~Polierte Fresse~

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Ich sitze auf der Krankenstation und lasse mir meinen Gips abnehmen. Die Woche ist vergangen, und endlich habe ich keine Schmerzen mehr. Die Ärztin mit den rosa Haaren, die mich auch damals behandelt hat, schneidet mir mit konzentriertem Blick den Gips auf und zieht ihn ab.

Ich atme erleichtert aus, als endlich wieder Luft an meinen Fuß gelangt. ,,Danke." murmle ich, als die Frau mir die Hand reicht und ich das erste Mal seit einer Woche wieder normal stehen kann.

Ich denke über die letzten Drei Tage nach. In den Simulationen bin ich zweimal verbrannt und einmal gesteinigt worden, während man mir die übelsten Beleidigungen an den Kopf warf. Diese Simulation war bis jetzt die schrecklichste von allen.

James scheint es besser zu gehen. Er beginnt wieder zu lachen. Mit Mark ist noch nichts passiert. Es wundert mich, denn ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass Eric ihn für seine Taten bestrafen würde.

Aber anscheinend hat er sich das wieder aus dem Kopf geschlagen. Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig enttäuscht. Ich dachte, ich wäre ihm wichtiger.

~

Ich will gerade die Tür öffnen, als sie plötzlich aufgestoßen wird und sie mich fast schlägt. Ich springe schnell zur Seite. Jemand liegt auf einer Trage, die von zwei Ärzten getragen wird. Auf ihr erkenne ich einen violetten Haarschopf. Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Mark.

Ohne groß zu überlegen, laufe ich den Ärzten hinterher und frage: ,,Was ist passiert?" ,,Starke Blessuren, ein gebrochenes Handgelenk und eine heftige Verletzung am Jochbein." erwidert der Arzt knapp.

Ich bin erstaunt. Bei den Ken hätten die Ärzte als erstes gefragt, ob ich mit der Person verwandt bin, aber bei den Ferox scheint das niemanden zu interessieren. ,,Sieht aus, als hätte ihm jemand ordentlich die Fresse poliert." sage ich und der Arzt nickt. ,,Wer immer das getan hat, musste einen guten Grund dafür haben."

Ich bleibe stehen. Ich habe alle Informationen, die ich wollte.

~

,,Heute ist der letzte Tag der Simulationen. Morgen habt ihr einen Tag frei, danach durchlauft ihr als Abschlussprüfung eure persönlichen Angstlandschaften." verkündet Four, als wir am nächsten Tag wie immer in dem Flur sitzen.

Ich wackle unruhig mit meinem Bein. Nur noch einmal, dann habe ich die Initiation fast geschafft. Danach kommt es nur noch auf mein Ranking an.

Ich sitze zusammen mit meinen Freunden im Kreis. Jeder ist sichtlich nervös. Aurore kaut sich ununterbrochen auf den Nägeln, James beißt sich die Lippen wund, Mia kratzt sich die ganze Zeit am Arm und Ryans Augen scheinen heute noch hektischer zu zucken als sonst.

,,Wir haben es fast geschafft Leute!" sage ich. Mia massiert sich die Nasenwurzel und murmelt: ,,Ja. Nur noch heute und die Angstlandschaften. Danach kann es ja gar nicht mehr schlimmer werden."

,,Genau." meint Aurore und winkelt ihre Beine an. ,,Wenn das Ranking mitspielt, sind wir bald vollwertige Ferox." ,,Dann hoffen wir einfach mal, dass das Ranking wirklich mitspielt." erwidert Ryan.

Ich schaue ihn an und bemerke jetzt erst, dass er ein Tatoo an seinem kleinen Finger hat. Ein Drache, der Feuer speit. Sieht gar nicht mal so übel aus. Was Tattoos angeht, habe ich in meinem Freundeskreis die Nase eindeutig vorne.

Mia hat zwar auch ganz schön aufgeholt, aber die meisten Tätowierungen habe immer noch ich. Ich will gerade etwas zu dem Ranking sagen, als ich plötzlich von Eric hereingerufen werde. Ryan drückt noch kurz meine Hand, dann stehe ich auf und gehe das letzte Mal in den Simulationsraum.

~

Als ich die Tür geschlossen habe, schaue ich Eric ein paar Sekunden einfach nur an. ,,Das warst du mit Mark, hab ich Recht?" frage ich und er nickt. ,,Ich denk die Strafe war nicht angemessen, aber bestimmt hätte das nicht so ein gutes Licht auf die Anführer der Ferox geworfen, wenn ich einen Initianten töte." erwidert er.

Ich lächle. ,,Es war genau die richtige Strafe." sage ich und gebe ihm einen Kuss. ,,Setz dich." sagt Eric nach einigen Sekunden und ich gehe widerwillig zum Stuhl. Als er mir das Serum injiziert, schließe ich die Augen und zucke leicht zusammen.

Meine Glieder werden schwer und ich spüre, wie mich pure Schwärze überkommt. Dann bin ich schon weggetreten.

~

Ich befinde mich im Hauptquartier der Ken. Jeder Ken steht um mich herum und lacht mich aus. Mir werden Schimpfwörter und Beleidigungen an den Kopf geworfen. Mein Gesicht wird heiß und meine Handflächen sind schwitzig.

Ich schaue mich hektisch in der Masse um. Ich suche nach irgendeinem freundlichen Gesicht, nach irgendjemandem der mir vielleicht helfen kann. Aber überall sehe ich nur feixende Gesichter mit gehässigen Gesichtsausdrücken.

,,Hört auf damit!" schreie ich. Niemand hört mich. Die Stimmen sind so laut, dass sie sich zu einem unheimlichen, grässlichen Chor zusammenschließen. Ich fühle mich, als würde ich gegen eine Wand schreien.

Plötzlich kommt mein Vater nach vorne. Ich spüre sofort rasende Wut in mir. Auch wenn ich seit Wochen von ihm unabhängig bin, hasse ich ihn nach wie vor. Ich balle meine Hand zur Faust, als er näher kommt.

,,Was machst du denn hier?" fragt er. Seine Stimme hört sich an wie das Zischen einer Schlange. ,,Ich hab gesagt du sollst heute pünktlich zuhause sein. Du weißt genau, was das für Folgen haben wird, dass du zu spät bist."

Jetzt steht er ganz dicht vor mir. Ich spüre den Hass wie flüssiges Gift durch meine Venen fließen. Ich denke nicht groß nach und schlage ihm direkt ins Gesicht. Er stöhnt auf und taumelt einige Schritte zurück.

Die Ken sprechen immer weiter, als sei überhaupt nichts geschehen. Mein Vater hat überhaupt keine Chance, sich gegen mich zu wehren. Es ist wie damals, wenn er mich in der Küche verprügelt hat.
Nur dass ich nicht mehr das Opfer bin.

Als er vor mir am Boden liegt, atme ich tief durch. Ich habe ihm gezeigt, wer das Sagen hat. Ich werde mich von ihm nie wieder herumscheuchen lassen. Nie wieder.

Mittlerweile höre ich die Ken kaum noch. Das Blut rauscht in meinen Ohren so laut, dass ich überhaupt nichts anderes mehr wahrnehmen kann.

~

Ich öffne die Augen und fahre mir durch die Haare. Das war die letzte Simulation. Nur noch die Angstlandschaften, dann habe ich es geschafft. ,,Wie schnell?" frage ich keuchend. ,,7 Minuten und eine Sekunde."

Ich atme erleichtert auf. Diese Zeit ist gar nicht mal so schlecht.

Als ich aufstehe, kann ich nicht anders, als Eric noch einmal zu küssen. Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass er sich für mich entschieden hat. Dass er mich gewählt hat. Mit seinem Posten könnte er jede haben, das steht fest.
Warum habe dann ausgerechnet ich das große Los gezogen?

Es ist mir eigentlich egal, wieso. Ich bin einfach nur überglücklich, dass er mich nicht fallen gelassen hat. Nur das zählt.
Zumindest für den Moment.

Escaping the fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt