Sie drehte sich verschlafen auf die Seite, dann blinzelte sie und öffnete ihre Augen. Wieder bot dich ihr der gleiche Anblick der kargen Wand, der bröckeligen Ziegelsteine, die hinter der abgerissenen Tapete zum Vorschein kamen.
Und mit jedem Tag, mit jeder Sekunde, mit jeder Minute länger, die sie hier verbrachte, schien ihre Lage trostloser.
Du bist selbst dran Schuld, dass du hier bist, dachte sie verbittert und wollte sich wieder umdrehen, als ihr Blick auf die ihr gegenüber sitzende Gestalt fiel.
"Auch schon wach?", fragte Lucius amüsiert.
Sie rückte näher an die kalte Wand und setzte sich vorsichtig auf, doch er rührte sich nicht. Seine Augen verfolgten jedoch wachsam jede ihrer Bewegungen, ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
"Gibt es wieder etwas, was ich wissen sollte?", fragte sie tonlos.
Er antwortete nicht, gedankenverloren starrte er sie an. Sie spürte einen Stich im ihrem Herzen, als sie seine weich gewordenen Gesichtszüge betrachtete. In diesem Augenblick sah er dem Mann so ähnlich, den sie gekannt hatte, den sie gemeint hatte zu kennen.
Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Es war vorbei. Nichts verband sie mehr mit diesem Werwolf.
Sie stand auf und presste sich gegen die harten Steine, er kam langsam auf sie zu, bis er dicht vor ihr stand. Sein Atem streifte ihre Stirn, doch sie hielt die Augen starr auf den Boden gerichtet.
Die Nähe zu ihm machte sie verrückt. Sie musste nur die Hand ausstrecken um ihn zu berühren. Er schien ihr so nah, doch der Junge, der Mann, der sie einst zum Lachen gebracht hatte, war nicht mehr da.
Er war gegangen, für immer.
"Geh weg", stieß sie mühsam hervor.
Ein raues Lachen erklang, doch die Kälte, dir normalerweise in seiner Stimme mitschwang, war verschwunden.
"Ist das alles, was du sagen hast?" Seine Finger glitten von ihrer Wange bis zu ihrem Kinn, er hob ihren Kopf damit sie ihn ansah.
Wie sehr sie seine Berührung vermisst hatte, die ganzen langen Jahre.
Er ist nicht mehr der, der er einst war, erklang diese warnende Stimme in ihrem Kopf. Du kannst ihm nicht vertrauen.
Doch sie war unfähig sich zu rühren, war wie gefangen in diesen unglaublich blauen Augen. Diesen Augen, die so wild wie das tosende Meer waren, so tief wie tiefste See.
Flach atmend legte sie ihm eine Hand auf die breite Brust, sie spürte, wir sich unter seinem Hemd die Muskeln anspannten.
Er beugte sich zu ihr runter. "Weißt du noch", murmelte er. "Wie wir uns kennengelernt haben? Auf diesem Ball, der immer stattfindet, und du deinen Drink auf mein Hemd geschüttet hast?"
Er ist nicht mehr der alte! Hör auf, an vergangene Zeiten zu glauben! Du kannst nicht...
Ein Kichern drang aus ihrer Kehle. "Wie könnte ich das vergessen. Du warst so wütend, und dann kam dein Bruder und..."
Schnell verstummte sie. Was tat sie gerade? Er war nun ein anderer, ein Feind, er hielt sie hier gefangen. Sie war nur ein Druckmittel.
Als hätte er ihre Zweifel bemerkt, beugte er sich noch weiter zu ihr runter. "Es könnte alles so sein wie früher", meinte er leise. "Du, ich, zusammen..."
Er ließ die Worte im Raum verklingen und sah sie erwartungsvoll an.
Wie sehr hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt? Wie sehr hatte sie sich nach ihm gesehnt?
Und doch, all die ganzen Jahre lang musste er auf sie warten. Jetzt war sie nur hier, weil er ihre Tochter bräuchte.
"Zu welchem Preis? ", hauchte sie.
Wie sollte das denn funktionieren? Es war nun ein Werwolf, ihr größter Feind.
"Bleib hier", murmelte Lucius. "Bleib hier, bei mir."
"Ich kann nicht", flüsterte sie.
Es tat weh. Es tat so weh.
Sie schob ihn von sich weh, ein Kloß bildete sich in ihrer ausgetrockneten Kehle. "Bitte, geh weg. Es wird für uns kein wir mehr geben. Du und ich, wir stehen auf verschiedenen Seiten. Und das wird sich nicht mehr ändern."
Schweigend stand er da, dann kehrte wieder diese Distanz, diese Kälte im seinen Blick zurück. Wortlos drehte er sich um und ging zur Tür.
"Du solltest deine letzten Stunden genießen", sagte er mit dem Rücken zu mir. "Es bleiben dir nicht mehr viel. Bete zu deiner Göttin, dass deine Tochter kommt."
Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, verließen sie die Kräfte und sie glitt an der Wand entlang zu Boden.
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Im Schatten des Mondes (I)
WerewolfR E W R I T T E N || -W A T T Y S W I N N E R 2 0 1 6 - Die meisten Geschichten beginnen mit einer Lüge... »Eine einzelne Träne rollte meine Wange hinunter, ich wischte sie hastig weg. »Warum?« Er nahm meine Hand, doch ich wich seinem Blick aus...