Auf einem hochwertig angefertigten Stuhl saß, in einer dunklen eingerichteten Arbeitsstube, Herr Mahler.
Seine Hände umschlungen das hölzerne Ende der Lehne, in der zwei Furchen waren, in die perfekt wahlweiße der Mittel- und Ringfinger passten, oder der Zeige- und Mittelfinger. Mit letzteren streichelte er die Furchen entlang auf und ab, während er die große Standuhr aus dunklem Ebenholz mit Elfenbeinziffern betrachtete, als plötzlich lautes Läuten durch das Haus drang. Mit einem Satz sprang Herr Mahler vom Stuhl auf und schlich sich leisen Trittes durch das Haus, die Treppe nach unten zur Haustür. Er sah zwei Silhouetten durch das Milchglas, das sich handwerklich musterhaft im Rahmen der Tür schmückt. Die eine der beiden Silhouetten war groß und breit, die andere klein und schmächtig. Herr Mahler öffnete die Tür.
„Firma Nowaczek, Sie riefen uns aufgrund eines verstopften Abflusses im Bad."
„Ja, ganz recht. Treten Sie ein, doch bitte, wenn es keine Umstände bereitet, ziehen Sie doch Ihre Galloschen aus hier direkt an der Tür, so will ich nicht beschmutzen meinen Flur", entgegnet freundlich und bestimmt Herr Mahler.
Die beiden Handwerker folgten Herrn Mahler schuhlos durch den unteren Teil des Hauses, bis sie am Gästebad ankamen. Als die Tür zum Gästebad geöffnet war, machten sich der Große und Kleine direkt ans Werk, schraubten den Siphon auseinander und begutachteten das Loch in der Wand, das als Eingang zum Abfluss diente. Herr Mahler betrachtete sie mit einer Mischung aus Abscheu und gelernter Freundlichkeit bei ihrer Tat und bemerkte, dass sich die Kombinationsanzüge der beiden so sehr an ihre Körper gewöhnt hatten, dass er sich fragte, ob diese Personen je ohne Arbeitsanzug existieren würden. Es schien, nicht wie andere Kleidung sich lediglich um etwas zu handeln, dass ihnen Schutz bietet, vielmehr jedoch wie eine zweite Haut, die zu ihnen gehört. Bei dem Gedanken trocknete der Mund von Mahler gänzlich aus, sein Wunsch nach einem Glas Wasser verstärkt sich, doch die Angst etwas Wichtiges zu verpassen, zwang ihn, den Wunsch nicht in die Tat umzusetzen.
Geistesabwesend verpasste Herr Mahler die dutzenden kleinen Asseln, die aus dem Abfluss hervorkrochen und sich am gefliesten Boden zu verbreiten begannen. Wie als würden sie tanzen, wuselten sie ziellos und verwirrt Umher wurden sie doch ihrer Heimat beraubt.
„Wir wissen, was Sie getan haben, Herr Mahler", sagte der Schmächtige der beiden.
„Was SIE getan haben!", wiederholte nachdrücklich der Große.
Herr Mahler versuchte zu schlucken, um sich auf eine Antwort vorzubereiten, doch die ausgetrocknete Kehle ließ keinen Laut mehr zu, stattdessen blickte er beide abwechselnd mit schiefen Brauen an.
„Wir", sagten beide gleichzeitig und standen dabei auf, „...wissen, was Sie getan haben." und gingen langsam auf Herrn Mahler zu. Mahler aber ergriff die Flucht und rannte so schnell es seine Hausschuhe hergaben die Treppe hinauf, floh erst in das verlassene Kinderzimmer, in dem alle Möbel längst von Staub bedeckt waren, um dann doch weiter ins Arbeitszimmer zu fliehen.
Die beiden folgten Mahler, jedoch im Gleichschritt und nahezu in beseelter Gemütlichkeit. Ihre Köpfe folgten Herrn Mahler, selbst als dieser sich nicht mehr im selben Stockwerke befand. Langsam und stetig mit einer Sicherheit, dass sie ihr Ziel erreichen würden, schritten sie die Treppe hinauf voran. Herr Mahler indes verbarrikadierte die Türe mit seinem Lieblingsstuhl und ging zu seinem Sekretär, auf dem sich das einzige Telefon des Hauses befand. Er ließ hastig die Wählscheibe kreisen, nur um schließlich festzustellen, dass das Telefon keinen Ton von sich gab.
An der Tür war mittlerweile Klopfen und Rütteln zu hören, doch wähnte sich Mahler in Sicherheit, denn Stuhl hatte er doch mit größter Sorgfalt platziert.
Doch quetschten sich nun zwei Asseln, groß wie Kuchenteller, durch den Spalt der Tür und krochen langsam auf Herrn Mahler zu. Ihr Rascheln und Surren war erst unverständlich, doch es wurde immer klarer für Mahler zu hören, sie sagten abwechselnd „Wir wissen es, Herr Mahler".
Herr Mahler floh hinter seinen Schreibtisch, nahm den Brieföffner in die Hand und bedrohte erst die Asseln, doch schließlich zielte er mit der Spitze auf seinen Brustkorb und ließ sich auf den Boden fallen, so dass sich die Klinge in seinem Herz begrub.
Anschließend war es still geworden im Haus.
Zwei Stunden lang schien die Zeit völlig still zu stehen, bis plötzlich ein Klingeln zu hören war.
Vor der Haustür warteten zwei Installateure der Firma Nowaczek.

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Der Buchhalter
Short StoryDer Buchhalter Herr Mahler bekommt erwarteten Besuch von zwei eigenartigen Handwerkern, die jedoch nicht nur ihre Arbeit im Sinn haben.