Roseline~

28

,,Rosé, komm schnell vorbei, es ist dringend", ertönt James' angespannte Stimme aus dem Hörer. Mein Griff um mein Handy wird fester und eine kleine Angst breitet sich in mir aus.

„Eh ja, ich komme." Mit diesen Worten lege ich direkt auf und mache mich auf den Weg zu ihm.

Ich stehe nun vor James' Tür. Doch meine Gedanken hängen immer noch an dem gestrigen Abend. Alles war perfekt, vielleicht zu perfekt. Ich seufze und hebe nun die Hand zum Klopfen. Doch kaum habe ich das getan, öffnet sich die Tür hastig. Er steht da, sein Gesichtsausdruck ist ernster als ich es jemals gesehen habe. Oh je, das bedeutet nichts Gutes.

Bevor ich auch nur fragen kann, was los ist, höre ich schon hastige Schritte, die sich mir nähern.

„Endlich."

Xenia stürmt aus dem Wohnzimmer auf mich zu. Ihre Augen funkeln unruhig. Sie packt meine Arme und zieht mich hinter sich her in die Küche. Dort angekommen setzen wir uns direkt hin und sie atmet laut und stark aus.

„Was ist los?" frage ich mit schnell schlagendem Herzen.
„Es geht um Nora," sagt Xenia atemlos. Nora?
James gesellt sich zu uns und wirkt sehr angespannt. „Jetzt sagt mir doch, was los ist, verdammt!" sage ich ungeduldig und voller Sorge um Nora.

„Gestern Abend, als ihr weg wart, ist Nora eigentlich nur kurz an die frische Luft gegangen, da sie Kopfweh hatte, und als sie wiederkam, war sie anders gewesen," erzählt sie unter ernster Miene. Doch was sie als Nächstes sagte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. „Nicht nur sie war anders, sondern auch ihre Präsenz war verzerrt, so als hätte sich jemand an ihr zu schaffen gemacht."

Ich schlucke schwer und versuche, das Ganze erstmal sacken zu lassen. „Was meinst du mit ‚an ihr zu schaffen gemacht'? Das klingt seltsam."

James, der bisher geschwiegen hat, verschränkt die Arme vor der Brust und ergreift das Wort. „Xenia glaubt, dass Nora von einem Vampir manipuliert wurde." Das Wort „manipuliert" hallt in meinem Kopf wieder, als würde es sich dort festsetzen. „Manipuliert?" wiederhole ich ungläubig. „Das ist unmöglich. Sie kennt keinen Vampir außer ihm und Jackson. Außerdem ist sie viel zu stark, um sich darauf einzulassen." Schüttle ich mit dem Kopf.

Diesmal ist es Xenia, die den Kopf schüttelt. „Das dachte ich auch, aber ich habe es gespürt. Noras Präsenz ist nicht mehr ihre eigene. Es ist, als hätte jemand in ihrem Kopf etwas gesucht oder eingepflanzt."

Ein kalter Schauer zieht über meinen Rücken, der meinen ganzen Körper dazu bringt, sich einmal zu schütteln. Jemand hatte in Noras Gedanken eingegriffen, aber wie und warum!? „Und dann ist da noch etwas anderes." Xenia stockt und sieht mich mit so ernstem Ausdruck an, dass mein Herz in die Hose rutscht.

„Was denn?" frage ich und meine Stimme klingt dünner, als ich erwartet hätte.

„Ich glaube, sie ist nicht nur manipuliert", sagt Xenia leise. „Es fühlt sich so an, als würde sie benutzt werden, vielleicht als Werkzeug oder als Ablenkung. Nein, ich spüre es... ich weiß es einfach. Jemand bereitet einen möglichen Angriff vor."

Einen Angriff? Meine Gedanken rasten. Wer könnte so etwas tun und warum? Jackson ist doch tot, oder etwa nicht? Und warum Nora?

„Ein Angriff?" Ich sehe fragend zwischen den beiden hin und her. Doch beide starren bedrückt auf den Boden. „Aber von wem?"

„Das ist es ja, was wir herausfinden müssen", meldet sich James nun zu Wort. Er sieht zu Xenia, sie nickt nur, als würde sie verstehen, und fängt an zu reden. „Hör mal, Roseline, ich habe vor ein paar Tagen eine Version von deinem Tattoo auf den Rücken bekommen, die rote Rose, die sich um ein Schwert schlingt." Ich schaue sie verdutzt an. „Das Tattoo habe ich schon seit meiner Geburt. Was ist damit?"

Sie nickt verstehend.

„Dieses Tattoo, das du trägst, scheint dir eine Hexe bei deiner Geburt vermacht zu haben, um dich vor Vampirangriffen zu schützen. Damit kannst du dich nicht nur vor der Manipulation eines Vampirs schützen, sondern auch in andere Köpfe sehen, wer sie manipuliert hat. Daher brauchen wir dich. Da es aber anscheinend von jemandem versiegelt wurde, muss ich heute oder morgen nachschlagen, wie ich diese Versiegelung aufbreche."

Was aber wie... also wusste meine Mama die ganze Zeit davon und hat mich angelogen oder was?! Ich spüre das Gewicht ihrer Worte, das auf meinen Schultern lastet.

„Wir müssen vorsichtig sein", meldete sich Xenia wieder zu Wort. „Ich habe das Gefühl, dass es ein mächtiger Vampir ist, der weiß, wie man im Verborgenen arbeitet."

Mein Magen zieht sich bei ihren Worten zusammen.

„Und wir haben nicht viel Zeit", kommt es bedrückt von Xenia. „Denn wenn wir bald nicht herausfinden, wer sie manipuliert hat und was genau er mit ihrem Kopf angestellt hat, könnte es bald zu spät sein", sagt sie düster.

Ihre Worte hängen schwer in der Luft. Ich atme tief durch und sammle mich. Angst macht sich in mir breit, doch eines ist klar: Wer auch immer hinter all dem steckt, er wird damit nicht durchkommen. Da bin ich mir sicher.

„Was auch immer passiert", sage ich schließlich und sehe beide entschlossen an. „Wir werden es herausfinden und wir werden es aufhalten. Ich helfe euch auf jeden Fall dabei."

Xenia und James quittieren es mit einem Nicken. „Gut, wenn ich es geschafft habe, die Versiegelung zu brechen, müssen wir unauffällig an Nora rankommen, ohne sie zu alarmieren. Und durch dich, Rosé, identifizieren wir, wer der Vampir ist. Nur so haben wir eine Chance, den Plan zu durchkreuzen."

Ich nicke, um zu zeigen, dass ich es verstanden habe. „Gut, dann würde ich sagen, treffen wir uns morgen früh hier, um an dem Plan zu arbeiten", schlägt James vor, woraufhin Xenia sich von uns verabschiedet und nach Hause geht. Ich gebe James einen schnellen Kuss, den er erwidert, und gehe auch nach Hause. Um mich erstmal zu sammeln und Kraft für morgen zu tanken.