Kapitel 15

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»Scheiße«, es war Depesch. Der Bursche kickte einen Kieselstein beiseite, der auf den nächsten Abgrund zurollte. »Wie machen das diese verfluchten Drachen?! Die können doch nicht ewig hier hocken und sich verstecken. Ohne Essen, Wasser…«
»Da hast du recht«, murmelte Kardriel, durch dessen Körper ein kurzes Zucken gejagt wurde, »und wie du recht hast, mein Freund.«
»Wenn es Bergdrachen sind, können sie bis zu zwei Monde ohne Flüssigkeit auskommen«, erwiderte Rubin und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Oder willst du mir sagen, dass die alten Schuppen, die wir entdeckt haben, von unserem Ziel stammen?«
»Die Drachen brauchen Wasser«, mehr hatte Kardriel nicht zu sagen. Er klang belustigt, seine Mundwinkel zuckten und ein Kribbeln setzte ein, das von seinem Scheitel bis in die Fingerspitzen wanderte.

»Kardriel«, knurrte der andere Paladin. Mit einem Sprung war er an Kardriel getreten, die Hände umfassten seinen Kragen, fest zog er an dem billigen Stoff. »Denkst du, ich lasse mich von dir verarschen?!«
»Rubin, beruhig' dich«, wollte sich Depesch zwischen die beiden stellen, doch Kardriel winkte ab.
»Denkst du«, Medsens Stimme war nur noch ein leises Raunen, »denkst du, ich weiß nicht, was das für ein Spielchen ist? Das soll hier wohl ein Himmelfahrtskommando werden, was? Mit uns als tragische Figuren und dir als mutigen Helden. Was ist dein Plan? Uns hier verrecken zu lassen, vier, fünf Tage umherirren lassen, bis uns eine Gruppe Blitzdrachen erwischt? Sieh' mich gefälligst an, Bastard!«, brüllte Rubin, als sein Gegenüber den Blick Richtung Himmel schweifen ließ.

»Lass' ihn in Ruhe«, sagte Depesch und klang mit einem Mal wie der Vernünftige von ihnen. »Wir sind freiwillig mitgekommen, schon vergessen? Und selbst wenn wir es mit Blitzdrachen zu tun haben, heißt das nicht, dass Kardriel es wusste.«
Guter, alter Depesch! So loyal und naiv, fast tat Kardriel ihm leid.

»Trottel«, fauchte Rubin, Spucke landete auf Kardriels Kinn. Der Griff an seinem Kragen wurde fester, dass das Weiß von Rubins Knöcheln hervortrat. »Das Arschloch weiß genau, was hier läuft. Sobald uns die Reserven ausgehen, wird er sein wahres Gesicht zeigen. Ich kenne Kerle wie dich. Ihr verkappten Genies. Meister Hermlins Liebling, der keinen Finger für die Wahl des Großmeisters krümmen musste. Von dir lasse ich mich nicht aufs Kreuz legen! Ich bin derjenige, der uns durch dieses Todes-Labyrinth führen kann. Du würdest schon nach Stunden drauf gehen, wenn ich nicht die Führung übernehmen würde!« Seine Nüstern blähten sich auf und zum ersten Mal schaute Kardriel zu seinem Gefährten herunter.

»Bist du fertig?«, fragte Kardriel, die Ruhe selbst. Er nahm Medsens Handgelenke, eine Berührung an den richtigen Stellen und Rubin ließ die Hände von seinem Kragen. Wind wirbelte um die beiden, ein schwarzer Schatten bedeckte die Paladine, dass Medsen abrupt einen Schritt zurück wich.

»Du glaubst, ich habe diese Mission ins Leben gerufen, um meinen Konkurrenten auszuschalten? Hier, in diesem Nichts aus Steinen und Felsen, damit ich ein paar Lorbeeren kassieren kann? Und vielleicht ist Depesch ja mein Komplize, und wir beide erstechen dich mit deinem eigenen Speer, während du schläfst.« Leise lachte er. »Wenn ich dich töten wollte, hätte ich nicht gewartet, bis wir uns auf tausend Fuß Höhe befinden. Du und die Großmeisterschaft - ihr seid mir so egal, und wenn du drauf gehst, dann sicher nicht, weil ich scharf darauf war, deine hässliche Visage zwischen zwei Felsen zerquetscht zu sehen.«
»Dann sag' endlich, was hier läuft!«
»Sieh' doch mal in den Himmel.«

Mit zusammengekniffenen Augen sah er Kardriel an. So wenig Vertrauen hatte es für Kardriel schon lange nicht mehr gegeben. Auf eine gewisse Weise amüsierte es ihn.
Langsam, mit halbem Auge immer wachsam, ließ Rubin den Blick nach oben wandern.

»Was soll da sein?«
Sicher vermutete er einen Hinterhalt. Die tiefen Furchen auf seiner Stirn, noch dazu die Magie, die um ihn herum knisterte - nein, er traute Kardriel ganz und gar nicht.

»Was siehst du denn?«, fragte Kardriel.
»Ich sagte doch, nichts! Da sind ein paar Schleierwolken, na und? Lässt dich die Hitze schon Geister sehen?«
»Denk' mal darüber nach.« Kardriel tippte seinen Begleiter auf die Brust. »Wenn es das ist, was du siehst, dann sehen wir vielleicht beide Geister.«
»Bist du jetzt völlig irre?«
»Kardriel hat recht«, rief Depesch aufgeregt. Endlich begriff auch er. »Hier dürften gar keine Wolken sein, richtig Kardriel?«
Jetzt sah auch Rubin genauer hin.
»Ganz genau«, entgegnete Kardriel und lächelte, »der Durst hat unsere Sinne so benebelt, dass es uns gar nicht aufgefallen ist.«
»Wenn das keine Wolken sind«, Medsen folgte der langen, schmalen Spur, »dann kann das nur-«
»Ja, genau, mein durstiger Kamerad. Das kann sogar den besten Navigatoren passieren.«

Kardriel lief weiter, wobei er nicht verpasste, Medsen noch einmal kräftig auf die Schulter zu klopfen - kräftig genug, um den Jüngeren aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Was genau bedeuten diese Linien am Himmel?«, breit grinsend war ihm Depesch hinterher geeilt. Auf Kardriel, seinem kühnen und schlauen Kumpanen, war eben Verlass!

»Das, mein unwissender Freund«, sagte Kardriel und legte einen Arm um ihn, »sind Kondensstreifen, die ein Drache während eines Fluges hinter sich herzieht. Ab einer gewissen Höhe verlieren sie Körperflüssigkeiten. Was so viel heißt, dass ein Drache ganz schön ins Schwitzen gerät, wenn er auf so hohen Gefilden unterwegs ist. Eine Mischung aus Unterdruck und besonderen Stoffen, die sich in ihrem Schweiß gebildet haben, führen dazu, dass sich am Himmel hübsche, kleine Schleierwölkchen bilden. Natürlich verschwinden diese Spuren innerhalb von wenigen Stunden wieder.«

»Wenige Stunden, sagst du?« Depesch' Augen weiteten sich, ungläubig schaute er hinauf.
»Ohne dich«, Kardriel klopfte seinem Kameraden auf die Schulter, »wäre ich nie darauf gekommen. Denn natürlich stehen die Drachen vor demselben Problem wie wir. Wenn sie unentdeckt bleiben wollen, werden sie sich hauptsächlich mit leichtem Gepäck bewegen, vermutlich haben sie ihr Lager zwischen einige der Felsvorsprünge gehauen. Mich würde nicht einmal wundern, wenn sie Hilfe von einem Bergdrachen hatten und irgendwo zwischen den Felsen eine künstliche Höhle errichtet wurde.«

Kardriel spürte, wie Depesch langsam unter seinem Arm zusammen sackte.
»Das heißt, sie sind ausgeflogen, um… nach Essen zu suchen?«, schlussfolgerte der Bursche.
»Sie sind bereits zurückgekehrt«, murmelte Rubin, der aufgeholt hatte. Die Schmach von eben schien er noch nicht vollständig überwunden. »Obwohl ich glaube, dass es nur einer war. Aber selbst wenn, er wird in Richtung seiner Kameraden geflogen sein. Mit etwas Glück führen sie uns in ihr Lager, oder was auch immer wir dort finden werden.«

Genau das, wonach ich gesucht habe, dachte Kardriel und zum ersten Mal spürte er Leben durch seine Seele wandern. Sie waren nicht einmal einen Tagesmarsch von ihnen entfernt. Der geheime Posten, den Meister Hermlin angesprochen hatte, musste in dieser Richtung liegen.

Drachenjagd - Drachenklaues Versprechen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt