20. Kapitel - Geheimnisse und Hufeisen

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Oliver ging nicht sonderlich auf Cordelias Neugierde ein, während sie Vanitas sattelten. Beziehungsweise sattelte Cordelia die Stute, während Oliver jene giftig aus einer Ecke des Stalles heraus beobachtete. Vanitas behielt ihn ebenfalls im Blick, blieb aber während der Behandlung des Mädchens weitestgehend ruhig.

Letztendlich gab Cordelia es auf, den Jungen weiter zu der Geheimniskrämerei zu befragen. Sie würde ohnehin noch früh genug dahinterkommen.
„Sag doch mal, wie geht es Amalia?"
Sie sah zu Oliver und musste feststellen, dass er bei der Frage etwas gequält das Gesicht verzogen hatte. Das war neu in Bezug auf seine mysteriöse Freundin. Memento Mori stieß Olivers Schulter an und brachte ihn so zum Reden.
„Sie hat sich irgendwie verändert. Ich glaube, sie leidet." In seinen Augen glänzte Schmerz. „Ich kann ihr nicht helfen. Dämonen halten sie von mir fern."
Cordelia blinzelte, überrascht von dieser düsteren Antwort, und strich gedankenverloren durch Vanitas weiße Mähne. Sie hatte Amalia nie persönlich kennengelernt und dennoch eine Bindung zu ihr aufgebaut. Sie wusste nicht, was Oliver genau meinte, sah jedoch, dass es ihn sehr umtrieb.
„Zu ihr zu gelangen, könnte mich mein Leben kosten", murmelte er im nächsten Moment. Cordelia war sich absolut sicher, dass er dabei mehr mit seinem Pferd sprach. Ihr Inneres zog sich bei den unheilvollen Worten zusammen. Und dennoch war da eine gewisse Akzeptanz, vermutlich, weil Emeraldmoor dem Tod schon immer näher gewesen war, als alle geglaubt hatten. Doch draußen schien die Sonne und erinnerte Cordelia daran, was Oliver immer für sie getan hatte, während sie dem Sensenmann hinterhergejagt war. Entschlossen griff sie Vanitas am Zügel und nahm sich vor, heute der Sonne nachzujagen, wo diese so selten zu Besuch kam.

Oliver und Memento Mori traten neben sie.

„Ich würde meinen, Amalia würde das auf keinen Fall wollen", sagte sie und schaute ihren Freund fest an. „Außerdem halte ich sie für eine sehr starke, junge Frau, wenn sie es seit Ewigkeiten mit dir aushält."
Glücklicherweise wechselte der leidvolle Glanz in den braunen Auen zu Belustigung.
„Weißt du, sie hat dich schon immer bewundert." Oliver brachte sie zum Hoftor. „Du bist mindestens genauso stark."
Das zu hören tat gut. Cordelia konnte nicht anders, als ihn für einen Moment anzustrahlen. Oliver tat so, als würde er davon überhaupt keine Notiz nehmen und schwang sich auf Memento Moris Rücken. „Aber ich wäre dir trotzdem dankbar, wenn du dich vorerst von düsteren Klippen fernhältst."
Sie stieg ebenfalls auf. „Das lässt sich einrichten."
Beide warfen sich ein Lächeln zu und zum ersten Mal seit langem fühlte es sich für Cordelia nicht grotesk an, den Mund auf diese Weise zu verziehen.

Den Pferden war es gestattet, gemächlich durch die Hügelebene zu laufen. Cordelia war das Reiten von ihrem Vater gelehrt worden, doch nach seinem Tod hatte sie den Vierbeinern nicht mehr nah kommen wollen. Was sich als schwer gestaltete, da ihr bester Freund auf einem Hof mit Pferden lebte. Mit dreizehn Jahren hatte Oliver sie nach langer Arbeit mit Samthandschuhen dazu gebracht, das Hobby wieder aufzunehmen.
„Weißt du noch, als du mich damals auf Carpe Diems Rücken gezwungen hast?", schnitt sie die Erinnerung schelmisch lächelnd an. Oliver neben ihr prustete. „Als könnte ich das vergessen. Du hast mit einem Eimer nach mir geworfen."
„Du warst eben nicht mein Vater!"
„Ein Glück, du wärst eine gemeingefährliche Tochter."
Cordelia hielt erneut nach einem Eimer Ausschau, als wäre sie wieder dreizehn Jahre alt. Die Insel gewährte ihr leider keinen.
„Weißt du", fuhr Oliver fort, „zu der Zeit konnte ich dich wirklich kaum ausstehen."
Sie neigte den Kopf und nickte zustimmend. „Was Eve mit uns beiden durchstehen musste, mal davon abgesehen, dass sie ständig mit uns bestraft wurde."
Oliver lachte. „Ja, aber das fand sie nicht schlimm." Er warf Cordelia einen sanften Blick zu. „Zu mir meinte sie mal, dass sie dich vorher selten so lebendig gesehen hat."
Tante Jasmin war die letzten fünfzehn Jahre so oft und gütig mit ihrer Nichte durchgegangen, dass sie inzwischen kaum noch Furcht davor empfand, sich ihren Erinnerungen zu stellen. Und ja, die Monate nach dem Feuer waren hart gewesen. Das Unglück hatte sich riesig und monströs an ihren Leib geklammert und wäre nicht Eves stetiges Leuchten gewesen, so wäre es sicherlich gewachsen und hätte Cordelia viel zeitiger verschlungen.
Ihr Geist wollte ihr weismachen, dass ihr Leben seit dem Tod ihrer Eltern nur aus Finsternis gewebt war und die einzig schönen Momente bei Saturn stattgefunden hatte. Wie oft hatte sie sich wohl in Gefahr gebracht, um zu ihm zu gelangen? Wie wenig hatte sie darüber nachgedacht, dass es mit ihrem Tod hätte enden können?
Das brachte Cordelia zum Nachdenken, stach aber nicht mehr.

Weiß wie die Raben, schwarz wie der SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt