Elicia saß in ihrem Zimmer auf dem Fensterbrett und betrachtete die Lichter, welche den Stadtrand von Aetelia erhellten. Sie machte sich Sorgen um Cynthia. Es war offensichtlich, dass es ihr von Woche zu Woche schlechter ging. Nachdem bei dem Angriff ihre wahre Identität als Weiße Klinge enthüllt wurde, gingen die meisten Schüler ihr aus dem Weg oder hatten Angst davor, sich in ihrer Nähe aufzuhalten.
Natürlich war Elicia zunächst auch geschockt gewesen und auch etwas enttäuscht, weil ihre Freundin ihr nichts davon gesagt hatte. Doch andererseits konnte sie es ihr nicht verübeln. Schließlich hatten sie sich erst einige Wochen gekannt und die Tatsache, dass man zu den besten Assassinen von Loutis gehörte, erwähnte man nicht nur mal so nebenbei.
Sie selbst hatte Micah und Alexus inzwischen offenbart, dass sie der Schatten von Praedora war. Die beiden waren mehr überrascht als schockiert gewesen. Außerdem hatte Alexus gefragt, ob sie ihm ein paar Tipps geben könnte, wie er bei seinem nächsten Besuch in Galeran am besten die Schatzkammer seines Stiefvaters ausrauben könnte. Zwar hatte er das bereits schon einmal getan, doch nach dem letzten Mal rechnete er mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Er war einfach wie immer typisch Alexus gewesen und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
Zu ihrem Erstaunen hatte Micah schon die ganze Zeit über Cynthias wahre Identität Bescheid gewusst. Er hatte ihnen im Nachhinein von dem Gespräch mit ihr am ersten Unterrichtstag in der Gartenanlage erzählt. Bisher hatte Micah ihnen nichts gesagt, da er Cynthia damals versprochen hatte, ihr Geheimnis für sich zu behalten.
Am meisten verletzte Elicia jedoch, dass Cynthia sie einfach so von sich wegstieß. Alexus, Aretha und sie hatten ihrer Freundin versichert, dass sie kein Problem damit hatten, dass sie in der Vergangenheit eine Assassinin war. Schließlich konnten sie sie in den ersten Wochen des Schuljahres kennenlernen und wussten, wie sie wirklich war. Es war offensichtlich gewesen, dass sich Cynthia beim Kampftraining zurückgehalten hatte, um niemanden zu verletzen, und durch ihren Dienst auf der Krankenstation hatte sie schon vielen Schülern helfen können.
Elicia wusste, dass ihre Freundin nicht das Monster war, für das sie nun alle hielten, doch leider schien Cynthia das selbst vergessen zu haben. Stattdessen schottete sie sich so gut wie möglich von allen anderen ab und ließ niemanden mehr zu sich durchdringen. Sie ging Elicia und den anderen aus dem Weg und wenn sie versuchten, mit ihr zu reden, bekamen sie meist nur ein paar knappe Worte als Antwort.
Erst vorhin hatte sie stundenlang versucht, ihre Freundin dazu zu bewegen, die Tür zu ihrem Zimmer zu öffnen, damit sie einfach mit ihr reden konnte. Sie hatte noch deutlich den Ausdruck auf Cynthias Gesicht von heute Morgen in Erinnerung. Wut und Verzweiflung haben sich in ihren Augen vermischt und sie sah einfach unglaublich verloren aus. Wenn sie an die Cynthia dachte, die sie zu Beginn des Schuljahres kennengelernt hatte, konnte sie nicht die geringste Ähnlichkeit zu der heutigen finden.
Vor etwa einer Stunde war ihre Freundin zu Tissaia aufgebrochen. Wortlos war sie an ihr im Gemeinschaftsraum vorbeigestürmt und hatte ihr nicht einmal die Möglichkeit gegeben, nur irgendein Wort mit ihr zu wechseln. Es war einfach zum Verzweifeln.
Plötzlich fiel etwas Weißes vom Himmel. Dann noch etwas und Elicia stellte erstaunt fest, dass es anfing zu schneien. Die Schneeflocken fielen vom Himmel und verschleierten ihre Sicht auf die Stadt. Es wurden immer mehr und mehr. Doch irgendetwas störte Elicia an dem plötzlich einsetzenden Schneegestöber. Während des Nebelmondes war es zwar nicht ungewöhnlich, dass es schon mal schneien konnte, aber irgendetwas stimmte hier nicht.
Elicia öffnete ihr Fenster und sofort wurden einige Schneeflocken in ihr Zimmer geweht. Mit Hilfe ihrer Luftkräfte öffnete sie eine Schneise zwischen den Schneeflocken und nun konnte sie endlich sehen, was sie störte. Der Schneefall war ausschließlich auf das Gelände der Akademie begrenzt. Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, was das zu bedeuten hatte, kam auf einmal etwas in ihr Zimmer geflogen. Erschrocken stolperte Elicia zurück und wäre beinahe hingefallen. Vor ihr im Raum schwebte eine Eule aus Eis.
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Codex Loutis - Die Macht der Elementare (Band 1)
FantasyWie macht man weiter, wenn man alles verloren hat? Wie soll man an die Zukunft glauben, wenn die Vergangenheit immer noch dunkle Schatten darauf wirft? Für siebzehn Jahre hatte Cynthia ein ruhiges Leben auf Tanushof geführt. Doch nach einer schreckl...