Gedanken

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James zog die Jacke bis oben zu, schaute links, schaute rechts. Dann stiefelte er los, er wusste selbst nicht wohin. Harwich, die kleine Küstenstadt im Osten Englands zeigte ihre eisigen Zähne. Der Wind biss in seinem Gesicht und er vergrub seine Hände in den Taschen der flauschigen Jacke. Der Pub, in dem er saß, hatte lediglich noch wegen ihm geöffnet. Die Besitzerin war es jedoch leid, da er nicht sonderlich gesprächig war sondern vielmehr ins Leere starrte. Sie bat ihn höflich zu gehen, er zahlte, gab kein Trinkgeld und verschwand.
An der frischen Luft fiel ihm auf, dass er stark alkoholisiert war und Mühe hatte, eine geraden Kurs zu halten. Er musste kurz grinsen. Dann hielt er inne und nahm auf einer Bank Platz, die Richtung Meer ausgerichtet war. In der Ferne sah er Lichter. James musste an die Seefahrer denken die zu dieser Jahreszeit auf offener See ihrer Arbeit nachgingen, "verdammt harte Hunde", grummelte er. Dann sackte er zur Seite und schlief ein. Der Alkohol nahm ihm die Chance auf Träume, er schlief tief und fest, seine Gedanken waren leer.

Als er wach wurde , dachte er, er sei Tot. Sein Körper schmerzte wie er es noch nicht zuvor erlebt hatte. James raffte sich hoch und begann langsam die Glieder zu strecken. Er bemitleidete sich selbst. "Was ist nur aus mir geworden" dachte er, während er mit seiner Zunge seine Zähne abtastete.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits 4 Uhr war. Benommen brach er auf zu seiner Wohnung. Als er ankam streifte sein Blick das 1 Zimmer Apartment in dessen Mitte eine durchlegende Matratze ihren Platz hatte. Die Spielsucht welche vor zwei Jahren begann hatte ihn an den finanziellen Abgrund gespült, sein Apartment war erbärmlich und eklig.
Er nahm eine Aspirin Tablette, spülte sie mit billigen Whiskey runter und vergrub sich in seinem Schlafsack. Er legte sich zur Seite und blickte durch das geöffnete Dachfenster in die dunkle Nacht hinaus. Der Geschmack des Whiskeys begleitete ihn in die Nacht. Noch ehe er im Schlaf versank kullerte eine Träne seine Wange entlang. Er musste schlucken. Dann schlief er ein.

James wachte gegen Mittag auf und entschied sich noch eine Weile im "Bett" zu verharren. Er hatte für den heutigen Tag keine Dinge zu erledigen. Die Heiterkeit welche der Alkohol auslöste gefiel ihm, er wusste jedoch auch um die Gefahr der Abhängigkeit. Seine Augen schielten zu der geöffneten Whiskey Flasche. Er pustete eine staubige Tasse aus, goss sie bis zum Rand voll mit Whiskey, zündete sich eine Zigarette an, startete Musik mit einer alten Stereoanlage und nahm ihm Schneidersitz auf seiner Matratze Platz. Aus den Boxen tönte "Drive" von REM.
Er probierte ein paar klare Gedanken zu fassen. Dabei nutze James eine Art Struktur die vorsah, den Status quo samt der Gründe aufzuführen. Danach analysierte er die Wunschvorstellungen und probierte Überschneidungen und Möglichkeiten ausfindig zu machen:
" Kriegseinsatz in Afghanistan... Frau weg... Tochter weg... Keine Chance auf ein neues altes Familienleben... " waren seine ersten Gedanken.
Er nahm einen Schluck Whiskey , zog an der Zigarette und grübelte weiter:
"Betty will mich niemals zurück... Scheidung bereits beim Anwalt... Tracy ist enttäuscht über meinen Beruf...".
James war sich sicher, dass er seine Frau nicht zurückgewinnen konnte. Es sollte einfach nicht sein. Der Beruf, die Spielsucht , die Schulden , das alles we zu viel.Damit hatte er sich abgefunden. Ein Funken Hoffnung sah er in seiner Tochter Tracy. Sie war 17 Jahre alt und natürlich zutiefst unzufrieden mit dem Beruf ihres Vaters. Als James seine Dienstzeit als Offizier bei der britischen Armee verlängerte, entfachte zwischen ihnen ein Streit, der bis heute nicht beschwichtigt war. Die Verlängerung implizierte weitere Kriegseinsätze und natürlich auch etliche Tage weit entfernt von der Familie. Betty war dies einfach zu viel. Während James in Afghanistan weilte, reichte sie die Scheidung ein. Das gemeinsame Haus, ein Erbe von Bettys Vater, wurde natürlich ihr zugeschrieben. James kehrte zurück und stand vor einem Scherbenhaufen. Ihm war klar, dass es so kommen würde, als ihn die Realität jedoch einholte, war es härter als erwartet.
In seiner Tochter Tracy sah er einen letzten Strohhalm, an den er sich klammern konnte. Er hoffte den Streit lösen zu können, eine solide Vater-Tochter Beziehung aufzubauen und vielleicht sogar das Verhältnis zu Betty aufzuwerten.
James leerte die Tasse und griff zum Telefon. Er wählte Tracys Nummer und hoffte auf eine positive Unterhaltung.
Die Verbindung wurde aufgebaut. Tut... Tut... Tut...
"Dad?"
- Ja, wie geht's dir Tracy?
"Gut, danke, seid wann bist du zurück aus Afghanistan?"
- Ich bin vor 10 Tagen gelandet.
"Wie war es?"
- Das Übliche... Du weißt ja, Vieles darf ich dir nicht erzählen.
"Jaja, ich weiß"
- Sag mal, wollen wir uns demnächst auf ein Kaffee treffen? Ich denke wir haben ein paar dinge zu besprechen.
"Okay..."

James und Tracy vereinbarten Ort und Zeit und verabschiedeten sich. James hatte ein gutes Gefühl. Immerhin konnten die beiden sprechen und sich auf ein Termin einigen. Tracy würde mit dem Zug nach Harwich kommen. Sie einigten sich auf ein Mittagessen. James war zurzeit flexibel, die britische Armee ordnete drei Wochen Sonderurlaub für ihre Soldaten an, sobald diese aus dem Einsatz zurückkehrten. James wollte unter allen Umständen vermeiden, dass Tracy die Wohnung zu Gesicht bekommt. Ein Mittagessen erschien ihm als geeignete Lösung. Harwich bot nicht sonderlich viele Möglichkeiten zu speisen. Dennoch gab es ein Restaurant, was Tracy gefiel, da war James sich sicher. Für ein Mädchen eher untypisch, war Tracy ein absoluter Fleischliebhaber, insbesondere Rumpsteak. Sie war ein richtiger Fan. James wollte mit der Restaurantwahl einen ersten "Punkt" landen. Er schmunzelte und war von seiner Idee begeistert. Dann schoss ihn der Gedanken seiner Spielsucht durch den Kopf. Er war sich nicht sicher, ob Betty Tracy aufgeklärt hatte. Betty war eine gute Seele, ohne Frage. Vielleicht hatte sie es verschwiegen. Er wollte es vorerst nicht erwähnen.

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⏰ Last updated: Aug 20, 2016 ⏰

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