Flugverbot

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  Am Donnerstagnachmittag um halb vier rannten alle Erstklässler aus Gryffindor über die Vordertreppe hinaus auf das Schlossgelände, wo die erste Flugstunde stattfinden sollte. Die Slytherins waren bereits da. Auf dem Boden lagen 20 Besen ordentlich aneinander gereiht.
„Nun, worauf wartet ihr noch?", blaffte Madam Hooch. „Jeder stellt sich neben einem Besen auf. Alle außer Zoey. Na los, Beeilung!"
„Woah, Moment mal, wieso alle außer ich?!", entfuhr es Zoey aufgebracht.
„Professor Dumbledore hat dir ein Flugverbot erteilt", erklärte die Fluglehrerin genervt.
„Aber warum?! Moment, doch nicht etwa, weil ... Ich wollte doch bloß austesten, wie lang ich brauchen würde, um einmal um die ganze Welt zu fliegen!"
„Weißt du eigentlich, wie viele Muggel dich hätten sehen können?!", fuhr Madam Hooch sie scharf an.
„Mich hat keiner gesehen! Ich hab einen Tarnumhang getragen!", warf Zoey ein. „Ich frage mich immer noch, wie Albus mich überhaupt finden konnte ... Okay, ein kleines Stück vom hinteren Ende des Besens hat noch herausgeguckt, aber aus der Entfernung hätte man es auch für einen Vogel oder so halten können!"
„Zoey, du setzt dich jetzt dort hin und lässt deine Finger von den Besen! Ende der Diskussion!"
Zoey rührte sich nicht vom Fleck. Sie ertrug den harten Blick aus den gelben falkenartigen Augen ihrer Lehrerin, ohne mit der Wimper zu zucken, und verschränkte stur die Arme vor der Brust.
Zoey war klar, dass ihre Idee völlig verrückt und rücksichtslos gewesen war. Sie hatte damals nicht groß über die möglichen Konsequenzen nachgedacht. Es war einfach ... das Fliegen ... der Wind in ihren Haaren ... das Gefühl frei in der Luft davonzurasen war einfach unbeschreiblich. Sie liebte es von der ersten Sekunde an und wollte am liebsten nie wieder zurück auf den Boden.
Seufzend wandte sich Madam Hooch an den Rest der Klasse: „Streckt die rechte Hand über euren Besen aus und ruft 'Hoch!'." Sie hatte wohl eingesehen, dass Zoey sich nicht wie ein Kleinkind in die Ecke setzen lassen würde, aber sie würde sie trotzdem nicht fliegen lassen.
„HOCH!", riefen alle.
Harrys Besen sprang sofort in seine Hand. Bei den anderen klappte es erst nach dem zweiten oder dritten Versuch. Neville brauchte am längsten von allen.
Madam Hooch zeigte allen, wie man sich richtig auf den Besen setzte, ohne herunterzurutschen. Bei dem ein oder anderen korrigierte sie den Griff am Besen. Danach sollten alle nach dem Pfiff der Lehrerin sich mit aller Kraft vom Boden abstoßen und ein paar Meter hochsteigen, bevor sie gleich wieder runter kamen.
Gerade als sie in die Pfeife pusten wollte, stieß sich Neville zu früh vom Boden ab, da er fürchtete, auf dem Boden zurückzubleiben, während die anderen in die Höhe stiegen.
„Komm zurück, Junge!", rief Madam Hooch verärgert.
Doch Neville schoss immer schneller in die Höhe ... vier Meter ... sieben Meter ... Er sah völlig verängstigt aus und wenn er den Besen nicht bald in den Griff bekam, würde er runterfallen.
„Neville!", rief Zoey besorgt und rannte los, um sich einen Besen zu schnappen. Sie stieß sich ohne große Mühe ab und raste zu Neville hin, doch er glitt bereits vom Besen. Sie beugte sich auf ihrem Besen vor und drückte den Stiel nach unten. Sie flog steil abwärts und bekam Neville gerade noch zu fassen, bevor er den Boden berühren konnte.
Was Zoey jedoch nicht mit einberechnet hatte, war das Gewicht von Neville, das viel mehr wog als ihr eigenes. Sie biss die Zähne fest zusammen, darum kämpfend, ihn ja nicht loszulassen. „Verdammt", fluchte sie leise und versuchte eine möglichst sanfte Landung auf dem Gras.
„Alles okay?", fragte sie Neville, nachdem sie den Besen losgelassen hatte.
Statt ihr eine Antwort zu geben, kotzte Neville sich auf dem Boden die Seele aus dem Leib. Kein schöner Anblick.
„Mach sowas nie wieder, okay? Ich hab mir echt Sorgen gemacht!", sagte sie zu ihm, als er fertig zu sein schien.
