme Selbstgefälligkeit ausdrückte, "das gefällt mir."
Seufzend verdrehte ich die Augen und nuschelte vor mir hin. "Wieso war mir das klar?" Das grelle Orange seiner Kleidung stach in meine Augen. Mein Kopf pochte. Ich zog die Luft ein und rieb mir meine Schläfen. Mein Vater trug gern auffällige Farben wie diese. Dabei erinnerte ich mich ungern an die Person, die uns damals im Stich gelassen hatte. Nein, Puma war mein einziger Vater. Ich durfte nicht mehr an den Mann, der mich gezeugt hatte, einen Gedanken verlieren.
"Weißt du, du scheinst besser unter Menschen zurecht zu kommen." Seine Hand streifte meinen Arm, ehe er sich räuspernd von mir distanzierte. Seine plötzliche Rücksichtnahme war ein merkwürdiger Schachzug, den er womöglich nicht grundlos machte.
"Nicht wirklich", brummte ich angespannt, ehe ich eine Trennwand aus Kissen zwischen uns errichtete, "ich versuche mich nur etwas mehr abzulenken, aber es ist trotzdem schrecklich."
Grinsend tippte er den Stapel an, nur damit dieser ins Wanken geriet und auf mich fiel. Da sie weich waren, hatte ich keinen Schaden genommen. Dennoch hatten sie Gewicht. Mit aufgeplusterten Wangen nahm ich mir eines der Kissen und bewarf ihn damit. Es traf ihn direkt ins Gesicht. Vorsichtig lugte er darunter hervor. Als sich unsere Augen trafen, versuchte er sein Lachen hinter seiner Hand zu verbergen. Er strahlte über das ganze Gesicht und prustete, als wenn er Lachgas eingeatmet hätte.
Während ich die Kissen wieder an ihren richtigen Platz ordnete, erstarben die fröhlichen Laute. Stumm beobachtete er mich. Nur noch eines fehlte. Als ich nach dem Polster griff, hatte ich versehentlich Kyoheis Finger gestreift. Ich schluckte hart auf. Als ich meine Hand wieder zurückziehen wollte, legte er seine andere auf meine und hielt mich fest, als ob ich die Flucht ergreifen wollte.
"Ich möchte immer noch mit dir zur Con." Die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht ließ mich leise aufseufzen. Ich hatte befürchtet, dass er das Thema noch einmal aufflammen ließe, doch warum ausgerechnet heute?
"Und wieso ich?", hauchte ich ihm schwach zu. Während ich versuchte seinem Griff zu entfliehen, näherte er sich mir schlangenartig. Seine wahre Intension zeigte er mir nun offen. Ich hätte ihn niemals in meine Wohnung lassen sollen. Der Mann brachte mich um den Verstand.
Er beugte sich über mir. Ich suchte einen Ausweg, doch hielt er mich fest in seinen Händen. Seine Stirn berührte meine. Die Hitze stieg mir bis zu den Ohren. Meine soziale Batterie war abrupt ins Minus gefallen. Er war mir zu nah. Unbehagen breitete sich in mir aus.
"Weil es ohne dich nicht dasselbe ist, Dummerchen", sagte er sanft und rau, so als wenn ich die einzige Person auf der Welt war, die ihm etwas bedeutete. Andere Frauen würden bei einem Satz wie diesem schwach werden, doch ich wusste, dass er nur mit mir spielte.
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Scherbenhaufen
RomanceManchen Individuen fällt es schwerer als anderen sich in der sozialen Instabilität zurecht zu finden - Reiko Mayoka, ein großer Nerd und eine leidenschaftliche Zockerin, versteckt sich in ihrer kleinen Wohnung und verliert sich in einem riesigen Rea...