Kapitel 02 - Ein Geschenk

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LAETITIA

Der heutige Tagesritt zieht sich in meinen Augen quälend lang.

Nicht genug, dass das Ziel schon noch viele hundert Meilen entfernt liegt, brennt sich die heiße Mittagssonne auf mein goldenes Haar.

Ich fühle mich etwas benebelt von der stickigen Hitze und brauche langsam dringend etwas zu trinken. Mein Körper beginnt zu dehydrieren.

Verzweifelt sehe ich mich um, doch entdecke nur kahle Felsenlandschaften.

Zu allem Übel vermag mein Bruder es nicht, eine Minute lang den Mund zu halten. Lucius und Nailah unterhalten sich in ihrer Muttersprache - italienisch.

Das machen sie immer, wenn niemand mitbekommen soll, welche Pläne sie wieder einmal schmieden. Zwar beherrsche ich diese Sprache nicht so gut wie er, jedoch reicht es aus, um ihn halbwegs zu verstehen.

Geboren wurden wir in Italien, doch direkt nach Mutters Tod brachte uns Amun nach Afrika, und wir wuchsen mit dieser Landessprache auf. Italienisch lernten wir erst später, doch ich habe das meiste wieder größtenteils vergessen.

Lucius redet irgendwas über Rom und deren Flotten, was mich aber nicht im Geringsten interessiert.

Rucus scheint so, als ob er überhaupt nichts von dem versteht, was sie sagen, doch es reicht wahrscheinlich, um ihm gewaltig auf die Nerven zu gehen. Mehrmals legt er seine Stirn in Falten, dreht die Augen und gibt ein kaum hörbares Seufzen von sich.

Trotz allem lässt er seine Lippen überwiegend geschlossen und konzentriert sich auf den niedergetrampelten Weg vor ihm.

Ich ahne bereits schon, dass mein Bruder einen gewaltigen Fehlschlag machen wird, indem er sich auf einen Barbaren einlässt, mich an ihm verkauft, und dieser ihn wahrscheinlich sogar noch über den Tisch zieht. Ein leises Seufzen verlässt meine Kehle.

Blitzartig fange ich an zu zittern, als ich an die Ehevollziehung denken muss. Mir wird ganz schlecht bei diesem Gedanken, und ich bemerke, wie sich mein Magen zusammenzieht.

»Tief durchatmen«, flüstere ich mir selbst zu, und gehorche meinem eigenen Befehl.

Ich beruhige mich langsam wieder und konzentriere mich mehr auf die Schmerzen zwischen meinen Beinen. Ich bin total wund und muss auch noch stundenlang reiten.

Mir kommt es so vor, als ob wir hier schon eine Ewigkeit verharren würden. Alles ist so monoton.

»Wann sind wir denn endlich am Rastplatz angelangt? Ich habe es satt, auf diesem dummen Pferd zu sitzen!«, brüllt mein Bruder mit einem verärgerten Ton meinem Gemahl entgegen. Wie töricht von ihm.

Rucus rollt mit den Augen und macht ein Gesicht, als ob er es in Betracht zieht, die Kehle des goldhaarigen Jungen aufzuschlitzen.

»Wen würde es kümmern?«, frage ich mich stumm, doch verbanne den Gedanken direkt wieder.

Ich und mein Bruder haben keinen mehr außer uns.

Würde ich echt den Tod meines eigenen Zwillingsbruders einfach so akzeptieren?

Ich schnaube unruhig auf.

Ob es meinen Gemahl kümmern würde wenn ich traurig darüber bin? Ich schlucke.

Nein würde es nicht, wenn er mich schon einfach nach Lust und Laune, ohne mit der Wimper zu zucken schänden kann.

Doch besitzt er so viel Grausamkeit, um mir mein letztes Familienmitglied zu nehmen?

»Der Stamm ist jetzt deine Familie«, höre ich eine Stimme in meinem Kopf sagen.

»Nein!«, schreie ich dieser innerlich entgegen.

Cruelty of Life - Band EinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt