Babysitten

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„Wieso magst du mich nicht? Liegt es an meiner Brille?", fragt mich Michael schon zum bestimmt hundertsten Mal und deutet auf die Gläser in seinem Gesicht. Genervt verdrehe ich meine Augen und halten David, seinen jüngeren Bruder gerade noch rechtzeitig davon ab, mir seinen Football in den Bauch zu rammen. Ich wende mich von dem Älteren ab, um das Spielzeug gekonnt durch den Garten zu werfen. Wie ein Hund rennt das kleine Kind diesem nach und schreit währenddessen irgendetwas, was ich nicht verstehe.

„Du bist sieben Jahre jünger als ich und noch dazu habe ich einen Verlobten.", erkläre ich Michael und drehe mich wieder zu ihm. Wütend stampft er mit einem Fuß auf den Boden ballt seine Hände zu Fäusten. Mit weinerlicher Stimme kontert er: „Aber den kannst du doch verlassen. Ich bin sowieso besser als er."

Ich lache laut auf und wuschele ihm durch die Haare. „Such' dir lieber jemanden in deinem Alter.", erkläre ich ihm möglichst einfühlsam.

Noch bevor Michael wieder protestieren kann, dass er nur mich will, höre ich, wie mein Handy im Wohnzimmer läutet. Mit schnellen Schritten überquere ich die Terrasse, um wieder ins Haus zu gelangen. Hinter mir ertönt lautes Geschrei und verwirrt drehe ich mich um. Ich sehe, dass David mit wahrscheinlich seiner Höchstgeschwindigkeit auf mich zu gerannt kommt, den Football fest in einer Hand. Nun beschleunige auch ich mein Tempo, um vor ihm zu dem Telefon zu gelangen. Denn das letzte Mal, als er abgehoben hat, hat er den Gesprächspartner, der sich als mein Chef von meinem Job als Kellnerin herausgestellt hat, beschimpft und angeschrien.

Kurz bevor ich an meinem Ziel ankomme, werde ich unsanft zu Boden gestoßen und über mir ertönt ein lautes „Touchdown!". Ich richte mich schnell wieder auf und krabbele zu dem Sofa, auf dem mein Handy liegt und noch immer läutet. David greift mit einem stolzen Grinsen nach diesem, doch bevor er das heiß begehrte Gerät in seinen Händen halten kann, greift Michael danach.

„Ja, hallo? Freund von May Richards am Apparat.", sagt er, sobald er sich das Telefon an ein Ohr hält. Er zwinkert mir zu und formt mit seinen Lippen einen Kussmund. „Um wen geht es jetzt noch einmal ganz genau? ... Harry Styles? Noch nie von ihm gehört.", teilt er dem Gesprächspartner grinsend mit und ich springe sofort auf.

„Michael, wenn du mir nicht sofort das Handy gibst ...", drohe ich ihm, doch dieser legt nur einen Zeigefinger über meinen Mund. Er wendet sich ab von mir und weicht jedem Versuch von mir, ihm das Telefon wegzuschnappen, gekonnt aus. „Wieso genau will er May sehen? Liegt er im Sterben?", spielt er genervt und entfernt sich mit schnellen Schritten von mir.

Schließlich habe ich genug und renne ihm nach. Ich packe ihn von hinten und reiße ihn auf den Boden. Damit Michael mir nicht entkommen kann, bleibe ich auf ihm ich liegen und nehme ihm schnell das Handy weg. Dieses halte ich mir an ein Ohr und keuche: „Es tut mir leid, das war ein Kind, auf das ich aufpasse. Was ist los mit Harry?"

Während ich mich von Michael hinunterrolle und mich auf den Boden setze, ertönt ein schallendes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Kein Problem, er war sehr belustigend.", kichert eine Frauenstimme, die ich als die von Kendall ausmachen kann. Nachdem sie sich wieder einigermaßen eingekriegt hat, setzt sie fort: „Harry hat mich praktisch dazu gezwungen, dich anzurufen. Er will dich bei sich haben, weil es ihm angeblich schlecht geht."

