8. Die Schlachterin

95 9 7
                                    


Es wurde immer schlimmer. Je mehr ich das Ganze realisierte, desto schlimmer wurde es und verbannte alle meine anderen Gedanken aus meinem Kopf. Der Schatten hüllte alles ein, meine Gedanken, mich und meine Umwelt. Mir wurde nur manchmal bewusst, dass ich wirklich nichts machte, außer dazusitzen und an die Wand zu starren. Für etwas anderes ließ der Schatten keinen Platz.

Ich holte mir Tee und den Wasserkocher aus der Küche und schlich so oft es ging ins Bad, um ihn aufzufüllen. Außer einmal am Tag auf Toilette zu gehen und Tee zu trinken tat ich wirklich nichts und in meinem Kopf herrschte große Leere. Einmal, als Lola neben mir zu weinen angefangen hatte, war ich in Tränen ausgebrochen, die einzige Gefühlsregung seit jenem Tag.

Viele Männer aus der Nachbarschaft hatten an diesem Abend nach mir gesucht, gefunden hatten sie mich jedoch erst mitten in der Nacht, als ich völlig verdreckt auf dem Waldboden zusammengebrochen war. Seitdem habe ich nicht mehr als zwei Äpfel, einen Toast und vier Tomaten gegessen. Das ist jetzt sieben oder acht Tage her, ich wusste nicht welches Datum oder welchen Wochentag wir hatten, und die Erkenntnis schlich sich immer weiter heran. Sie krabbelte von hinten über meinen Rücken und ließ sich nicht abschütteln, wie ein Haufen Spinnen.

Irgendwann brach alles über mir zusammen. Ich wachte eines Morgens mit einer Erkenntnis auf:

Versus war tot und würde nie, nie wieder kommen.

Ich schrie wie am Spieß, konnte, nein konnte einfach nicht aufhören und Tränen liefen in Sturzbächen über mein Gesicht. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht, die sich in meinen klitschnassen Haaren verfingen. Meine Schreie mussten bis weit in den Wald hinein zu hören sein, bis weit in den Himmel, bis weit zu ihm. Jetzt wusste Versus, was er mir angetan hatte. Ich sprang auf, ging zur Kommode gegenüber vom Bett und begann, die Fotos in ihren Rahmen herunterzuschmeißen. Das von Papá, Lola und mir. Das von Versus als Welpe und das von ihm im Wald. Das von meiner Grundschulfreundin Paula und mir, das von Kiran und mir.

Nur das von Mamá blieb stehen. Ich starrte es wütend an und schrie: „Wie konntest du nur? Wie konntest du es mir nur antun, mich so allein zu lassen? So allein, mit diesen ganzen Idioten und den Problemen? Es hätte nicht sein müssen! Du hast mich mit Absicht alleingelassen! Was war nur dein Problem? Was-"

In dem Moment kam Papá ins Zimmer, barfuß, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Ich ließ mich, von tiefen Schluchzern geschüttelt, auf den Boden in die Scherben gleiten, als er begann mich anzuschreien: „Marta! Was ist los? Was ist passiert? Sei bitte still! Um Himmelswillen, was ist denn los mit dir?" Ich fuhr mit meinen Fingern durch die Scherben und versuchte seine Stimme auszublenden, doch da packte er mich an den Armen und zog mich hoch.

Ich schlug um mich, traf einmal sein Gesicht und kratzte seine Wange auf, während ich hysterisch schrie. Er bekam meine Arme zu fassen, und selbst als ich mich mit aller Kraft wehrte, ließ er nicht locker und presste mich an seine Brust. Er zog mich aus dem Zimmer, wobei ich mir einige Glasscherben in die Fußsohlen rammte und trug mich die Treppe nach unten. Ich hatte all meine Kraft verbraucht und hang schlaff in seinen Armen, während Tränen unserer beiden Kleider durchnässten.

Lola stand entsetzt am oberen Treppenabsatz und wir blickten uns einen Moment hilfesuchend in die Augen. Dieser Moment blieb in der Zeit stecken. Wir starrten uns an, sie mit ihren leuchtenddunklen Augen, in denen noch der Schlaf verfangen war und ich mit meinen dunkelgrünen. Intensiv. Dann schob sich Papás Schulter in mein Blickfeld und der Moment zog vorüber. Papá brachte mich in sein Auto, und stieg dann selbst ein. Zusammen mit dem Anlassen des Motors fielen meine Augen zu.

Ein Licht, so hell wie die Sonne erhellte das tiefe schwarz und kam immer schneller auf mich zu, breitete sich aus, bis alles in hellem Glanz erstrahlte. Meine Augenlieder hoben sich ein winziges Stück und die Helligkeit verdreifachte sich, ich sah nichts, nichts außer weiß. Dann vielen sie wieder zu und alles versank in tiefem Schwarz.

Of Foxes and FailureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt