Kapitel 1: Erwachen

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17.Oktober 2032, 12:24

Deutschland, Frankfurt

Explosion Atomkraftwerk 'Z003'

Tote: 600.437 (80.926 Kinder)

Vermisste: 200.899


Erwachen


Die halbvolle Bierdose fiel scheppernd zu Boden, rollte unter das Sofa und hinterließ eine gelblich schäumende Pfütze. Der Fernseher ließ das Wohnzimmer unregelmäßig aufflackern. Essensreste säumten den kaum noch sichtbaren Tisch in der dreckigen und vermüllten Küche.Irgendwo in der Ecke stand ein zugestaubter Besen. Der Boden war in unregelmäßigen Abständen von leeren Bierdosen gepflastert,abgesehen von dem achtlos hingeworfenen Bademantel, der umgekippten Chipstüte, ein paar alten zerfledderten Büchern und der Motte, die gerade in dem wallenden Staubparadies unter dem dunkelblauen Stoffsofa verschwand. „Auch der Präsident der Vereinigten Staaten nimmt Anteilnahme. Da es nicht möglich ist in das radioaktive Gebiet zu fahren, besuchte er heute eine Gedenkstätte und legte eigenhändig Blumen nieder, zündete eine Kerze an und verharrte in einer Trauerminute. Überall auf der Welt nimmt man Anteilnahme.Vereinzelte Websites können zusammen schon 1,5 Milliarden Nachrichten aufweisen, in denen Leute ihr Beileid und Entsetzen aussprechen, über ein Viertel der gesamten Weltbevölkerung."

Alles war dumpf. So still. So langsam. Irgendwo vor ihm flackerte der Fernseher, irgendeiner redete über das eine. Nur das eine. Immer und immer wieder. Überall. Und man fragt sich: wieso? Doch wozu will man überhaupt eine Antwort? Oder besser auf was? Man wird stocken und grübeln. Ja, wieso fragt man eigentlich nach dem 'wieso'? Weil alle es tun. Irgendwo da hinten ist auch Mitgefühl für die Betroffenen,wenn du es das erste mal in den Nachrichten hörst und die erschreckenden Bilder siehst. Nur irgendwo dahinten. Denn würde jetzt einer einen guten Witz erzählen, würdest du aus tiefstem Herzen mitlachen. Aus vollstem, tiefsten Herzen. Und die Toten und Leidenden wären vorerst vergessen.

Wie in Zeitlupe floss eine einzige salzige Träne über die raue Haut,bahnte sich einen Weg durch die Bartstoppeln, hielt am Kinn kurz inne und fiel, um kurz darauf zu zerplatzen. Für immer aufgelöst. Was hatte das für einen Sinn? Wieso lebte man überhaupt, wenn man doch sowieso starb? Der erste Gedanke. Doch dann dachte man weiter. Und merkte, dass es sich selbst für die Träne lohnte zu leben. Der Moment, wo sie die raue Haut spürte, eine Aufgabe hatte anzukommen,wo immer das auch war. Die Träne wussten nicht, dass sie an ihrem Ziel zerplatzen würde. Das war ihr auch nicht wichtig, denn sie spürte den freien Fall. Freies Leben. Alles hatte einen Sinn.

Erließ die Tränen alle laufen. Entfachte immer und immer wieder neue,kurze Leben. Doch das merkte er nicht. Er hatte nur einen Gedanken.Eine Hoffnung. Alles was er hatte. Was ihm einen Sinn gab. Er dachte und hoffte es immer wieder. Und bereute all seine Entscheidungen in der Vergangenheit. Doch es war zu spät.


