23.

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Harry

„Ich, ähm ..." Sie wurde nervöser und strich sich eine blonde Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Also eigentlich ist das ..." Nun hielt sie sich die Hand an die Stirn und legte sich wieder auf den Rücken. „Oh man, ich bin bescheuert."

Ich runzelte die Stirn, beobachtete sie dabei, wie sie sichtlich durcheinander wurde und sie, genau wie ich, neben dem Feuer lag. „Kneifst du?"

„Ich weiß nicht, es ..."

„Du kneifst tatsächlich."

Annemarie atmete schwer aus, während sie an die Decke sah. „Du würdest mich für dumm halten, wenn ich es dir sage. Das war eine blöde Idee, mit dir darüber zu sprechen. Wir sollten sowieso lieber schlafen."

Die Tatsache, dass ihr anscheinend etwas unangenehm war und ich ihr die Scham im Gesicht ablesen konnte, amüsierte mich. Sie wirkte wie ein Teenager. Wieder etwas, das mich erfrischte.

„Wenn du es mir nicht sagen möchtest", sagte ich, wand meinen Kopf ebenfalls an die Decke und schloss die Augen, „dann muss ich mir wohl eine eigene Erklärung ausdenken. Ich fange an bei der Vorstellung, dass du dich vor mir entblößen wolltest, vielleicht wäre das ..."

„Bitte, lass das", unterbrach sie mich schnell, worauf ich augenblicklich stoppte und sie wieder ansah. Anscheinend merkte nicht nur ich, dass der Ton, mit dem sie eben mit mir gesprochen hatte, nicht passend für ihre eigentliche Situation war, deswegen schwieg sie für einen kurzen Moment.

Ich würde nicht auf die Idee kommen, sie zu ermahnen, wenn sie zu gewagt mit mir sprach, dazu hatte ich nicht das Recht, aber es würde lange andauern, bis sie diese Angst mir gegenüber abstellte.

„Es tut mir leid." Anne klang nun weniger offen, wie sie es eben war. „Mir sind zu schnell viele Dinge unangenehm."

„Okay, ich rede nicht weiter darüber." Ich richtete mich wieder auf, weil ich spürte, wie ich zu müde wurde, wenn ich auf dem Rücken lag. Mich gegen einen Strohkasten lehnend, sage ich: „Du solltest schlafen, ich werde wachbleiben."

Annemarie spielte noch immer unruhig mit ihren Fingern, was mir zeigte, dass sie weiterhin schwer nachdachte.

„Annemarie", sagte ich deswegen in einem beruhigenden Ton. „Versuch zu schlafen."

Fast unmerklich nickte sie, schloss die Augen und legte ihre Hände einfach über ihren Bauch. Es vergingen vielleicht fünf Minuten, in denen ich darüber nachdachte, wo Niall sein könnte und wie es Liam erging. Tatsächlich bekam ich ein flaues Gefühl im Magen, da Niall noch immer nicht wiedergekommen war. Ich hatte erwartet, er würde auf direktem Weg wieder umkehren, egal wie sauer er sein mochte.

Das Feuer wurde immer kleiner, deswegen auch immer dunkler um uns herum. Ich wollte unbedingt schlafen, meine Lider fielen mir schon im Minutentakt zu, doch ich kämpfte dagegen an, wie ich es so oft tat. Vielleicht sollte ich aufstehen und Niall suchen gehen. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ihm etwas passierte, nur weil ich nicht mutig genug war, ihn zurückzuhalten.

Als mir die Augen nun schon zum fünften Mal zufielen und ich fast im Schlaf versank, erklang Annemaries Stimme. „Es klingt dumm", begann sie, hatte aber immer noch ihren Kopf an die Decke gewandt, „aber ich musste wissen, ob ..." Wieder versuchte sie, die richtigen Worte zu finden.

Ich blinzelte und bemühte mich, ihr zu folgen.

„Ich weiß, dass Annel sicher ist, wenn Liam bei ihr ist. Ich vertraue sie ihm an, weißt du? Es ... Es ist gut, dass er sich um sie kümmert und sie weniger Angst haben muss, vor allem wenn ich nicht da bin. Aber - bitte versteh das nicht falsch, ich weiß ja, dass es dumm klingt – ich war mir ständig nicht sicher, aber ich dachte vielleicht, dass du oder – oh man, keine Ahnung – dass ich vielleicht so jemanden auch in dir irgendwie ... irgendwie sehen könnte."

Es fiel mir wirklich sehr schwer, ihr konzentriert zuzuhören, aber ich verstand sofort, was sie meinte.

