Jakobs Auto passte zu ihm. Ein alter Mercedes in glänzendem Schwarz. Am Heck hatte er eine ziemlich große Delle, die Jakob mit einem Schulterzucken abtat. Nachfragen wollte ich nicht, also stieg ich ein und zog die Tür hinter mir zu. Von innen sah das Auto wesentlich moderner aus als von außen. Den alten Ledersitzen stand eine nagelneue Soundanlage entgegen. Es roch nach Süßigkeiten, Zigaretten und ein wenig nach Deodorant, sportlich und frisch. Neben meinen Füßen lag die leere Verpackung eines Überraschungseis. Die Vorstellung, wie Jakob im Supermarkt Überraschungseier kaufte, brachte mich zum Schmunzeln. »Du stehst auf Süßkram?«, fragte ich, während ich meinen Gurt befestigte.
Jakob linste aus dem Augenwinkel zu mir und zog eine rabenschwarze Augenbraue hoch. »Du etwa nicht?«
So, wie er mich ansah, wusste ich sofort, dass es auf diese Frage nur eine richtige Antwort gab. »Doch, doch«, erwiderte ich schnell, »Nichts geht über Schokolade.«
Er ließ die Schultern sinken und atmete geräuschvoll aus. »Gut. Ich dachte schon, du wärst eine von denen.«
Ich biss mir auf die Lippe und versuchte, ein Kichern zu unterdrücken, doch als Jakob seinen Arm auf meine Rückenlehne legte und sich gefährlich nahe zu mir beugte, verging mir das Lachen. Mit konzentriert zusammengezogenen Brauen blickte er über die Schulter und versuchte, beim Ausparken keinen Erstklässler zu überfahren, während ich bewegungsunfähig daneben saß und meine Fingerkuppen in den Beifahrersitz bohrte. Meine Augen klebten an seinem Kinn fest, das bis zum Anschlag durchgestreckt war. Ich konnte sehen, wie ein Muskel in seinem Kiefer zuckte.
»Also, Cherie«, sagte Jakob, nachdem er endlich ausgeparkt und sich wieder zurückgelehnt hatte, »Wo darf ich dich hinbringen?«
Die Nervosität hatte mich immer noch im Griff, aber ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. »Nach Hause, bitte.«
»Mit Vergnügen. Nur leider weiß ich nicht, wo das ist.«
Vor lauter Scham begannen meine Wangen zu glühen. »Äh, ja, natürlich!« Ich gab mir eine innerliche Ohrfeige. »Achtzehnter Bezirk, Währingerstraße. Von dort aus navigiere ich dich dann.«
»Damit kann ich schon mehr anfangen«, entgegnete Jakob, bog dann aber trotzdem falsch ab. Als der Wagen in einem Schlagloch einsank, spritzten zu beiden Seiten kleine Wasserfontänen weg. »Ich hab Hunger. Ist doch kein Problem, wenn wir einen Abstecher zu McDonald's machen, oder?«
Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich um ein Lächeln, während in meinem Inneren bereits eine leichte Panik anschwoll. Und ob das ein Problem war! Hastig fischte ich mein Handy aus dem Rucksack und schrieb meinem Dad eine Nachricht, in der ich mich für meine Verspätung entschuldigte. Dass ich bei einem fremden Jungen im Auto saß, erwähnte ich nicht. Stattdessen erzählte ich ihm irgendwas von einem spontanen Matheförderkurs, für den ich mich angemeldet hätte. Hoffentlich würde er mir das abkaufen – ein Matheförderkurs in der zweiten Schulwoche war schließlich nicht unbedingt die glaubwürdigste Ausrede. Aber hey, hatte er mir nicht erst letzte Woche einen Vortrag gehalten, dass ich mich in Mathe wieder mehr reinhängen sollte?
Keine zwei Minuten später antwortete mein Vater mit einem Daumen nach oben. Erleichtert und mit einem unscheinbaren Schmunzeln auf den Lippen lehnte ich mich in meinen Sitz zurück.
Der Rest der Fahrt verlief ziemlich unspektakulär. Jakob blickte schweigend durch die Windschutzscheibe und konzentrierte sich auf die Straße, während ich mein Bestes tat, ihn nicht anzustarren, zumindest nicht durchgehend. Obwohl er wirklich unglaublich aussah, mit den tanzenden Schatten der Scheibenwischer im Gesicht und diesem gedankenverlorenen Blick.
Jakob parkte zwei Blocks von McDonald's entfernt. Er meinte, er bräuchte frische Luft. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, also konnten wir entspannt neben der Straße entlangspazieren. Seine Schritte waren groß, viel größer als meine, weshalb ich zusehen musste, mit ihm Schritt zu halten. Ich versuchte, mich auf meine Schuhe zu konzentrieren, doch mein Blick wanderte immer wieder zu ihm und blieb dort kleben. Er trug keine Jacke über dem Hoodie, auch wenn es wegen des Sturms sehr kalt geworden war. Eine dunkle Strähne hing ihm ins Gesicht und hob sich stark von der blassen Haut ab, seine Lippen waren von der Kälte leicht gerötet. Er zog eine Zigarettenschachtel aus der Bauchtasche seines Hoodies. Mit dem Daumen klappte er den Deckel auf und steckte sich eine Zigarette in den Mund.
»Kann ich auch eine?«, fragte ich, und Jakob hob überrascht eine Braue. »Du siehst mir nicht gerade wie die Art von Mädchen aus, die raucht. Oder wenn, dann die light.« Trotzdem gab er mir eine seiner Zigaretten. »Die hier sind stark.«
»Ich rauche nicht«, entgegnete ich und betrachtete die Zigarette. Am Filter war mit feinen schwarzen Strichen ein Gesicht aufgemalt. Fragend sah ich ihn an und nickte in Richtung des Gesichts.
»Wenn die Teile einen schon umbringen, dann sollen sie wenigstens ein bisschen Lebendigkeit an sich haben. Ich lasse mich nicht von einem seelenlosen Ding vergiften.«
Wieder musste ich schmunzeln.
»Cherie, wenn du nicht rauchst, warum die Zigarette?«
»Ich weiß nicht . . . vielleicht, damit du sie nicht rauchst.«
Elf Minuten. Ich hatte elf Minuten seines Lebens gerettet. Vielleicht würde er die elf Minuten noch einmal brauchen.
Jakob sah mich flüchtig an, doch ich konnte seinen Blick nicht deuten. Dann schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen, und er schüttelte leicht den Kopf.
»Du malst auf alles, was dir in die Finger kommt, hm?«, fragte ich und drehte die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Ich war immer schon davon überzeugt, dass sich ein Künstler nicht auf eine einzige Unterlage beschränken sollte. Kunst entsteht nicht nur auf Leinwänden und Papier, das widerspricht ihrem Wesen.«
Neugierig sah ich zu ihm hoch. »Was ist denn deiner Meinung nach das Wesentliche an Kunst?«
Meine Wortwahl schien ihn zu amüsieren, denn sein Mundwinkel zuckte in die Höhe. »Im Wesentlichen muss Kunst frei sein«, antwortete er, »an nichts gebunden und niemandem verpflichtet. Sie sollte überall entstehen können, selbst an den hässlichsten Orten und den schmutzigsten Oberflächen. Sie sollte wachsen und sich ausbreiten, bis die ganze Stadt davon übersät ist. Völlig egal, ob die Menschen sie sehen wollen oder nicht. Sie sollte alles überwuchern.«
»So wie Unkraut?«, platzte es aus mir heraus. Ich biss mir auf die Zunge, aber es war ohnehin zu spät. Einen Moment lang hatte ich Schiss, ihn mit meiner Aussage gekränkt zu haben. Doch dann begann er zu lachen, und ich stimmte erleichtert mit ein.
»Besser kann man es nicht beschreiben«, meinte Jakob und nahm grinsend einen Zug von seiner Zigarette.
Ich spürte, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen, und senkte den Blick. Es war schön, ihn so gelassen zu erleben. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten, gab er mir nicht das Gefühl, immer nur das Falsche zu sagen. Die Distanz, die ihn normalerweise umgab, war wie weggeblasen. Stattdessen strahlte er eine sanfte Wärme aus, die mich sogar durch die zwei Meter Luft zwischen uns erreichte.
»Ich hab deinen Block angesehen«, gestand ich, ohne den Blick zu heben.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jakob an seiner Zigarette zog. »Und?«
»Du hast mich gezeichnet«, meinte ich und trauerte um das zweite Porträt von mir, das er begonnen und ich zerstört hatte.
Jakob klopfte sich die Asche von der Zigarette und hob einen Mundwinkel. »Beim ersten Mal konntest du schließlich nicht stillhalten. Und wie es aussieht, werde ich dich noch ein drittes Mal zeichnen müssen.«
Ich musste lächeln und sah ihm flüchtig in die Augen. »Das mit dem Block tut mir leid. Und dass ich deine erste Zeichnung ruiniert habe, tut mir auch leid. Ich hätte nicht einfach davonstürmen sollen.«
Er verlangsamte seine Schritte und zündete seine Zigarette erneut an. Bei dem feuchtkalten Wetter brannte sie nicht besonders gut. »Warum musstest du eigentlich weg?«