„Angeblich? Er hat ein Trauma, das er verarbeiten muss und du denkst, dass er das nur vortäuscht?", zische ich gereizt in den Hörer. Stumm deute ich Michael, dass er mir folgen soll und packe im Vorbeigehen David am Kragen. Kendall redet mir die Ohren voll, während ich mir einhändig die Schuhe anziehe und nach meiner Tasche greife.

„Ich komme gleich.", unterbreche ich sie mitten in ihrer langen Entschuldigung und lege, ohne auf eine Antwort zu warten, auf. Ich werfe das Handy achtlos in meine Tasche und sperre die Eingangstür der riesigen Villa hinter mir zu. Mit schnellen Schritten nähere ich mich meinem Auto, Michael und David im Schlepptau.

Ohne jegliche Anweisungen von mir setzen sie sich stumm auf den Rücksitz, während ich auf der Fahrerseite einsteige. Die ersten paar Minuten der Fahrt verlaufen still, bis jedoch der ältere Bruder seinen Mund öffnet: „Wohin genau fahren wir?"

„In die psychiatrische Klinik von London. Zu Harry, meinem Verlobten.", antworte ich emotionslos und konzentriere mich weiterhin auf die Straße vor mir. Im Rückspiegel kann ich erkennen, dass Michael in seinem Sitz herumwackelt und anschließend wissen will: „Wieso ist er in einer Psychiatrie?"

„Weil er eine posttraumatische Störung hat und es ihm nicht gut geht.", erkläre ich ihm und bevor die Frage, wieso Harry dies hat, kommen kann, füge ich hinzu: „Seine Familie wurde vor seinen Augen umgebracht. Wehe, du sagt jetzt, dass das nicht verstörend ist, weil dann schmeiße ich dich aus dem Auto."

Hinter mir ertönt ein helles, lautes Lachen von David, der seinem Bruder kraftvoll auf die Schulter schlägt. „Komm schon, spring aus dem Auto, das ist sicher super lustig.", fordert er Michael auf und wiederholt anschließend: „Springen! Springen!"

Bevor mir einer von den Beiden etwas Dummes oder Unüberlegtes machen kann, drücke ich schnell auf die Kindersicherung. Ich fahre auf den Parkplatz der Klinik, auf der Suche nach einer Stelle, wo ich parken kann. Als ich diese gefunden habe, stelle ich den Wagen ab und drehe mich im Sitz zu den zwei Kindern um.

„Ihr werdet euch benehmen, wenn wir hineingehen. Wir werden Harry besuchen und ihr werdet euch komplett brav und still verhalten, sonst gibt es eine massive Strafe. Habt ihr mich verstanden?", rede ich so streng wie möglich auf die Beiden ein, welche mich mit großen Augen anschauen. Als sie nicht antworten wiederhole ich etwas lauter: „Ob ihr mich verstanden habt?"

Schnell nicken sie und ich steige aus dem Auto aus. Die Kinder folgen mir so still, wie ich sie noch nie erlebt habe. David greift nach meiner Hand und klammert sich an diese. Auch Michael versucht dies, doch ich zische ihn schnell an: „Du bist schon alt genug, um alleine zu gehen."

Wir betreten zu dritt die Eingangshalle und sofort erblicke ich Harry, neben dem Kendall auf einem Sofa sitzt, das Gesicht in seinen Händen vergraben. Er sieht nicht, wie ich mich ihm nähere und schließlich räuspere ich mich, als ich direkt vor ihm stehe. Schnell schaut er zu mir und ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.

"Du bist gekommen.", atmet Harry erleichtert aus. Doch bevor er noch etwas hinzufügen kann, kommt Michael ihm mit einem abwertenden Tonzuvor und fragt mich: „Das ist dein psychotischer Verlobte?"

Frozen / h.sOnde histórias criam vida. Descubra agora