„Du hattest vorhin gesagt, dass du schon von Anfang Sergeant Pattons davon abgehalten hast, Annel und mich zu erschießen und ... Ich vergesse nicht, was du für uns bereits getan hast und genau das ist das, was mich dazu bringt dieses Etwas, das ich in Liam für Annel sehe auch in dir zu sehen." Sie legt sich einen Arm über die Augen und lacht unbehaglich. „Ich bin dumm. Sag, dass ich dumm bin. Ich schleppe dich mit zum – du weißt schon was –, um ... keine Ahnung. Ich bin einfach bescheuert, sagte ich doch."

Ich zählte eins und eins zusammen. Ich erfasste trotz meiner Müdigkeit, was sie mir versuchte zu erklären und schob die Brauen zusammen. „Deswegen hast du mich am Fluss nicht losgelassen, nachdem ich dich rausgeholt habe. Du suchst bei mir den Schutz, den Liam deiner Schwester gibt."

Ob dieses Gespräch gut war, konnte ich nicht erahnen. Aber es musste wohl ausgesprochen werden.

„Vielleicht ist es so", erwiderte Annemarie leiser. „Ich weiß, dass diese Situation absurd ist und es tut mir leid, dass ich mich so sehr an dich geklammert habe, aber ich denke, ich ... ich denke, ich brauchte es. Es überkam mich."

Ich wusste keine Antwort darauf. Was sie sagte überraschte mich, gleichzeitig auch keine Sekunde. Natürlich suchte sie Schutz bei mir, nachdem ich ihr schon mehrere Male geholfen hatte. Sie dachte, sie könnte sich auf mich verlassen, aber ich hatte ihr schon im Zelt klar gemacht, dass sie das nicht kann. Ich kann nicht bestimmen, wann ich da sein werde und wann nicht. Man könnte mich schon morgen erschießen und sie wäre alleine.

Aber wie ich sie so da liegen sah, wie unsicher sie mir schien und wie ängstlich sie allem gegenüber war, brachte mich dazu, mir zu verbieten, ihr nun zu sagen, dass sie realistisch sein sollte.

Momente, in denen ich so dachte, erinnerten mich immer wieder an Lisbeth, meine kleine Schwester, und wie sie es auf einfachste Art und Weise schaffte, mich zu verweichlichen. Lisbeth wollte ich nie etwas ausreden, ihr nie etwas schlecht machen oder wegnehmen, vor allem nicht ihre eigene Hoffnung.

Aber ich hatte mit mir zu kämpfen.

Seit mehreren Jahren bin ich im Krieg, ich habe schon auf viele schreckliche Arten lernen müssen, dass Hoffnung etwas war, das man mit einer schönen Illusion gleichsetzen konnte. Entweder man fühlte sie oder nicht. Und ich fühlte sie schon seit langer Zeit nicht mehr.

Deswegen sagte ich irgendwann: „Du solltest wirklich schlafen. Wir werden schon bei Sonnenaufgang wieder aufbrechen."

Natürlich blieb mir Annemaries enttäuschter Blick nicht aus. Sie wollte von mir hören, dass ich sie beschützen würde und ich sagte es nicht. Ich konnte es nicht. Vielleicht hätte ich es heute nicht einmal bei Lisbeth geschafft.

„Okay", hauchte sie traurig und drehte ihren Körper seitlich von mir weg, sodass ich nur noch ihren Rücken sehen konnte. „Gute Nacht, Harry."

Gute Nacht, Annemarie.


Ich döste bereit im Halbschlaf, als ich Schritte hörte, die sich unserer Hütte näherten. Ich brauchte keine halbe Sekunde in der ich hellwach war und nach meinem Revolver griff, der neben mir lag.

Doch ich brauchte auch keine weitere halbe Sekunde, bis ich wieder todmüde war, als ich erkannte, dass es Niall war, der unsere Hütte betrat.

„Sag nichts", lautete seine Begrüßung, als er sich gegen die Wand der Scheune lehnte und seine Jacke auszog. Er sah mich nicht einmal an. „Du kannst schlafen. Ich werde wachbleiben."

Ich war mittlerweile so ermüdet, dass ich nicht einmal antworten konnte, doch zu Annemarie sah, um zu prüfen, ob sie noch schlief. Sie tat es.

„Ich werde schon auf sie aufpassen", sagte Niall leise und gab mir ein Zeichen, dass ich ihm den Revolver zu schieben sollte, was ich tat. Er nahm ihn und legte ihn genau neben sich, dann sah er mich an. „Los, schließ schon die Augen, du Penner."

Ich schlief sofort ein.

Ein wirklich sehr, sehr kurzes Kapitel, aber ich musste hier leider aufhören, weil sich im nächsten Kapitel die Perspektive ändert :/ Aber dafür kommt heute vielleicht noch eins, wenn dann aber erst sehr spät :)


My Own LiberatorWhere stories live. Discover now