II ○ escape from the system ○ II

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Mein Blick verharrte auf den Initialen, als würden sie mir eine Antwort auf all die Fragen in meinem Kopf geben können. Aber stattdessen hinterliesen sie nur mehr Rätsel. Wer war dieser Typ? Was hatte er mit mir vor? Und warum zur Hölle fühlte sich das alles so surreal an, als hätte ich keinen Einfluss auf das, was passiert war? Mit einem weiteren tiefen Seufzer lies ich die Kette auf meine Brust sinken und starre an die Decke.

Das System. Das war das Thema, das er angesprochen hatte. Aber konnte ich wirklich behaupten, dass das System allein für all das verantwortlich war? War es nicht einfacher, sich dem zu fügen, was vorgegeben wurde? Die Wahrheit war, ich wusste es nicht. Ich war wie alle anderen - gefangen in der Routine, unfähig, auszubrechen.

Aber dann... gab es ihn. Diese Begegnung hatte etwas in mir geweckt, etwas, das ich lange in mir begraben hatte: das Verlangen nach Freiheit, nach einem Leben jenseits dieser endlosen Verpflichtungen und Erwartungen. Vielleicht war es nur ein Funken, aber er hatte ihn entzündet. Doch die Frage war, was ich jetzt damit anfangen sollte.

Noch in Gedanken versunken, schrecke ich plötzlich hoch, als mein Handy summt. Ein kurzer Blick zeigt mir eine unbekannte Nummer. Instinktiv wollte ich das Handy weglegen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Meine Finger zitterten leicht, als ich die Nachricht öffnete.

„Vergiss nicht, wer du bist. Du hast es in der Hand. - I.R."

Meine Augen weiten sich, während ich den Text immer und immer wieder lese. Es fühlte sich an, als würde die Zeit um mich herum stillstehen. Wer zur Hölle war dieser Typ? Und woher wusste er so viel über mich? Das beunruhigende Gefühl, beobachtet zu werden, kroch mir über die Haut.

Trotz meiner Verwirrung spürte ich auch eine gewisse Klarheit, eine leise Stimme in meinem Kopf, die mir sagt: Es liegt in deiner Hand. Vielleicht war es Zeit, aufzuhören, auf andere zu warten, die mir die Hand reichten. Vielleicht war es an der Zeit, meine eigene Freiheit zu ergreifen, meinen eigenen Weg zu gehen. Aber wo fing man an, wenn man nicht einmal wusste, wohin dieser Weg führen soll?

Ein weiteres Summen meines Handys rieß mich aus meinen Gedanken. Noch eine Nachricht.

„Treffpunkt 23:00 Uhr, alter Hafen. Wenn du wirklich frei sein willst. - I.R."

Mein Herz klopfte schneller. Etwas sagte mir, dass das eine verdammt dumme Idee war. Aber irgendetwas tief in mir zog mich dorthin. Vielleicht war es die Neugier. Vielleicht war es das Bedürfnis nach Antworten. Oder vielleicht... war es einfach die Sehnsucht, aus diesem verdammten System auszubrechen.

Für einen Moment blieb ich einfach nur sitzen und starre auf den Bildschirm. Es fühlte sich an wie ein Wendepunkt, eine dieser Entscheidungen, die alles verändern könnte. Ich wusste nicht, ob es die richtige war. Aber ich wusste, dass ich sie treffen musste.

Mit einem tiefen Atemzug entschied ich mich. Ich würde hingehen.

Der Tag zog sich wie Kaugummi. Jede Minute fühlte sich endlos an, und mein Kopf war voll von Gedanken an das, was heute Nacht passieren könnte. Was, wenn ich nicht hinginge? Wäre es einfacher, das alles als eine verrückte Begegnung abzutun und weiterzumachen, als wäre nichts geschehen? Doch immer wieder drängt sich die Nachricht in mein Bewusstsein: „Wenn du wirklich frei sein willst."

Ich weiß nicht einmal, was "frei" wirklich bedeutet. Ein Leben ohne Regeln? Ohne das ständige Gefühl, Erwartungen erfüllen zu müssen? Oder vielleicht ohne den endlosen Druck, perfekt zu funktionieren? All das erschien so weit entfernt, dass ich es kaum greifen konnte. Aber ich spürte diese Unruhe, dieses Vibrieren unter der Oberfläche, das mich zu ihm zog - zu dieser Möglichkeit, dass es mehr gab.

Die Stunden verstrichen, und je näher es 23:00 Uhr wurde, desto nervöser wurde ich. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fing an, mich vorzubereiten. Schwarz. Ich zog mich in Schwarz an, als würde mir das eine Art Tarnung verleihen - als könnte ich in der Dunkelheit verschwinden, so wie er es letzte Nacht getan hatte.

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