҉


Ich hatte meine Augen geschlossen. Ganz sicher. Trotzdem war alles hell.Zu hell im Gegensatz zur Dunkelheit, die mich die ganze Zeit umgeben hatte. Mein ganzes Leben lang. Doch konnte das sein? Bestand das Leben aus Finsternis? Lebte man nicht normalerweise anders? Mein Kopf war leer. Keine Erinnerungen. Einfach nichts. Ich hörte meinen Herzschlag. Ganz langsam und schwach, aber es pumpte Blut. Hieß das ich lebte? Könnte ich mich dann auch bewegen? Ich versuchte meine Augen zu öffnen. Die Lider waren so schwer und müde. Ich schaffte es nur ganz leicht und das, was ich sah war ein grelles, blendendes weiß. Von alleine schlossen sich meine Augen wieder. Licht gab es sowohl im Leben als auch im Tod. Das berühmt, berüchtigte Licht am  Ende des Tunnels. Doch bei mir war weder ein Tunnel noch Licht gewesen. Nur Schwärze. Lebte ich nun oder nicht? Verdammt,du denkst gerade über etwas nach, das geht ja wohl schlecht wenn du tot wärst. Ich versuchte meinen Körper zu fühlen. Doch ich schaffte es nicht. Alles war wie gelähmt. Aber es fühlte sich gut an. Schwebend. Frei. Fühlte es sich so an zu leben? Ich versuchte erneut die Augen zu öffnen. Alles war schwer wie Blei. „Ich glaube sie wacht auf.", drang eine dumpfe Stimme zu mir durch. Wie durch Watte. Leicht verzerrt. Erst jetzt hörte ich auch andere Geräusche. Auffällig war ein konstantes Piepen. Das Geräusch kam mir bekannt vor, doch ich konnte es nicht einordnen. Meine Gedanken waren so langsam. Ganz leise hörte ich Schritte, die neben mir verstummten. „Das Schlafmittel lässt nach.," hörte ich erneut eine Stimme, diesmal eine andere. „Brauch sie noch eine Dosis?", fragte ein Dritter. „Noch eine. Lassen wir sie noch ein wenig schlafen.", sagte die Zweite. Ganz leicht, fast so wie ein Luftstoß fühlte ich etwas durch meine Haut dringen. Wie sich die Schritte entfernten, bekam ich schon nicht mehr mit, denn ich tauchte in Schwärze ein. Doch dieses schwarz war anders. Es sah aus wie mit Wasserfarben gemalt. Dann versagten selbst meine Gedanken.

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Blut tropfte in regelmäßigen Abständen auf den Steinboden. Die rote Flüssigkeit lief seitlich aus seinem Mund, an seinen Unterarmen hinab und über seinen nackten Oberkörper. Wieder fuhr die Peitsche auf seinen Rücken nieder. Er schrie qualvoll, bäumte sich auf,versuchte sich von den Eisenfesseln zu befreien. Doch sie hielten ihn erbarmungslos fest und schnitten ihm bis auf die Knochen ins Fleisch.Alles brannte wie Feuer, er spürte jede einzelne Wunde. Blut lief in seine Augen und sein Blick verschwamm. Aus dem Augenwinkel sah er Doragon,der ihn langsam umkreiste. Angewidert spuckte er die rote Flüssigkeit auf den Boden vor ihm. Der schwarze Anzug streifte seinen Körper.Sein auf die Brut gesunkenes Kinn wurde mit dem Zeigefinger angehoben und es blieb ihm nichts anderes übrig als in Doragons blasses Gesicht zu blicken. „Am einfachsten wäre es doch sie zu töten.",flüsterte er mit rasselnder Stimme. Er bäumte sich in seinen Fesseln auf und fauchte. Doragon wich angewidert ein wenig zurück.Ein erneuter Peitschenschlag traf ihn auf der Schulter. Er würgte,spuckte Blut und sank zusammen. „Tötet...tötet sie nicht.",keuchte er leise. „Und was schlägst du vor, Karasujunge?",zischteDoragon und er konnte seinen Atem an seinem Hals spüren. „Ich...ich werde sie bewachen.", keuchte er. „Und sie zu einer von uns machen." Er würgte. Doragon stand ganz nah bei ihm und flüsterte in sein Ohr: „Das will ich dir raten." Langsam riss er mit seinen spitzen Fingernägeln die Haut auf seiner Brust auf. Sein Körper krampfte sich vor Schmerz zusammen, doch er sammelte seine letzten Kräfte und schaute ihm in die Augen. Doragons Gesicht war zu einem grausamen Grinsen verzogen. Langsam legte er seinen Zeigefinger auf seine nackte, blutige Brust und zischte: „Solltest du versagen,werdet ihr brennen. Beide!" Er zuckte zusammen. Doragon lachte kalt und erhob sich. Während er in die Luft hinaufstieg und seine Silhouetten zu Schatten verschwammen, öffneten sich die Fesseln.Kraftlos fiel er nach vorne und erbrach einen Schwall Blut.Regungslos blieb er liegen. Er hatte verloren.


҉


Ich öffnete meine Augen. Alles war so hell. Es dauerte einige Sekunden,bis ich wieder richtig sehen konnte. Ich starrte an eine weiße Decke, genau in eine grell leuchtende Lampe. Es war als hätte ich Druck auf den Ohren. Entfernt hörte ich Stimmen. Ich versuchte an irgendetwas zu denken, doch alles war leer. Aber ein gutes leer, so als würde ich schweben. Alles in mir war immer noch so müde, doch ich merkte, wie ich die Kontrolle über meinen Körper wiedererlangte. Unendlich langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite. Mein Blick schärfte sich. Das erste was ich wahrnahm war ein Mädchen,das mir halb zugewandt auf der Bettkante saß. Sie war in ein weißes Nachthemd gekleidet, das fast genauso blass war wie ihre Hautfarbe. Um den Kopf trug sie ein hellblaues Tuch auf dem zahlreiche Möwen ihre Kreise zogen. Ich blickte mich weiter um und nahm mehrere belegte Betten wahr. Die meisten Menschen schliefen und waren an eine Infusion angeschlossen. Ganz klar, ich lag in einem Krankenhaus. Der strenge Geruch nach Krankheit und Desinfektionsmittel schwang in der Luft. Wieso war ich hier? Was war passiert? Ich konnte mich nicht erinnern. Meine Gedanken waren wie durch Nebel verhüllt. „Na endlich bist du auch mal wach, Wunderkind.", hörte ich eine Stimme unnatürlich laut. Sie kam von dem Mädchen, die mich nun breit angrinste. Sie sah freundlich aus und musste ungefähr in meinem Alter sein. Was hatte sie gesagt? Wunderkind? „Endlich habe ich eine Bettnachbarin, die nicht im Koma liegt. Ich freu mich ja so. Ich bin Stacy, du bist Sophie, richtig?" Woher wusste sie meinen Namen?Ich wollte sie korrigieren, ihr sagen, dass ich 'Sky' bevorzugte,doch es kam kein Ton aus meinem Mund. Noch nicht einmal ein heisernes Krächzen. Als ich nichts erwiderte fuhr das Mädchen fort: „Das ist ja alles so spannend. Oh man, krass. Du bist tatsächlich aufgewacht." Die Verwirrung schien mir ins Gesicht geschrieben, denn Stacy meinte nun: „Oh, tut mir leid, ich war wohl etwas unhöflich. Du wachst endlich wieder auf und ich erzähl dir irgendwelchen Müll. Aber ich bin ja so froh, dass du lebst." Ich schloss kurz meine Augen. Es war so schwer sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Ich war so müde und wollte in Ruhe nachdenken und nach meinen Erinnerungen suchen. „Sophie? Geht es dir gut?",hörte sie die helle Stimme erneut, diesmal ein wenig besorgt. Doch ich ignorierte ihre Worte und drehte provokant den Kopf weg. Stacy verstummte. Ich seufzte innerlich erleichtert. Doch die Stille sollte mir nicht lange vergönnt sein, denn sie wurde durch eine sanfte, männliche Stimme unterbrochen. Sie kam mir bekannt vor, sie hatte sie vor kurzem schon einmal gehört. „Stacy, lass ihr ein wenig Zeit. Sie braucht noch Ruhe und muss mit der Situation erstmal klarkommen. Das verstehst du doch sicher, oder?"

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⏰ Last updated: Aug. 14, 2015 ⏰

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