„Mr Longbottom!", rief Madam Hooch kreidebleich. „Und Zoey! Das war mehr als waghalsig! Gryffindor werden zehn Punkte abgezogen! Mr Longbottom, Sie scheinen gerade noch mal Glück gehabt zu haben, aber dennoch wäre es mir lieber, wenn ich Sie zum Krankenflügel bringen würde, nur um auf Nummer sicher zu gehen ... Zoey, du kommst mit mir mit zum Schulleiterbüro. Ich lasse Professor Dumbledore entscheiden, was deinetwegen unternommen werden soll. Ich lasse dich jedenfalls auf keinen Fall mit den Besen hier allein ..." Dann wandte sie sich zu den anderen Schülern: „Keiner von euch rührt sich, während ich kurz weg bin! Die Besen bleiben alle, wo sie sind, oder ihr fliegt schneller aus Hogwarts raus, als ihr 'Quidditch' sagen könnt!"
„Quidditch!", rief Zoey zum Spaß. Madam Hooch sandte ihr nur einen wütenden Blick. Sie wussten alle ganz genau, dass sie Zoey nicht so einfach aus Hogwarts rausschmeißen konnten. Schließlich wohnte sie hier nicht nur während der Schulzeit.
Es war kindisch von ihr, sich so aufzuführen. Sie rechtfertigte ihr Verhalten damit, dass Albus nie hätte versuchen sollen, ihr etwas zu verbieten, das ihr so viel Freude bereitete. Er hätte es ihr zumindest persönlich sagen können, aber nein, er ließ das die anderen erledigen ...
Sie gingen zuerst zum Krankenflügel. Auf dem Weg dorthin stießen sie auf Professor Snape, der die drei nicht vorbeilassen wollte, ehe er erfahren hatte, was vorgefallen war. „Bringen Sie diesen Nichtsnutz Longbottom zu Pomfrey, ich werde unsere werte Miss Dumbledore zum Schulleiter bringen, dadurch können Sie schneller zu Ihrer Klasse zurück." Snape wartete keine Antwort ab, sondern nahm Zoey einfach mit sich.
„Dumbledore hat Ihnen also das Fliegen verboten", sagte Snape.
„Ja", antwortete Zoey schlicht.
„Interessant", murmelte er mehr zu sich selbst.
„Was soll daran so interessant sein?", fragte sie stirnrunzelnd. „Hallo, antworten Sie mal?" Er schwieg beharrlich. „Sir?", setzte sie seufzend hinzu.
„Fragen Sie ihn doch selbst", meinte Snape bloß.
Wenig später kamen sie im Schulleiterbüro an. Dumbledore blickte überrascht von seinen Unterlagen auf und hieß die beiden mit einem Lächeln willkommen. „Was kann ich für euch tun?"
Nachdem Snape erzählt hatte, was er von Madam Hooch erfahren hatte, verging dem Schulleiter das warme Lächeln.
„Danke, Severus, du kannst gehen", entließ er den Zaubertrankmeister, welcher bloß eine dunkle Braue hob und danach stillschweigend auf dem Absatz kehrt machte, um den Raum zu verlassen.
„Ich möchte, dass du mir alles ganz genau aus deiner Sicht beschreibst", bat Albus, nachdem die Tür zufiel. „Wie hat es sich angefühlt?"
„Das Fliegen?", fragte Zoey verwirrt. „Was soll ich da groß sagen? Einfach befreiend. Irgendwie schwerelos ... sicher ..."
„Inwiefern hast du dich dabei sicher gefühlt?", hakte er grübelnd nach.
„Keine Ahnung, einfach, dass mir keiner da unten etwas anhaben kann ... irgendwie ..."
„Mächtig?", traf er voll ins Schwarze.
„Worauf möchtest du hinaus?", fragte Zoey mit einem mulmigen Gefühl.
„Nichts, nichts", winkte er ab. „Hast du schon viele neue Freunde gefunden?"
„Du meinst Freunde, die mich nicht in ihren Unsinn mit reinziehen?"
„Ach, Schätzchen, du weißt, ich liebe die beiden Quatschköpfe, ich sorge mich lediglich, dass manche ihrer genialen Ideen ausgesprochen gefährlich werden können ..."
„Ich kann auf mich selbst aufpassen", versicherte Zoey ihrem Ersatzvater. „Und was deine Frage angeht, da wäre Neville Longbottom. Er ist ein vergesslicher Tollpatsch, aber er ist ein netter Kerl. Dem lieben Harry habe ich letztens von dem Verhältnis zwischen seinem Vater und Professor Snape erzählt. Er hat mir für meine Ehrlichkeit gedankt und ich denke, wir werden uns gut verstehen."
„Sollte ich mir Sorgen machen, dass du keine weiblichen Freunde hast?"
Zoey lachte nur. „Das Mädchen, das sich meine beste Freundin nennen darf, ist mir bisher noch nicht begegnet ... Ach, du weißt doch, ich bin einfach nicht so gestrickt wie die anderen Mädchen. Sie können mir nicht das geben, was ich brauche.
Ich brauche eine beste Freundin, die so ausgeflippt ist wie ich. Jemand, der mich wirklich versteht und auf den ich mich verlassen kann. Jemand, der meine Ausraster verzeiht und geduldig mit mir ist. Jemand, der mich einfach so akzeptiert, wie ich bin."
„Dann will ich für dich hoffen, dass du dieses Mädchen bald findest."
„Warum muss es denn ein Mädchen sein?"  


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