Acquainted

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Niall Horan:


Unauffällig beobachtete ich den fremden Mann in meiner Küche. Er hatte so wenig mit Harry gemeinsam, dass es erschreckend war.

Obwohl er dieselben, eindringlichen Augen hatte, die je nach seiner Stimme von jadegrün über graublau und sogar zu olive wechselten. Er hatte dieselben, geschwungenen Lippen, die nun nicht mehr, als ein blutleerer Strich waren. Man sah deutlich den Abdruck seiner Schneidezähne auf der Unterlippe. Sie hatten sie in armselige Fetzen gerissen. Ich erkannte sogar die Spuren von getrocknetem Blut darauf. Er hatte dieselben, haselnussbraunen Haare, die nun schlapp auf seine Schultern herabhingen und genauso kraftlos auf ihnen rasteten, wie die Gewichte seiner Schuld. Sie hatten Form und Glanz verloren und die wilden Locken, die ihm einst ein keckes Aussehen verliehen hatten, waren genauso verschwunden und fortgewischt, wie der muntere, herausfordernde Ausdruck in seinen Augen und der amüsierte Zug um seinen Mund.

Er war nicht mehr derselbe Junge, mit dem ich früher die Umkleidekabinen im Backstagebereich verwüstet hatte, mit dem ich Nachts durch den Drive- in gefahren und mich danach übergeben hatte, weil das fettige Essen in Kombination mit dem Alkohol in meinem Bauch rumorte.

Nun saß er einfach da und starrte schon seit einer Viertelstunde auf einen unsichtbaren Punkt an meiner weiß verputzten Wand, sein Körper angespannt, als befürchtete er, jeden Moment vor etwas flüchten zu müssen. Die Finger hatte er so fest um die dampfende Tasse geschlungen, dass alles Blut aus ihnen gewichen war und die Adern deutlich hervortraten. Er trug immer noch dieselben Ringe, wie früher. Vor drei Jahren. Es kam mir vor, wie ein halbes Leben.

Ich kam nicht umhin, an unsere letzte Begegnung zu denken und wie sehr sich seitdem alles verändert hatte. Nach diesem Tag war nichts mehr, wie es einmal gewesen war und hätte ich damals gewusst, was wir alles verlieren würden, hätte ich sicherlich anders gehandelt. Ich hätte ihm andere Dinge gesagt. Ich hätte ihm schon damals gesagt, dass ich ihm verzeihe...

Harry tigerte so ruhelos vor mir herum, dass ich mich schon ganz hibbelig fühlte. Mit großen, aufgebrachten Schritten wirbelte er über die stille Dachterasse und fluchte immer wieder unter seinem Atem. Ich sah ihm stumm von meinem Platz neben den Treppen dabei zu, wie er tobte und nur gelegentlich kurz stehenblieb, um in seine Manteltasche zu fassen und das Päckchen Marlboro herauszuzerren, dass er Zayn gemobst und erst vor einer knappen halben Stunde geöffnet hatte.

Ich beobachtete, wie seine hochgewachsene Gestalt, wie immer vollkommen in Schwarz gekleidet mit dem Nachthimmel verschmolz und sich immer wieder von ihm abhob, wenn er an mir vorbeiflitzte. Das ging nun schon seit einer kleinen Ewigkeit so. Eine Ewigkeit, in der er eine Zigarette nach der anderen wegpuffte. Er inhalierte den Rauch tief in die Lungen, zog gierig und so fest an der Kippe, dass sie alarmierend rot aufglühte und Warnsignale an den Himmel zu senden schien.

Doch sie verglühten alle unter seiner Wut und fanden ihren Weg auf den nassen Betonboden, wo sie mit einem leisen, armseligen Zischen verglühten und dann unter der Sohle seines Stiefels zerquetscht wurden. Mittlerweile hatte sich ein beachtliches, wenn auch kümmerliches Häufchen aus toten Stümmelchen auf dem Boden angesammelt. Nicht mehr lange und er hatte die ganze, verdammte Packung in sich hineingesogen.

„Hör endlich auf damit!", aufgebracht erhob ich mich von meinem stummen Beobachterposten und entriss ihm das Päckchen, was mir einen vernichtenden Blick seinerseits einbrachte. Ich jedoch blieb unbeeindruckt von der stillen Drohung seiner Augen und steckte mir die Giftstängel in die hintere Hosentasche, um sie vor seinem gierigen Blick in Sicherheit zu bringen. Ich würde sie später wegschmeißen...

CloverfieldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt